Monate: Dezember 2009

Topcomics 2009 – Die Favoriten der Redaktion

 Eine definitive Comic-Bestenliste für das Jahr 2009 zu erstellen, wollen wir uns nicht anmaßen. Schließlich hat niemand von uns alle interessanten Neuerscheinungen gelesen, und Geschmäcker und Interessen sind bekanntlich sehr verschieden. Stattdessen stellen an dieser Stelle Comicgate-Redakteure ihre ganz persönlichen Lieblingscomics des vergangenen Jahres vor. Subjektiv und ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit – hier sind unsere Topcomics 2009!


Mit fremder Feder

 Bislang stand der Name „Finix“ ja ausnahmslos für ein äußerst löbliches Verlagsprojekt, in Zuge dessen Albenreihen, die zuvor bei anderen Verlagen scheiterten, zu einem Ende verholfen wurde. Jetzt scheint für Finix die Zeit gekommen zu sein, sich an eine Erweiterung des Programms und die damit einhergehende Profilschärfung zu wagen: Aus diesem Grund wurde die Edition Solitaire aus der Taufe gehoben, gewissemaßen ein Sublabel, in welchem abgeschlossene Einzelalben ihren Platz finden sollen.

Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens

teaser_heuteist.jpgEs ist 1984, Ulli ist gerade 17 geworden und lebt mit ihrer älteren Schwester in Wien, wo sie sich vor allem in der Punk-Szene bewegt. Auf Schule und Ausbildung hat sie gerade keine Lust, sie will experimentieren und das Leben möglichst spontan kennenlernen. Kein langes, rationales Abwägen, „Jetzt oder nie“ heißt die Devise. Das gilt auch, als ihre neue Bekanntschaft, die ein Jahr ältere Edi, vorschlägt, man könne doch einfach mal nach Italien fahren. Und zwar ohne Geld, ohne Gepäck und ohne Papiere. Was folgt, ist ein zweimonatiger Trip, der mit dem Wort „Abenteuer“ nur unzureichend beschrieben ist. Mehr als 20 Jahre später hat Ulli Lust aus ihren Erlebnissen von damals eine autobiographische Comicerzählung geformt, die den Leser in mehrfacher Hinsicht zum Staunen bringt.

Prophet 2: Infernum in Terra

Der Beginn der insgesamt vierteiligen Serie Prophet von Xavier Dorison und Mathieu Lauffray zeigte, wie um den jungen Archäologen Jack Stanton die Welt im wahrsten Sinne des Wortes zusammenbrach. Auslöser für die Apokalypse war die Entdeckung eines uralten dämonischen Artefakts, über die Stanton in seinem aufsehenerregenden Buch „Ante Genesem“ berichtete. Die Fortsetzung beantwortet einige offene Fragen, erhält sich jedoch eine unheimliche Spannung. Überhaupt ist hier Lauffray, der bei diesem Band sowohl für den Text als auch die Zeichnungen allein verantwortlich ist, nochmal in jeder Hinsicht eine Steigerung gelungen: dämonischer, postapokalyptischer und optisch imposanter. Die Handlung springt parallel durch die Zeitebenen und füllt damit die bisherigen Lücken. Jack Stantons Weg als ungewollter Prophet, der für die Rettung der Menschheit den Messias finden soll, wird dabei linear weitergesponnen. Man merkt vor allem, dass sich der Künstler hier viel Mühe gibt, die richtige Atmosphäre einzufangen. Besonders hervorzuheben sind dabei die Titanen, hochhausgroße Dämonen, oder die unheimliche Kulisse des durch Ruinen gekennzeichneten New Yorks. Vom Inhalt her ähnelt die in diesem zweiten Band zu lesende Entwicklung der Matrix-Trilogie, nur …

Liebe + Helden

 Allein die Aufmachung von Andi Watsons neuestem Streich Liebe + Helden ist ein echtes Highlight: Das über 300 Seiten starke Werk des britischen Künstlers brilliert mit einem edlen Rundrücken und einem herrlich reduzierten Cover. Letzteres deutet mit einem großen roten Herzen, das von der Flugschneise eines Capeträgers durchkreuzt wird, bereits die Hauptkomponenten des Comics an. Es handelt sich um eine Mischung aus Liebeserzählung und Superheldenstory. Und das in einer derart ausgewogenen Art und Weise, dass man sich durchaus schwer tut, Watsons Arbeit der einen oder anderen Leserschaft zu empfehlen.

Ein Mann geht an die Decke

Den klaren Strich hat sie sich behalten: Die Architektin Katharina Greve legt mit diesem Comic ihr Debüt im Printbereich vor, nachdem sie bereits u. a. bei Electrocomics veröffentlicht. Unaufgeregt erzählt sie von Frank Fink, Fahrstuhlführer im Berliner Fernsehturm, der eines Tages eine um 90° gedrehte Welt im Treppenhaus seiner Arbeitsstätte entdeckt. Seine geordnete Weltsicht wird dadurch gehörig aus der Bahn geworfen, aber die Neugier lässt ihn zurückkehren: Schließlich kann es jeder lernen, wie die Schwerkraft keinen Einfluss mehr auf den eigenen Körper hat. Und die Avancen von Frau Koschel, die ihn in die neuartige Welt einführt, schmeicheln ihm auch ein wenig. Wenn da nicht seine Frau zu Hause warten würde …   Seinen Reiz bezieht der Comic aus der gestalterischen Umsetzung der verdrehten Welt und der kompakten Erzählung (Website). Ein rundes Stück, über das ich im Podcast Zettgeist 101 mehr erzähle (zum Anhören auf „abonnieren“ klicken).  Ein Mann geht an die Decke Die Biblyothek, Oktober 2009 48 Seiten, s/w, Hardcover Preis: 14,- Euro

Unheimlich 3 – Die Toten

Unheimlich ist eine Horror-Heftchen-Serie aus Deutschland. Verlegt wird sie in Zusammenarbeit mit Edition 52. Das erste Heft kam im Juni 2006 heraus. Federführend hinter dem Projekt stehen Alexander Fechner und Miguel E. Riveros Silva (Millus). Inzwischen gibt es fünf Ausgaben von Unheimlich: Drei der regulären Serie, eine asiatische und ein Sonderheft. Weitere sind – wenn man dem Netz Glauben schenken möchte – bereits in Arbeit. Thematisch und formal bewegt sich Unheimlich in der Nähe der Hammerharten Horrorschocker aus dem Hause Weißblech. Der Vergleich muss gestattet werden: Beide Serien sind Horror, beide haben ein Kleinformat, beide kommen aus der deutschen Indie-Szene. Jüngst (will heißen: Anfang Dezember 2009) ist die dritte Ausgabe von Unheimlich erschienen. Sie trägt den Titel „Die Toten“ und stammt aus der Feder von Millus. Es geht darin um eine Reihe von Selbstmorden in Köln und eine Gruppe Ermittler, die mehr hinter der Sache vermutet, als es zunächst den Anschein haben mag. So sehr man sich auch über jedes Pflänzchen im deutschen Comic-Garten freuen mag und so sehr auch die Qualitäten von Unheimlich in …

Jeronimus 1: Ruhe vor dem Sturm

 Nach einer wahren Geschichte erzählen Christophe Dabitch und Jean-Denis Pendanx in einer mehrteiligen Saga von der Jungfernfahrt der Batavia, dem im frühen 17. Jahrhundert prächtigsten Schiff der Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC). Von Beginn an lassen die beiden Kreativen hier keinen Zweifel darüber aufkommen, dass bei dieser Unternehmung etwas gehörig schiefgelaufen sein muss, doch der Leser bekommt erstmal nur Andeutungen geliefert. Dass die bereits reichen, um einen gebannt weiterblättern zu lassen, liegt an der äußerst bedrohlichen Atmosphäre, die hier nach und nach aufgebaut wird.

Jenseits

 Zuerst sieht alles ganz putzig aus: Eine junge Frau empfängt einen jungen Herrn, einen Prinzen, und bei einer Tasse Kakao findet eine zarte Annäherung statt. Die Figuren sehen niedlich aus, als wären sie Märchenbüchern für Kinder entsprungen, sie sind in fröhlichen Farben koloriert. Doch bald löst sich der Raum um sie herum auf, sie müssen fliehen und ein großes Splashpanel zeigt dem Leser, in welcher Behausung die netten Wesen gelebt haben: Sie sind winzig kleine Gestalten, und sie kommen aus dem Körper eines kleinen toten Mädchens gekrochen. Wie Gulliver liegt dieses Mädchen am Boden, im Vergleich zu den kleinen Lebewesen wirkt es wie ein Riese.

Arsenicum Album

 In dem neuesten Band von Jan-Michael Richter (kurz Jamiri), Arsenicum Album, behandelt der Zeichner in ganzseitigen Cartoons die Tücken des Alltags, der Technik und das Leben in der Großstadt. Die meisten Cartoons gewinnen ihren Witz normalerweise durch graphische Aussparungen: der Dialog oder die Situation wird zumeist erst in der detaillierteren Zeichnung des letzten Panels aufgelöst und liefert so die Pointe. Dieses Prinzip ist vor allem in den Cartoonserien zu finden, die ursprünglich in Zeitungen abgedruckt wurden, wie z.B. bei Garfield, Hägar und auch bei den Peanuts.