Kamingespräch

Quo vadis, DC Comics? Das Comicgate-Kamingespräch

Ab August 2011 soll das Superhelden-Universum des DC-Verlags komplett neugestartet werden. Außerdem plant der Verlag, erstmals alle neuen Hefte am Tag des Erscheinens auch online verfügbar zu machen. COMICGATE berichtete. Im COMICGATE-KAMINGESPRÄCH diskutieren Marc-Oliver Frisch und Björn Wederhake, mit Einwürfen von Benjamin Vogt, Thomas Kögel, Frauke Pfeiffer und Andi Völlinger über den umstrittenen Plan.

[Anmerkung: Die hier festgehaltene Diskussion entspann sich per E-Mail zwischen dem 3. und 15. Juni. Zu Beginn der Konversation waren noch nicht alle Informationen bekannt, weil DC die Details erst nach und nach herausrückte.]

ACTION COMICS

BJÖRN: DC wird im Herbst also alle bisherigen Serien beenden und für volle 52 Serien mit einer neuen Nummer 1 starten. Dabei soll alles auf Null gesetzt werden und bestimmte Figuren werden eine neue Origin bekommen, sollen aber im „Kern“ weiterhin erkennbar bleiben. Ziel dieser Aktion ist wohl, eine große Zahl neuer Leser auch jenseits des Superheldenstammlesers zu gewinnen, einen „jumping-on point“ für diese Gruppe zu schaffen. Dafür spricht auch das neue Digitalkonzept des Verlages.

Eure Prognosen: Ist das eine realistische Einschätzung? Oder besteht eher, wie einige Händler befürchten, die Gefahr, dass DC viele Stammleser verlieren wird, die den Verlust der bisherigen Continuity als „jumping-off point“ sehen?

MARC-OLIVER: Ich glaube, gerade die Stammleser werden DC die neuen Hefte erst einmal aus der Hand reißen, als hätte man gerade warme Semmeln entdeckt. Natürlich sind die Härtesten der Harten jetzt beleidigt und geschockt, weil man ihnen ihr schönes Universum durchschüttelt und ihre fortlaufende Nummerierung kaputtmacht. Aber das gab’s ja alles schon mal, und richtig vergrault hat noch kein Verlag seine Leser damit. Die sind wahrscheinlich am heißesten darauf, zu sehen, wie’s weitergeht, sei’s auch nur, um sich darüber aufzuregen und Hassmails zu verschicken. Um die Stammleser würde ich mir also keine Sorgen machen, und das Rumgemotze, das aus dieser Ecke kommt, kann im Hinblick auf neue Zielgruppen sogar ganz werbeträchtig sein, wie man z.B. bei Marvel vor zehn Jahren gesehen hat. Da haben die Leute gemerkt: Oh, die Hardcore-Fans machen Zoff, offenbar tut sich da was – vielleicht lohnt sich das jetzt ja doch mal, reinzuschauen.

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BJÖRN: Mein erster Gedanke war, dass DC nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Ich stimme dir zu, den wirklich harten Kern der Leser wird man nicht verlieren. Die Frage ist nur, ob man sich langfristig traut, nicht nach seiner Pfeife zu tanzen. Die Rückkehr von Hal Jordan als Green Lantern oder, noch mehr, die Rückkehr von Barry Allen als Flash, haben mir gezeigt, dass DC der Mumm fehlt, sich wirklich von der Zeit vor der Crisis on Infinite Earths zu lösen, also immer wieder primär eine Gruppe bedient, die schon vor über einem Vierteljahrhundert Comics gelesen hat. Darum bin ich skeptisch, ob man hier wirklich einen sauberen Bruch macht.

Andererseits sehe ich schon das Potenzial für Leserverlust, und zwar schon vor dem Reboot: Diejenigen, die nicht der harte Stamm sind, könnten jetzt schon abspringen, weil sie befürchten müssen, dass ihre Serien ohnehin nicht zu Ende gebracht werden. Lohnt es sich für mich wirklich, jetzt Secret Six weiterzulesen, wenn die Serie in drei Ausgaben endet und danach von einem Kreativteam neu gestartet wird, dass mich nicht reizt?

Neuleser mit den Erstausgaben zu gewinnen ist möglich, wobei ich nicht glaube, dass wirklich jemand in die Sache reinschaut, nur weil die Troglodyten auf dem DC-Messageboard jetzt jammern als sei ein naher Verwandter gestorben. Deutlich schwieriger ist es, diese Neuleser dann auch langfristig zu halten, dazu muss die Qualität stimmen. Und noch mehr: DC wird in kürzester Zeit 52 Serien mit Ausgabe #1 neu starten. Das wird für Superman, Batman, Wonder Woman, Flash und Green Lantern vermutlich kein Problem sein. Aber werden die Neuleser die wirklich starken Serien entdecken, die nicht die großen Titel haben, oder werden diese einfach in der Flut der Neustarts untergehen und dann sterben? Ich bin da sehr skeptisch. Ich sehe nicht, wie der bestehende Markt so etwas tragen kann. Und ob die Digitalinitiative wirklich einen derartigen Unterschied ausmacht? DC, bzw. Warner, sollte besser gewillt sein, erstmal ein Verlustgeschäft zu machen, ehe sich das amortisiert.

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BENJAMIN: Ich befürchte, dass DC mit etlichen Jahren Verspätung versucht, sowas wie Marvels Ultimate-Universum zu etablieren, nur dass sie es nicht als eigene off-continuity-Schiene sehen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das funktioniert. Gut, die großen Titel, Green Lantern, Justice League, Flash usw. werden nach wie vor gekauft, denn die Stammleser sind neue Nummer-Einsen ja ohnehin gewohnt und mit beliebten Kreativteams (Johns/Lee z.B.) werden sich genug Käufer finden.

Den Frischeeffekt, den man sich erhofft, und damit die Generierung neuer Leser, indem man die Helden auf Jugendlich trimmt und ihnen neue Kostümdesigns verpasst (das scheint mir das primäre Konzept zu sein), wird wohl schnell verpuffen. Das ist auch beim Ultimate Universe geschehen, und man konzentrierte sich schnell wieder aufs klassische Universum. Serien wie „Deadman“ oder Mr. Terrific sehe ich jetzt schon reihenweise nach wenigen Ausgaben gecancelled, so wie es vorher eben auch lief.

Meine Prognose: Flaggschiffe wie Action Comics oder Detective Comics werden entweder nicht neu nummeriert oder werden relativ bald wieder zur alten Nummerierung zurückkehren (was bei Marvel ja auch praktiziert wurde) und (falls sie vom überhaupt vom Reboot betroffen sind) schleichend auch inhaltlich wieder zum klassischen Konzept zurückkehren. Ich glaube nicht, dass sich die einzelnen Titel jetzt signifikant mehr oder weniger verkaufen werden. Die wichtigsten werden ohnehin konstant verkauft, der Rest ist nur austauschbares Begleitwerk. Erst Recht, wenn die Künstler daran nicht besonders spektakulär sind.

THOMAS: Ich lese zur Zeit nicht eine DC-Superheldenserie regelmäßig, könnte mich also theoretisch als Neuleser angesprochen fühlen. Einen potenziell interessierten Leser halten zur Zeit vor allem zwei Dinge vom Kauf ab, denke ich: zum einen die Nummerierung – Hilfe, die Serie ist mittendrin bei Nummer 73, wo steige ich da ein? Das behebt man natürlich mit einem Neustart. Viel gewichtiger aber ist der Eindruck, den die DC-Serien von außen erwecken: Alles gehört zusammen, alles ist ineinander verschachtelt, Continuity ist wichtig, du musst so ziemlich alles lesen. Und ich sehe von DC noch keine Signale, dass sie daran etwas ändern wollen. Im Gegenteil: Man kippt 52 Serien über dem Publikum aus. Zweiundfünfzig! Ja seid’s ihr wahnsinnig? Wenn DC wirkliche Eier hätte, müssten sie eine radikale Schrumpfkur durchziehen. Acht bis zehn Flaggschiff-Serien pro Monat, mit Top-Kreativteams und erstklassiger Qualität. Und im Erfolgsfall behutsam ausbauen. Da wäre ich dann auch interessiert und hätte Lust, reinzuschnuppern. Aber bei 52 Serien bin ich doch schon von der schieren Masse überfordert und winke ab.

Das Digital-Ding ist nochmal ein anderes Thema, das halte ich wirklich für einen ziemlich gerissenen und mutigen Schachzug, auch weil er die Branche unter Druck setzt. Das wird entweder nach hinten losgehen und DC nachhaltig schaden. Oder es hat Erfolg, dann wird die Konkurrenz nachziehen müssen und der Comicmarkt wird sich grundlegend verändern, auf Kosten vieler Comichändler. Das wird auf jeden Fall spannend.

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MARC-OLIVER: Man braucht positive Anreize, um neue Leser zu finden, das stimmt. Und da teile ich Eure Skepsis. Erstens sind es viel zu viele neue Titel auf einmal, was es gerade für diejenigen weniger etablierten Stoffe und Figuren schwer macht, die man eigentlich fördern müsste, wenn man tatsächlich neue Leserschichten erschließen wollte. Von daher bin ich auch nicht überzeugt, dass DC überhaupt noch davon ausgeht, über seine Heftserien – sprich: in den Comicläden – „neue“ Kunden erreichen zu können.

Andererseits fehlt, wie Thomas sagt, auch inhaltlich ein klares Signal, dass man es anders machen will als bisher. Und wo sind eigentlich die neuen Gesichter? In den 15 bisher angekündigten Serien findet man kein einziges, weder unter den Autoren und Zeichnern noch unter den Figuren. Gut möglich, dass da noch was nachkommt, aber ein entschlossener Bruch mit der Vergangenheit sieht doch anders aus. Zumal DC sich ja von dem Begriff „Reboot“ vorsorglich schon mal distanziert hat.

Ich erwarte daher im US-Fachhandel allenfalls einen kurzfristigen Effekt durch den Neustart. Und man muss eben auch die Marktrealitäten sehen. Im US-Markt besteht nun schon seit Jahren die Situation, dass die Verlage einerseits immer noch auf Gedeih und Verderb an den Fachhandel gebunden sind, andererseits aber gleichzeitig sehen, dass das vom Fachhandel erreichte Publikum tendenziell immer weiter schrumpft. Plump gesagt: Der US-Fachhandel ist überlebenswichtig fürs aktuelle Tagesgeschäft, aber gleichzeitig mausetot, was die Erschließung neuer Leser angeht. Also muss man den Spagat schaffen, sich neue Vertriebsmöglichkeiten – etwa Buchhandel und digitale Vertriebswege – zu erschließen, ohne den Fachhandel zu früh zu vergraulen. Und diesen Spagat sehen wir hier. Wenn DC es schafft, mit dem Neustart im Fachhandel kurzfristige Zugewinne zu erzielen und mittelfristig die Absätze mehr oder weniger stabil zu halten, dann würde ich das auf diesem Sektor schon als Erfolg werten.

Die große Unbekannte in der Rechnung ist natürlich der unverzögerte digitale Vertrieb. Darin sehe ich auch den bedeutendsten Aspekt und das größte Potenzial dieses Neustarts, ganz unabhängig vom Inhalt. Denn ist dieser Korken erst einmal aus der Flasche, gibt es wohl kein Zurück, und der Rest der Branche gerät in Zugzwang.

Es werden also demnächst viele Fragen akut. Wird man mit dem digitalen Angebot tatsächlich Kunden gewinnen können, die man nie in einem Comicladen antreffen würde? Wenn ja, wie viele? Und werden die Titel, die dieses Publikum herunterlädt, dieselben sein wie die, die das Print-Publikum liest, oder doch ganz andere? Welchen Preis werden Kunden mittel- und langfristig für digitale Comics zu zahlen bereit sein? Werden sich aus diesen Faktoren vielleicht für bestimmtes Material Verkaufszahlen ergeben, die dazu führen, dass dieses Material künftig gar nicht erst gedruckt, sondern zunächst exklusiv digital angeboten wird, weil die Schnittmenge mit dem Print-Publikum so gering ist, dass sie den Druck dieses Materials überhaupt nicht mehr rechtfertigt? Wir werden’s rausfinden. Da kommt einiges auf den Markt zu.

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BENJAMIN: Ich kann nicht wirklich abschätzen, ob der digitale Vertrieb sich tatsächlich als so lukraktiv erweisen wird, wie es der Verlag erwartet. Aber nach der Ankündigung seitens DC, dass zumindest beim Erscheinen eines neuen Comics die digitale Version gleich viel kostet wie die Printversion (der Grund liegt darin, dass man die Befürchtungen der Händler bezüglich sinkender Verkäufe berücksichtigen will), frag ich mich, ob da nicht potenzielle Interessenten der Digital-Version wiederum protestieren. Denn eigentlich fallen ja Kosten für Druck, Vertrieb usw. weg, da müsste sich ja eine Differenz ergeben. Oder übersehe ich da was?

Anders fomuliert: Wenn nicht über den Kostenfaktor, wie sonst will man ausreichend Anreize schaffen für die digitale Version?

BJÖRN: Ich halte die Idee der Neuleser ohnehin für eine weitgehende Utopie der Verlage. Man schaue doch nur, was in den letzten Jahren Neuleser bringen sollte, aber im Effekt nichts gebracht hat: Superheldenfilme haben im letzten Jahrzehnt Milliarden US-Dollar eingespielt, während der Markt weiter geschrumpft ist. Marvel hat sein Mega-Event Civil War und den Tod von Captain America massiv in den Medien, sogar in der New York Times, hypen können. Die Spider-Man/Obama-Ausgabe war ein Riesenerfolg. Was war das Resultat? Ein einmaliger Ausschlag nach oben in den Verkaufszahlen und danach die Rückkehr zum alten Elend. Natürlich kann man sagen, dass die Neuleser abgeschreckt wurden, weil sie nicht wussten, wo sie anfangen sollten. Aber das Problem bestand schon immer, und die Lösung da muss es sein, dass jede Ausgabe potenziell freundlich für neue Leser ist. Das hat früher geklappt. Das klappt im Fernsehen seit Jahrzehnten bei Seifenopern. Wenn man sich der Realität aber verschließt, dann gibt man sich einer Spirale aus Neustarts und Reboots hin und kann sowas eigentlich einmal pro Jahr durchführen.

Und, ganz ehrlich, ich sehe nicht, dass das hier wirklich Nicht-Leser heiß macht: „Hey! Wir fangen alles nochmal bei Null an!“ Wenn mich Superhelden bisher nicht interessiert haben, dann interessieren sie mich auch jetzt nicht. Ein bloßer Reboot wird mich da nicht hinter dem Ofen hervorlocken. An der Stelle ist noch massive Werbearbeit zu betreiben.

Nochmal zu den 52 Serien: Jenseits des schon erwähnten „Wo fange ich an?“, sehe ich noch ein Problem. Wo bitte nimmt man 52 Kreativteams her? Okay, ein Autor kann auch mal zwei oder drei Titel im Monat schreiben, aber viele Serien haben doch jetzt schon Probleme, pünktlich zu erscheinen, weil die Zeichner nicht hinterherkommen. Selbst wenn man 52 Teams hat, dann wird man darunter Teams haben, die nicht nur namentlich, sondern auch im Qualitätsanspruch ganz tief unten starten. Ist es das, was man bei so einem Neustart will? Das Risiko, das experimentierwillige Käufer direkt enttäuscht werden? Meiner Ansicht nach müsste man die großen Titel mit „mid-level teams“ bestücken (Marke Waid, Kesel, Dixon), da die sich ohnehin verkaufen werden. Die wirklich großen Namen, die Morrisons und Lees, sollte man an die kleineren Serien lassen, von denen man hofft, sie als Marke etablieren zu können.

Abschließend zum klaren Bruch: Ich werfe mal einen Blick in Weird Worlds #6, eine Science-Fiction-Anthologie. Da steht auf der letzten Seite „Continued in My Greatest Adventure #1, on sale in OCTOBER.“ Die betiteln da also etwas mit einer #1, das eigentlich die Fortsetzung einer Geschichte aus dem Mai ist. Soviel zum klaren Bruch. Leser die sich das kaufen, werden mitten in einer Geschichte mit bereits etablierten Figuren starten. Die ganze Sache erscheint mir jetzt schon wie ein völlig planloser Clusterfuck.

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MARC-OLIVER: Klar, bei der Preispolitik schüttelt man erst einmal den Kopf. Aus der Sicht von DC macht das geplante Vorgehen aber durchaus Sinn. Man hat ja mit dem Fachhandel schon einen verlässlichen Markt mit verdammt treuen Abnehmern, der nach wie vor sehr gut funktioniert für die Verlage. Von einer solchen Bank, auf die man bauen kann, ist der digitale Markt noch sehr, sehr weit entfernt. Es wäre also äußerst dumm von DC, die Fachhändler jetzt gegen sich aufzubringen – was man mit niedrigeren Preisen zweifellos tun würde. Der Spatz in der Hand ist eben besser als die Taube auf dem Dach. Erst, wenn DC davon ausgehen kann, dass der digitale Vertrieb ein solides Geschäftsmodell bietet, wird man es sich leisten können, mit den Belangen des Fachhandels weniger zimperlich umzugehen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

Natürlich sind die aktuellen digitalen Preise nicht unbedingt ein Kaufanreiz. Das weiß man auch bei DC, spätestens seit der erzkonservative Manager Paul Levitz letztes Jahr seinen Hut nahm. Der neue Co-Herausgeber Jim Lee, dem die digitale Abteilung des Verlags sehr am Herzen liegt, ist ein kluger Mann auf der Höhe der Zeit, dem eine solche Problematik sicher nicht verborgen bleibt. Aber wenn man die spezielle Marktsituation in den USA betrachtet, führt eben nur eine Politik der kleinen Schritte ans Ziel. Jetzt hat man erst einmal die Hemmschwelle zu einem unverzögerten digitalen Angebot überschritten. Das ist, vergleichsweise, schon ein Paukenschlag und ein verdammt großer „kleiner Schritt“ – gerade für den DC-Verlag, der unter Levitz‘ Führung zuletzt ja nicht unbedingt dafür bekannt war, bei neuen Entwicklungen vorzupreschen.

Der nächste Schritt ist nun, dass die anderen Verlage – in erster Linie Marvel – nachziehen. Und spätestens, wenn die sofortige digitale Bereitstellung sich flächendeckend durchgesetzt hat und die Fachhändler entsprechend desensibilisiert und aklimatisiert sind, wird auch bald jemand damit anfangen, die Preise zu senken. Diese Entwicklung sehe ich als unvermeidlich an. Aber sie kann eben nicht von heute auf morgen stattfinden, sondern muss sich an der Realität, Stand: jetzt, orientieren. Es wäre unverantwortlich und kommerzieller Selbstmord für DC, gleich mit, sagen wir, 99 Cent pro digitaler Episode einzusteigen. Es ist immer noch der Fachhandel, der die US-Comicbranche zu 95% trägt. Darauf kann man nicht einfach so verzichten, auch wenn der Anteil tendenziell immer weiter schrumpft.

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BJÖRN: Und gleichzeitig vergibt man eine Chance, die seit Jahren diskutiert wird: Warum muss denn jeder Comic in gedruckter Form erscheinen? Wenn du einen radikalen Schnitt machst und zugleich deine Digitalschiene anlaufen lassen willst, dann gibt es da ein großes Potenzial.

Serien die sich im Print nicht rentieren – und bei 52 Neustarts werden das locker 20 bis 30 Serien sein – könnten sich möglicherweise in digitaler Form rentieren. Warum also nicht versuchen, ein paar der kleineren Serien erstmal rein digital zu veröffentlichen, und zwar als Lockangebot mit oben genannten 99 Cent. Da werden die traditionellen Comicläden natürlich auch klagen, aber die Alternative wäre in dem Fall, die Serien gar nicht zu verlegen. Funktioniert so eine Serie digital, dann kann man sie von da immer noch in Form von Paperbacks später auf Papier bannen.

DCs „großer Sprung nach vorn“ ist nur einer, wenn wir ihn mit der bisherigen DC-Politik vergleichen. Aber dann können wir auch meinen Großvater als Digitalpropheten feiern, weil er jetzt ein Handy besitzt. DC erklärt selbst, dass es hier darum geht, „neue“ Kunden anzuwerben. Und das sind Kunden, die eh nicht im Fachhandel kaufen. Und dass sind Kunden, die eher gewillt sind eine Serie mal digital zu testen. Und Preise von 1,99 oder 2,99 Dollar schrecken da schlicht ab. Wenn du erklärst, dass dieser Neustart der Punkt ist, an dem bitte alle Neuleser an Bord kommen sollen (unser Luftschiff erreicht Lakehurst in wenigen Stunden), dann ist das hier der Zeitpunkt, an dem du deine Preise zu senken hast, um möglichst viele Comics an möglichst viele Leute zu bringen. Nicht irgendein mystischer Zeitpunkt in der Zukunft, in der du feststellst, dass du doch nur wieder die gleichen Leser hast, die du schon immer hattest.

Aber wegen mir: Lass deine Toptitel, deine Batmans und Supermans, digital bei 2,99, um den Comichändlern nicht völlig auf die Füße zu treten. Aber du kannst deine Preispolitik nicht völlig nach einem Markt ausrichten, von dem du dich langsam lösen willst. Da dürfte DC ruhig die Muskeln spielen lassen: Was wollen die Händler denn tun? DC-Titel nicht mehr führen? Das wird nicht passieren.

Ganz ehrlich, mit so einer Digitalpolitik begeht DC Selbstmord aus Angst vor dem Tode.

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MARC-OLIVER: Langfristig werden sich bestimmt einige der neuen Serien nicht halten können, aber bis dahin rentieren sie sich schon. Was sich nicht rentiert, wird ja seit jeher gnadenlos eingestellt und mit neuen, rentableren Titeln ersetzt. Wenn man wirklich beherzt Material produzieren wollte, mit dem exklusiv Digitalkunden erreicht werden sollen, dann muss man auch wieder entsprechende Qualität abliefern – die kostet zum einen Geld, und die ist zum anderen dann auch wieder für den Fachhandel interessant. Solche Comics nicht zu drucken, würde derzeit schlicht bedeuten, Geld – viel Geld – ohne Not liegen zu lassen, von der Verärgerung der Händler ganz zu schweigen. Und dann gäbe es immer noch keine Garantie, dass das Angebot überhaupt wahrgenommen würde.

Der Zustand des US-Fachhandels ist aber gar nicht so schlecht, wie er seit Jahren geredet wird. Die Fachhändler sind nichts weniger als die Garanten der Existenz fürs Verlagsgeschäft von DC und Marvel. Das sollte man nicht unterschätzen, wenn man über das Potenzial eines digitalen Markts spricht. Diese Symbiose zwischen Verlagen und Handel, diese absolute gegenseitige Abhängigkeit, ist 40 Jahre lang gewachsen. Eine Hauruck-Lösung funktioniert da nicht, bei aller gebotenen Weitsicht. Man muss einfach Geduld haben, wenn man diese sehr delikaten Strukturen aufbrechen und verändern will. Wenn sich einer der Hauptbeteiligten einen Fehltritt leistet, kann das schnell zum Kollaps des gesamten Markts führen, wie man Mitte der 1990er gesehen hat.

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BJÖRN: Einige Serien werden sich langfristig nicht halten können? Du bist deutlich optimistischer als ich. Ich sehe mittel- bis kurzfristig ein Viertel der neugestarten Serien scheitern. Mindestens. Und die werden dann durch neue, rentablere Titel ersetzt? Das zweifle ich an. Resultat ist eher, dass andere Titel nicht mehr rentabel sind und die werden eingestellt und durch neuere ersetzt, und so fort.

Marc-Oliver, du hast die genauen Zahlen und weißt wieviele Leser es tatsächlich gibt und wieviel Dollar DC im Monat einnimmt, aber – aus dem Bauch heraus: 52 Superheldentitel eines Verlages sind einfach zu viel (oder wegen mir auch 45, wenn wir einkalkulieren, dass da Titel wie Tiny Titans drin sind). Damit wird der Markt völlig verzerrt und die Leserschaft über ein so weites Feld verteilt, dass unterhalb einer bestimmten vorher existierenden Prominenz kein Titel wirklich auf dem Markt glänzen und an Fahrt gewinnen kann. Weniger Titel, die dafür konzentrierter vermarkten, das sollte die Devise sein.

Bei deiner anderen Aussage: Du hast auch keine Garantie, dass ein Comic in Print wahrgenommen wird. Dass du Geld verschenkst, wenn du etwas digital und nicht auf Papier vertreibst, sehe ich auch noch nicht: Du hast zunächst eine geringere Leserschaft (dann wiederum, einige Titel krebsen bei Stückzahlen von ein paar Tausend verkauften Heften rum), aber du hast auch entfallende Kosten. Comixology will eingebunden werden, außer Warner macht seinen eigenen eStore auf, dafür entfallen Druckkosten, Vertrieb, etc. Alles Posten, die in den 2,99-Preisen eingerechnet sind.

Aber, wegen mir. Sagen wir, dass Digital nicht in der Lage ist Geld zu verdienen und derzeit eine Science-Fiction-Idee. Dass man Comics, anders als Filme oder Musik, nicht am Rechner konsumiert und da erst ein Fundament geschaffen werden muss. Dann zäumt DC hier immer noch das Pferd von hinten auf: Als Verleger willst du deinen Digitalmarkt doch aufgestellt haben, wenn du so einen PR-Stunt abziehst. Damit du in dem Moment an beiden Fronten Geld verdienen kannst. On- und offline. Würde bedeuten, dass man erst seinen Digitalvertrieb in Position bringt und dann die Reboot-Bombe fallen lässt, damit man – siehe oben – viele Comics am Starttermin werbewirksam und preisgünstig an möglichst viele Leser bringen kann. Jetzt zu rebooten, dann zu sagen, dass man Zeit braucht um den Digitalmarkt massenfähig zu machen… wann sollen die Neuleser denn kommen? In einem Jahr? 18 Monaten? 24? Wenn die Hefte wieder Nummern haben, die Neuleser abschrecken? Wenn die Hefte wieder anfangen, eine inzestuöse Continuity einzugehen, weil die Neuleser mit #1 ausgeblieben sind und man sich jetzt wieder beim harten Kern mit den alten Taktiken anbiedern will?

Du sprichts davon, eine Hauruck-Lösung zu vermeiden, weil sie den Markt zerstören könnte: Was ist denn „Wir machen alles platt und fangen überall bei Nummer 1 nochmal an“, wenn nicht eine Hauruck-Lösung? Wenn derzeit kein breiterer Markt besteht um sowas zu tragen, dann hätte man erstmal die Rahmenbedingungen schaffen und dann den Reset-Knopf drücken sollen. Ansonsten ist das nichts anderes als ein weiterer Schrei in der Echokammer die wir Superheldenmarkt nennen.

DC scheint hier nicht zu wissen, was es will. Und saufen und kotzen gleichzeitig, das geht halt nicht.

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MARC-OLIVER: Mein Kommentar, was die Rentabilität angeht, hat ja nichts mit Optimismus zu tun. Man muss einfach das Gesamtprogramm betrachten, und da ist es nun mal so, dass die Zahlen die letzten Jahre mehr oder weniger stabil sind, auch für DC. Klar, im gewissen Sinn ist es ein Scheitern, wenn eine Serie nach 10, 20 Ausgaben eingestellt wird, aber das ist auch eine sehr begrenzte Sicht der Dinge. Entscheidend ist, was unterm Strich rauskommt, und da war es nun schon immer so, dass bis auf ganz, ganz wenige Titel einzelne Serien eben ständig kommen und gehen. Den Verlagen ist es doch wurscht, welcher Titel auf dem Cover steht – die Ressourcen bleiben ja dieselben. Wenn sich Booster Gold nicht mehr verkauft, stellt man die Serie eben ein und lässt die Leute stattdessen Justice League International machen, dann läuft’s wieder besser. Und irgendwann kommt die nächste Serie. Das ist nichts Neues. Und insgesamt ergibt sich daraus eben ein höchst verlässlicher und rentabler Markt. Es würde gar keinen Sinn ergeben, den jetzt panikartig aufs Spiel setzen oder verlassen zu wollen.

Gerade in den letzten paar Monaten stabilisieren sich die Zahlen im US-Fachhandel übrigens wieder auffallend, speziell für DC. Es sieht also aus, als hätte man mit der fast einheitlichen Rückkehr zum Cover-Preis von $ 2,99 und der Reduzierung des Gesamtausstoßes einen positiven Effekt erzielt – und das bei immer noch 54 bis 69 neuen „DC Universe“-Heften pro Monat im Jahr 2011, wohlgemerkt. Allein von der Masse her kann man also davon ausgehen, dass der Markt mit künftig 52 „DC Universe“-Titeln pro Monat, von denen auch wieder die meisten $ 2,99 kosten werden, nicht überfordert sein wäre. (Die Cartoon-Adaptionen, also Tiny Titans und Co., gehören da übrigens nicht dazu. Die laufen separat unter dem „Johnny DC“-Banner.)

Was die Kosten angeht, bin ich skeptisch, ob Deine Rechnung aufgeht. Wenn Du ein Comicheft produzierst, hast Du schon lange vorm Vertrieb hohe Fixkosten. Autor, Zeichner, Colorist und Letterer wollen bezahlt werden, und der Fachhandel sorgt nach wie vor dafür, dass das – zumindest für Schwergewichte wie Marvel und DC – ohne Probleme möglich ist. Es herrscht hier also akut kein Zugzwang für einen etablierten Verlag wie DC. Material exklusiv digital zu produzieren, hieße nichts anderes, als ein solides, funktionierendes Geschäftsmodell gegen eins einzutauschen, das nicht einmal die reinen Produktionskosten gesichert tragen würde. Nochmal: DC und Marvel sind sehr stark an den Fachhandel gebunden, und der Fachhandel ist wiederum sehr stark an DC und Marvel gebunden. Wenn einer dieser drei ausreißt und was Unüberlegtes tut – siehe Marvels Erwerb des Heroes-World-Vertriebs Ende 1994 – dann gerät das gesamte System ins Wanken.

Im Rahmen all dessen sind die Vorstöße in Richtung eines digitalen Vertriebs, die wir in den letzten ein, zwei Jahren gesehen haben, zwar alle zögerlich. Aber es zeigt sich auch, dass die Verlage die Zeichen der Zeit erkannt haben und sich langsam – aber sicher! – in Richtung Zukunft bewegen. Klar, die meisten ihrer Comics sind immer noch seltsamer Fetischkram, und die Digitalversionen sind immer noch viel zu teuer. Aber es gibt offizielle Digitalversionen und ansprechende Formate, was selbst vor drei Jahren ja für viele noch absolute Zukunftsmusik war. Da ist noch enorm viel Luft nach oben, was Inhalte, Logistik und Preismodelle angeht, aber das ist eben ein Prozess, den der ganze Markt durchlaufen muss – und wird. Wenn wir dieses Gespräch in einem Jahr führen, sieht die Sache schon wieder ganz anders aus. Insgesamt bin ich sogar sehr überrascht von DCs Schritt. Dass wir diese Phase so schnell erreichen, hätte selbst ich nicht erwartet. (Ende 2004 hatte ich einen spekulativen Bullshit-Essay zu der Frage verfasst, wie wir US-Comics im Jahr 2014 lesen – wir liegen da ganz gut in der Zeit, würde ich sagen.)

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BJÖRN: Inzwischen wissen wir etwas mehr über den DC-Reboot: Der scheint tatsächlich nicht auf Null zurückzugehen. Wir haben mit Red Hood and the Outlaws eine Serie, in der Jason Todd vorkommen wird und Nightwing #1 wird damit beworben, dass Dick Grayson Nightwing wird, nachdem er zuvor das Cape Batmans getragen hat. Was bedeutet das? Sind A Death in the Family und Final Crisis damit weiterhin Teile des neuen DC-Universums?

Auch einige andere andere Elemente lassen mich verwirrt dreinblicken. Das Promo-Bild für die neuen Teen Titans sieht so aus, als wäre es direkt aus 1994 in unsere Zukunft geflohen. Groteske Anatomie bei Superboy und die Arme von The Darkness bei der Figur unten links miteingerechnet. Und während man den Zeichnern einen Brief schickt, dass sie pünktlich abzuliefern und bis Oktober drei Ausgaben vorzulegen haben, also offensichtlich größere Verzögerungen verhindern will, wird für Hawk & Dove als Zeichner Rob Liefeld angekündigt. Denn wenn ich an Pünktlichkeit denke, denke ich an Rob Liefeld.

Das alles klingt mir nicht übermäßig vertrauenserweckend. Wie seht ihr das?

MARC-OLIVER: Inhaltlich seh ich da auch eher schwarz, zumindest, was den Aspekt der größeren Zugänglichkeit angeht. Ich kann im Großen und Ganzen nicht erkennen, dass man sich von den alten Strukturen und Unzulänglichkeiten wirklich verabschieden will, und das wäre bitter nötig, wenn man es wirklich auf „neue Leser“ abgesehen hätte. Allein DC-Herausgeber Dan DiDios Äußerungen zu dem Thema lassen mich schon die Hände überm Kopf zusammenschlagen. „Jetzt haben wir die Gelegenheit, die Leser zwar nicht ganz am Anfang abzuholen, aber doch an einem Punkt, wo unsere Figuren jünger und die Geschichten zeitgemäßer sind.“ Was soll das heißen, „zwar nicht am Anfang, aber…“? Will man einen Schnitt machen oder nicht?

Besonders einladend finde ich solche weltfremden, hoffnungslos verklausulierten Sprechblasen als Leser nicht. Das ist eine reine Katastrophe. Wenn es kein astreiner „Reboot“ ist, hätte man sich die ganze Aktion ja auch ganz sparen können. Und wenn ich sehe, wen die teilweise schreiben und zeichnen lassen, ist das auch wenig vertrauenerweckend. Rob Liefeld? Brett Booth? Und Zeichner wie David Finch, Ethan Van Sciver oder Francis Manapul dürfen ihr Glück als Autoren versuchen? Ich gönne denen ja ihre Schecks, aber den Mund macht man mir mit solchen Ankündigungen eher nicht wässrig.

Andererseits: Wenn man die einzelnen Serien für sich betrachtet, gibt’s schon auch einiges, was mich interessiert. Batman von Snyder und Capullo, Swamp Thing von Snyder und Paquette, Wonder Woman von Azzarello und Chiang, StormWatch und Demon Knights von Cornell, Animal Man und Frankenstein von Lemire, Justice League Dark von Milligan… sogar Red Hood and the Outlaws („Rotkäppchen und die Banditen“…!?) von Scott Lobdell und Kenneth Rocafort finde ich als alter Fan von Lobdells mitunter völlig sinnbefreiten, dabei aber meistens ungemein spaßigen Action-Reißern sehr verlockend. Und das neue Action Comics von Grant Morrison und Rags Morales ist natürlich Pflicht. Da sind erstaunlich viele Sachen, die mich interessieren – viel mehr als derzeit bei Marvel, etwa.

Aber: Die Unzulänglichkeit oder gar Inkompetenz der DC-Redaktion, ihre Kreativen kreativ sein zu lassen, die oft noch viel groteskere Züge als bei Marvel annimmt, schwebt als großes Fragezeichen über allem. Ich hab vor, mir einige dieser Serien anschauen, aber sobald ich auch nur den Hauch eines Crossovers oder sonstiger Mätzchen spüre, bin ich schneller wieder weg, als die bis drei zählen können. Für so’n Scheiß bin ich zu alt. Es gibt genug andere geile Comics, die gelesen werden wollen.

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FRAUKE: DC könnte mich durchaus als Neuleser gewinnen, wenn die digitalen Versionen auch international und aufm PC zugänglich sein werden. (Bei Dark Horse funktioniert’s, da habe ich schon digital gekauft und gelesen – und zwar geht das sowohl über das normale Internet als auch über die iPhone-App. Sehr gut durchexerziert von Dark Horse!)

(Die DC-)Superhelden haben mich nie sonderlich interessiert, aber bei ein paar der viel versprechenderen Autoren oder für mich persönlich interessanteren Reihen (zugegebenermaßen wäre ich z. B. ein Lesekandidat für die Apollo/Midnighter-Reihe) wäre ich neugierig genug, ein paar Euro zum Antesten auszugeben.

Ich glaube aber nicht, dass es mich genug interessiert, um es vorzubestellen und dafür unbedingt zum Comicladen zu stiefeln – insofern würde bei mir das Digitalangebot ziehen. Insbesondere, da ich nicht scharf darauf bin, hier Tonnen von Heftchen rumliegen zu haben. Entweder ist der Comic toll genug, dass ich mir später einen entsprechenden Sammelband zulegen würde, oder so enttäuschend, dass ich eh nicht mehr als einmal reingucke. Und für diese Entscheidung (und das evtl. erste Lesevergnügen) reicht mir die Bildschirmvariante.

Und wie gesagt – es interessiert mich wirklich, ob/wie DC auf längere Zeit die Händler unterstützen will. Denn vermutlich geht es vielen Leuten so wie mir.

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ANDI: Ich bin zunächst einmal erstaunt, dass „Flashpoint“ so relativ kurz nach „Brightest Day“ inklusive mehrerer Serien-Neustarts und eines neuen Status Quo für einige DC-Helden, angesetzt wurde. Das wirkt nicht gerade vorausschauend und langfristig geplant.

Was ich bisher an Promo-Bildern für die neuen Serien gesehen und an Teaser-Texten gelesen habe, klingt teils, als ob man gerne einen Reboot in Marvels „Ultimate“-Stil vorgenommen hätte, aber aus Angst vor der eigenen Courage (und den Fans) dann doch lieber etwas in der Art von „Heroes Reborn“ durchzieht. Und daran erinnere ich mich mit einer tiefen Stirnfalte… Mit Jim Lee, Rob Liefeld (?!) und Brett Booth sind ja auch gleich drei der für „Heroes Reborn“ Verantwortlichen mit an Bord. Ob es dann nach einem Jahr vielleicht heißt, die ganze „Flashpoint“-Kontinuität existiert nur in einem „Taschenuniversum“, das irgendein übermächtiger Superheldenspross geschaffen hat, und am Ende geht es wieder zurück ins altbekannte DC-Universum? So als Hintertürchen, wenn alles schief läuft? Wie auch immer, man muss „Heroes Reborn“ bei aller angebrachten Kritik an den damaligen Storys immerhin zugute halten, dass die Comics sehr zugänglich für Neuleser waren und sich damals auch die Verkaufszahlen der betroffenen Serien (vorübergehend) steigerten. Und darum scheint es ja auch hier vor allem zu gehen.

Ein glatter Neuanfang für DC-Helden, die eine notorisch verwirrende Vergangenheit voller Neuinterpretationen mit sich rumschleppen, wie z.B. Hawkman, Firestorm oder die Legion of Super-Heroes, kann eigentlich nur eine Verbesserung sein. Schaut man sich den Reboot des Star-Trek-Franchises oder im kleineren Rahmen der Spider-Man-Comics nach „Brand New Day“ an, kann ein derartiger Schritt auch toll funktionieren. Was mich aber verwundert, ist diese Halbherzigkeit, die hier an den Tag gelegt wird: Es gibt Reboot-Serien, bei denen augenscheinlich radikale Änderungen vorgenommen wurden – wie Superman/Action Comics und Teen Titans – und dann wieder solche, bei denen es (fast) weiterläuft wie bisher, z.B. Legion of Super-Heroes von Paul Levitz und Francis Portela. Laut Dan DiDio „probably one of the books you’ll see the least amount of change taking place“. Vermutlich hat man sich nicht getraut, Legion-Überautor Levitz seine gerade erst gestartete Comeback-Serie unter den Fingern umzumodeln…

Als zwar nicht ständiger, aber Immer-wieder-mal-DC-Leser empfand ich die über lange Jahre gewachsene Komplexität des DC-Universums aller Probleme zum Trotz jedoch eigentlich immer als ein Plus, als einen (figuren-)geschichtlichen Hintergrund, vor dem die Heldinnen und Helden, ihre Handlungen und Beziehungen zueinander erst wirklich eine gewisse Tiefe bekamen. Klar, man hatte oft keine Ahnung, warum Held X ein Problem mit Heldin Y hatte, aber irgendwie bekam man dann ja doch mit, dass sie eine Version seiner zur Schurkin mutierten Ex-Freundin aus einer alternativen Zukunft ist. Dieses Gefühl, dass alles und jeder eine lange Geschichte hat und man diese bei Bedarf sogar in Comicform nachlesen kann, macht doch bei Langzeiterzählungen immer den besonderen Reiz aus.

Beim Reboot wird zwar offenbar einiges an alter Kontinuität erhalten bleiben oder nur leicht modifiziert, aber gleichzeitig auch viele Ereignisse, Beziehungen und Entwicklungen aus der Vergangenheit der Figuren gestrichen. Und wenn man eine Comic-Heldin wie Orakel/Barbara Gordon, die sich nach beendeter Batgirl-Karriere und dem Hüftschuss durch den Joker im Rollstuhl sitzend zu einer der stärksten weiblichen DC-Figuren entwickelte, zugunsten eines Neuanfangs als Batgirl aufgibt bzw. „rebooted“, erscheint mir das eher wie ein Rückschritt.

Aber wie auch immer: Ein endgültiges Urteil über den Inhalt der neugestarteten Serien kann man sich ja erst bei deren Erscheinen bilden. Und ein paar der neuen Kostümdesigns, Kreativteams und Serienprämissen wie Animal Man von Lemire und Foreman, Wonder Woman von Azzarello und Chiang, Legion Lost von Nicieza und Woods und das Konzept der Anthologie-Reihe DC Universe Presents sprechen mich durchaus an. Letztendlich zählt beim Ganzen ja eh nur eins: ob die Comics Spaß machen oder nicht.

Was meint Ihr dazu, liebe COMICGATE-Leser? Eure Meinung ist gefragt!


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Abbildungen: © DC Comics