Der DC-Verlag stellt ab August alle neuen Superhelden-Comics sofort als Download bereit. Gleichzeitig soll das „DC-Universum“ genullt und in 52 Serien neu gestartet werden.
Ab Ende August 2011 sollen alle Superhelden-Comics des US-amerikanischen DC-Verlags gleichzeitig in gedruckter und in digitaler Form erhältlich sein, wie DC am Dienstag auf seiner Website ankündigte. Die Online-Offensive geht einher mit einem Neustart des DC-Superhelden-Universums. Den Anfang soll am 31. August die Reihe Justice League von Autor Geoff Johns und Zeichner Jim Lee machen, 51 weitere Serien sollen im September debütieren, so ein Bericht der Tageszeitung USA Today.
Die Angebote der meisten US-Comic-Verlage sind zwar prinzipiell schon seit längerer Zeit online abrufbar, doch die Branchenriesen Marvel und DC hatten offizielle digitale Versionen bisher nur mit erheblicher Verzögerung verfügbar gemacht. Das sogenannte „Day & Date“-Verfahren, das die gleichzeitige Print- und Online-Veröffentlichung vorsieht, war erst seit 2010 bei wenigen ausgewählten DC- und Marvel-Titeln zur Anwendung gekommen. Der Fachhandel, der angesichts der neuen Publikationswege den Verlust seiner Kunden befürchtet, war davon wenig angetan.
Dass man sich bei DC dieser großen Sorge sehr bewusst ist, zeigt ein vom Branchen-Blog The Beat veröffentlichter Brief, in dem DC-Vertriebschef Bob Wayne die Händler von den Plänen des Verlags in Kenntnis setzte. Die Ankündigung der „Day & Date“-Initiative überliest man dabei leicht: Wayne erwähnt sie in einem knappen Absatz, in der Mitte des Schreibens begraben, und beeilt sich daraufhin, den Händlern „einen innovativen Mix aus Publicity, Promotion und Händler-Incentives“ zu versprechen, „zur Maximierung der Gelegenheiten, ihre DC-Verkäufe zu erhöhen.“
In einem zweiten Händler-Brief, ebenfalls bei The Beat zu finden, wird Wayne konkreter. Der Verlag will den Absatz gedruckter Hefte künftig offenbar dadurch sichern, dass am Veröffentlichungstag kein Online-Exemplar weniger als die entsprechende Print-Ausgabe kosten soll.
Erst nach vier Wochen, wenn im Normalfall die nächste Ausgabe ansteht, soll der Preis der digitalen Episoden um einen US-Dollar sinken. Außerdem sollen in Einzelfällen weitere Anreize für den Kauf von Print-Ausgaben gesetzt werden, sowohl für Endkonsumenten als auch für Fachhändler. Diese reichen von Sonderrabatten und exklusiven Variant-Cover-Editionen über sogenannte „Combo Packs“ (versiegelte Print-Ausgaben mit Download-Code) bis hin zu der nur in Ausnahmefällen gegebenen Möglichkeit für Fachhändler, nicht verkaufte Hefte ab einer bestimmten Abnahmemenge an den Verlag zurückschicken zu können.
Die beiden DC-Herausgeber Jim Lee und Dan DiDio erklärten gegenüber USA Today die Motivation für die vertriebliche und inhaltliche Neuorientierung des Verlags.
„Leute, die noch nie ein Comicheft gekauft haben, sollen die Chance erhalten, sich unsere Comics herunterzuladen und auf ihren tragbaren Geräten anzuschauen“, sagte Lee. „Die Möglichkeit, auf Knopfdruck Zugang zu unseren Comics zu erhalten, wird uns eine Menge neue Leser bescheren.“
DiDio betonte, dass auch der Zuschnitt der Geschichten selbst dabei eine wichtige Rolle spielt. „Wir wollen unseren Figuren und ihrer Welt wirklich neues Leben einhauchen“, sagt er. „Jetzt haben wir die Gelegenheit, die Leser zwar nicht ganz am Anfang abzuholen, aber doch an einem Punkt, wo unsere Figuren jünger und die Geschichten zeitgemäßer sind.“
Die ersten elf geplanten Titel der Radikalkur versprechen nun allerdings wenig Neues. So sollen neben Justice League, wo vor allem Aushängeschilder wie Superman, Batman, Wonder Woman, Green Lantern, Flash und Aquaman zum Zuge kommen, auch bewährte Serien wie Wonder Woman und The Flash gleich wieder durchstarten. Hinzu kommen Titel mit den Helden Green Arrow, Aquaman, Hawkman, Firestorm, Captain Atom und Deadman – Figuren aus der zweiten und dritten Reihe also, die immer wieder einmal mit mehr oder weniger Erfolg aufgewärmt wurden.
Der schwarze Superheld Mister Terrific, erstmals 1997 in Erscheinung getreten, soll ebenfalls seine eigene Serie erhalten.
Mit Johns und Lee hat man dabei ein zumindest kommerziell vielversprechendes Gespann als Bannerträger des Neustarts gewählt. Auch Wonder Woman von Autor Brian Azzarello (100 Bullets) und Zeichner Cliff Chiang (Human Target) und Aquaman, geschrieben von Johns und gezeichnet von Ivan Reis (Green Lantern), werden sicher ihre Anhänger finden.
Doch auch die angekündigten oder unter Insidern gehandelten Autoren und Zeichner sind letztlich allesamt Namen, die bereits seit geraumer Zeit für DC tätig sind: Die folgsamen, bisher bestenfalls blass gebliebenen Notnägel J.T. Krul und Eric Wallace kommen zu weiteren Einsätzen; die beliebten Zeichner Ethan Van Sciver, Tony Daniel und Francis Manapul dürfen sich zur Abwechslung mal als Autoren versuchen; und der wackere Dan Jurgens liefert weiter Hausbackenes und Nostalgisches für Freunde der 1980er und 1990er, zum einen als Autor einer Neuauflage von Justice League International, zum anderen als Zeichner von Green Arrow. Am wenig erbaulichen Gesamteindruck kann selbst das Gerücht einer neuen Superman-Reihe des schottischen Querdenkers Grant Morrison nicht mehr viel rütteln – auch das gab’s ja schon mal, vor nicht allzu langer Zeit.
Dennoch verspricht DiDio im Gespräch mit USA Today, dass auch neue Gesichter bei DC Einzug halten sollen. „Wir werden neue Autoren und Künstler im DC-Universum sehen, die neue Duftmarken setzen“, sagt er. „Wir wollen wirklich, dass unsere Hefte eine neue Energie und Begeisterung ausstrahlen.“
Man darf also gespannt sein.
Zugänglichere und eigenständigere Serien wären DC sicher zu wünschen, denn der Verlag setzte zuletzt auf immer ausbordendere „Crossover“-Spektakel, in denen mehrere Reihen miteinander verknüpft und die Grenzen zwischen einzelnen Serien verwischt wurden – und das zu einem Grad, der allenfalls noch für eingefleischte Fans nachvollziehbar ist, geschweige denn reizvoll.
Auch sonst bewies man in den letzten Jahren nicht immer ein glückliches Händchen. Kreative mit großen Namen verspürten nur noch selten Lust, für DC zu arbeiten, und selbst wenn, wurden sie oft von fragwürdigen Bedingungen oder Vorgaben des Verlags vergrault. Vielversprechende Jungtalente wurden zur Ausführung austauschbarer, von Redakteuren diktierter Geschichten verdonnert und damit eher verheizt denn als Marken aufgebaut. Angekündigte Autoren- und Zeichnerteams wurden immer wieder in letzter Minute geschasst und bereits begonnene, großspurig beworbene Projekte auf halber Strecke wenig elegant umgekrempelt oder ganz verworfen.
Das sind die Probleme, die den Verlag derzeit plagen. Inwiefern man sie bei DC mit dem Neustart erkannt und abgestellt hat, muss sich erst noch zeigen.
Unabhängig vom inhaltlichen Aspekt wird der entschlossene Schritt zu einer konsequenten, sofortigen Veröffentlichung im digitalen Format allerdings bleibende Spuren hinterlassen. Denn wenn einer der beiden US-Riesen im Comicgeschäft einen Schritt von solcher Tragweite wagt, ist es erfahrungsgemäß nur eine Frage der Zeit, bis der andere – in diesem Fall Marvel – nachzieht. Die mittel- und langfristigen Folgen dieser Entwicklung bergen Sprengstoff für alle Ebenen des US-Markts und sind noch nicht absehbar, auch was Lizenzmärkte wie den deutschen Sprachraum anbelangt.
Abbildungen: © DC Comics