Rezensionen

Leroy & Dexter

leroydexter.jpgNano liegt zwischen Mikro und Piko und steht für den milliardsten Teil einer Maßeinheit. Mit anderen Worten: Unglaublich winzig. So klein, dass einem schummerig wird, wenn man länger drüber nachdenkt. Leroy und Dexter sind Forscher im Nanoformat (Müsste man sie „Nanoben“ nennen?), die sich ihrer Winzigkeit bewusst sind und innerhalb ihres skurrilen Mikro-, Verzeihung, Nanokosmos den großen und kleinen Fragen des Daseins auf den Grund gehen. Sie treffen dabei auf drollige Hormone, betreiben Kernspaltung von Hand, verzocken ihre Kohle beim Spermarennen und werden von anarchistischen Freien Radikalen heimgesucht.

Neben der altbekannten, aber immer wieder gut funktionierenden Duo-Dynamik zwischen arrogantem Besserwisser (Leroy) und gutmütigem Naivling (Dexter) leben die in diesem Band gesammelten Comic-Einseiter vor allem von der geballten Experimentierfreude ihres Machers Thomas Gilke. Stil- wie Farbpalette kennen scheinbar keine Grenzen: Von Minimal- und Popart über Bildcollagen, Old-School-Superheldenlook bis zu Schulheftzeichnungen mit dickem Filzstift wird hier kaum eine Möglichkeit ausgelassen, die Farbpalette dazu von oben bis unten geplündert – ohne Scheu vor knalligen Neonkolorierungen, was oftmals eine schicke LSD-Trip-Atmosphäre erzeugt. (Passend dazu gibt Dexter in einem Strip seine ganz eigene Version von „Lucy in the Sky with Diamonds“ zum Besten.) Selbst die flacheren Kalauer, die bei einem in kurzen Abständen regelmäßig erscheinenden (in diesem Fall wöchentlichen) Strip wohl nie ausbleiben, sind einfach zu schön verpackt, um sie nicht wohlwollend grinsend durch die Gagkontrolle zu winken. Und ab und an wird es überraschend tiefgründig, wenn sich die Nanofiguren mit existenziellen Makroproblemen rumschlagen.

leroydexter1.jpg Die Welt der beiden Forscherkollegen ist dabei nicht nur der Nanokosmos, sondern der Comicstrip an sich. Die Seiten, Panels und Sprechblasen sind für die Winzhelden materielle Umgebung und werden oftmals kreativ in die Handlung und Gags miteinbezogen. So werden Zeitreisen über mehrere Panels oder zwischen verschiedenen Strips unternommen und Seitenlayouts von den Figuren demoliert. Diese selbstreferentielle, spielerische Verknüpfung von Form und Inhalt des Comics sind neben allem Spaß auch eine netter Fingerzeig auf oft unbeachtete Möglichkeiten des Mediums.

Unter den 111 in diesem schön designten Hardcover gesammelten Episoden findet sich außerdem eine ganze Reihe von illustren Gastbeiträgen aus den Zeichenfedern von unter anderem Leo Leowald, Kai Pfeiffer und Fil, der auch das beinahe seriöse Vorwort lieferte. Bei manchen vermeintlichen GastzeichnerInnen handelt es sich jedoch um Phantomkünstler, unter deren Anagramm-Namen Gilke noch mehr stilistische Abwechslung kredenzt (z.B. die großartig-minimalistischen Strips mit den Körperzellen Judith und Werner) – eine extrem unterhaltsame Spielart von künstlerischer Schizophrenie.

leroydexter2.jpg Die Entstehungsgeschichte der Stripserie ist übrigens fast genauso abstrus, wie die Abenteuer von Leroy und Dexter: Basiert das Ganze doch auf Comicfiguren, die in Sputnitschick, einem sowjetischen Jugend(propaganda)magazin für die ehemaligen Ostblockländer Ende der 1970er/Anfang der 1980er auftraten. Nach Entdeckung dieses schrägen Kleinods aus der Ära des Kalten Krieges beschloss Gilke, dem Comic neues Leben zu bescheren. (Hätte der Schreiber dieser Zeilen die russischen Originale nicht mit eigenen Augen in einer Ausstellung auf dem Comicfestival München gesehen, hätte er das wohl kurzum als recht kreative Märchengeschichte abgetan.) Ursprünglich erschien seine Neuinterpretation auf der von Ulli Lust herausgegebenen Onlineplattform electrocomics.com. Und das macht Leroy & Dexter zu einem bestechenden Plädoyer für Webcomics als Hort der kreativen Entfaltung. Denn eine Zeitung hätte sich wohl kaum an den Abdruck dieses Strips gewagt. Doch schön, dass es jetzt auch diese ausgesprochen feine Printversion gibt. Denn nur fürs Netz ist ein Comic wie Leroy & Dexter viel zu schade.*

 

* Obwohl der Autor die Vorteile von Webcomics anerkennt und sie als willkommene Bereicherung sieht, bevorzugt er Printcomics gnadenlos, was mit Sicherheit nicht fair ist. Aber dafür ehrlich.

Leroy & Dexter
Avant-Verlag, Juni 2009
Text und Zeichnungen: Thomas Gilke
Hardcover, farbig, 134 Seiten, 19,95 Euro
ISBN: 978-3-939080-35-0

 

 Gut

Einer der skurrilsten und experimentierfreudigsten Comicstrips der letzten Jahre!


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Abbildungen © Thomas Gilke, Avant-Verlag