„Götterdämmerung“ ist einer jener Comicbände, nach deren Lektüre man geradezu erschöpft ist. Die Menge an epischen Bildfolgen, die einem Alex Alice im abschließenden, 80-seitigen Band seiner Trilogie um den germanischen Mythenhelden auftischt, ist wirklich enorm. Nach „Siegfried“ und „Die Walküre“ schöpft der Urgewalten-Fan Alice zeichnerisch und erzählerisch noch einmal aus den Vollen, um dem gewichtigen Titel gerecht zu werden – und es gelingt ihm. Siegfrieds Kampf mit dem zum monströsen Drachen mutierten Nibelungen Fafnir und die Konfrontation mit dem Göttervater Odin strotzen nur so vor beeindruckender Bildgewalt. Viel länger als zum Lesen notwendig, verweilt man unwillkürlich auf vielen Seiten, um sie sich entfalten und wirken zu lassen.
Erfreulicherweise hat der Künstler bei allem grafischen Getöse das Augenmerk für seine Figuren nicht verloren. Anstatt im zeichnerischen Special-Effects-Gewitter unterzugehen, bekommen sowohl Titelheld Siegfried, als auch sein Ziehvater Mime, die hier namenlose Walküre (die aber eindeutig eine Version von Brünhild aus der Nibelungensage ist), Obergott Odin und gar der Lindwurm Fafnir ihre starken Charaktermomente und damit Profil, was verhindert, dass der Comic zum zwar wunderschön anzusehenden, aber leeren Spektakel wird. Es empfiehlt sich übrigens, die drei nun vollständigen Bände am Stück zu lesen, um in den Genuss von Alices erzählerischem Spiel mit den Zukunftsvisionen der Seherin Völva zu kommen, die bruchstückhaft Teile der Geschehnisse bereits im Vorfeld enthüllte, was aber erst bei der vollständigen Lektüre ein stimmiges Ganzes ergibt und das schöne Gefühl erzeugt, es mit einer von Anfang an detailliert geplanten Comicerzählung zu tun zu haben.
Wagner-Puristen seien an dieser Stelle noch einmal gewarnt, dass sich die Comictrilogie trotz der Übernahme der Operntitel nur in Teilen an den Ring-Zyklus anlehnt und hier hauptsächlich an die drei Aufzüge der „Siegfried“-Oper, ergänzt und vermischt mit Motiven aus den anderen Opern der Tetralogie und Alices eigenen Ideen. Die zugrunde liegende Nibelungensage wird in dieser Comicadaption in vielerlei Hinsicht vereinfacht und kondensiert, was überraschenderweise weniger eine (vom Rezensenten) befürchtete „Nibelungen-Light-Fassung“ ergibt, als vielmehr den Stoff zu seinen mythischen Wurzeln zurückführt. Durch die Reduzierung auf die wichtigsten Konflikte und Figuren und die Hervorhebung der Urempfindungen Gier und Liebe als treibende Kräfte hinter jeder Handlung, wird Siegfried eine echte „Larger than Life“-Sage.
Ob man Alices im Gegensatz zum Opernfinale milderes und versöhnlicheres Ende gutheißt, ist wohl Geschmackssache. Es steht seinem Comicepos jedoch ohne Frage äußerst gut.
Wertung:
Ein gewaltiger Bildersturm, in dem die Figuren aber nicht untergehen, als krönender Abschluss der Trilogie
Siegfried 3 – Götterdämmerung
Splitter Verlag, 2012
Text und Zeichnungen: Alex Alice
Übersetzung: Tanja Krämling
80 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 15,80 Euro
ISBN: 978-3-940864-23-9
Leseprobe
Abbildungen © Alex Alice , der dt. Ausgabe: Splitter Verlag