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Holy Terror (US) – Rezension von Daniel Wüllner

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Holy TerrorEs ist Nacht in Empire City. Während die Bürger friedlich schlafen, prasselt der Regen unerbittlich auf die blinde Justizia ein. Regungslos wacht die Statue an derselben Stelle, an der im wirklichen New York die Freiheitsstatue ihren Dienst ableistet. Die Exposition von Frank Millers lang erwarteter Graphic Novel Holy Terror (die heute in den USA erscheint) sieht aus wie die Einleitung zu einem düsteren Batman-Comic. Fehlt nur noch der dunkle Ritter selbst, der über seine Stadt und ihre schlafenden Bürger wacht, und natürlich sein Gegenspieler.

Wie zwei Schatten in der Nacht tauchen die ersehnten Figuren über den Dächern von Empire City auf. Doch statt Catwoman wird die agile Diebin Natalie Stack nicht von Batman, sondern vom ebenfalls maskierten The Fixer verfolgt. Leicht verwirrt nimmt man den Heldenwechsel hin und genießt die grafisch brillante Verfolgungsjagd. Nahtlos knüpft Miller an die Ästhetik seiner Sin City-Comics an: Innere Monologe, ganzseitige schwarze Layouts und darauf weiße Linien, die wie mit einem Malerpinsel dynamisch geschwungen erscheinen und dennoch präzise gezogen sind.

Ist Justizia blind?Typisch für Millers grafischen Stil wechseln sich die Farben ab: Mal dient das Weiß als Akzentuierung und das Schwarz als Hintergrund, mal ist es genau umgekehrt. Der anschauliche Effekt ist ein prasselnder Regen, der das dynamische Duo über die Skyline von Empire City begleitet. Miller unterteilt die Seiten in gleichgroße Panels. Absichtlich hinterlässt er auf dem nun weißen Hintergrund schwarze Fingerabdrücke, um sein Handwerk zu suggerieren und seine Meisterschaft darin zu veranschaulichen.

Das Timing der Verfolgungsjagd ist unnachahmlich. Fast schwerelos drehen die Körper ihre Pirouetten in der Luft, bis sie endlich hart auf einem Flachdach aufschlagen. Dort beginnt der endlose Kampf zwischen Gut und Böse. Die bezaubernde Ästhetik des Flugs weicht einem schnellen und harten Schlagabtausch. Sowohl The Fixer wie auch Natalie stecken ein und teilen aus. Blut spritzt. Kleine Panels werden eingeschoben, um eine geplatzte Lippe oder eine zusätzliche Bewegung darzustellen.

Ihr Kampf wirkt eher wie ein erotisches Spiel, ein Balztanz. Ihre Hassliebe ist ein direkter Verweis auf die Beziehung von Catwoman und Batman, der ursprünglich als Held von Holy Terror, Batman! vorgesehen war und Osama niederschlagen sollte. Obgleich Miller zu verstehen gab, dass Superhelden für ihn ausgedient hätten, sind Natalie und The Fixer die perfekten Doppelgänger der wirklichen DC-Helden. Ihr Scharmützel endet aber nicht in einer Festnahme, sondern in einem wildromantischen tête-à-tête auf irgendeinem Häuserdach. Doch eine „slow night“ werden die beiden nicht genießen können.

Ganz ohne Vorwarnung bricht das Chaos los. Nägel und Rasierklingen fliegen durch die Luft. Was zuvor nach Schwerelosigkeit aussah, wird nun in ihr Gegenteil verkehrt. Explosion um Explosion lässt die Helden gegen die Wand klatschen. Nur am jeweils Anderen können sie sich festhalten. Sie sinken zusammengekauert aneinander, können kaum atmen.

Ästhetische VerfolgungsjagdDies ist die Katastrophe, die Miller darstellen wollte, die Anschläge vom 11. September 2001, die ihn selbst in seinen Grundfesten erschüttert haben. Seine Schwarz-Weiß-Kontraste fangen das Grauen und die Bestürzung anschaulich ein.

Erst nachdem sich der Rauch verzogen hat, können die beiden wieder durchatmen und das ganze Ausmaß der Katastrophe betrachten. Ihr Blick wird zum Blick des Lesers: Auf vielen kleinen Panels sieht man die anonymen Gesichter der Opfer, die ganz langsam ausbleichen. Am Ende gibt es nur kleine weiße Rechtecke, die die Seiten mit Reigen von weißen Grabsteinen übersähen. Die Helden sind sichtlich geschockt. Vor zehn Jahren endeten die meisten Superhelden-Erzählungen genau an dieser Stelle.

Doch Frank Millers Geschichte geht leider weiter. Denn seine Helden lassen sich nicht einschüchtern, sie kämpfen bis zum bitteren Ende.

Ohne groß nachzudenken – dafür ist in Holy Terror kein Platz – schlagen sie zurück. Das perfekte Feindbild offenbart sich sofort: Die promiskuitive Muslima Amina. Da wo sie herkommt, trinke man keinen Alkohol, gibt sie ihrem Verehrer zu verstehen. Dafür trägt, zumindest nach Millers Auffassung, scheinbar jeder Muslim in New York einen Bombengürtel. Seine radikal-konservative Einstellung wirkt sich auch auf seinen Zeichenstil aus: Ab der Mitte des Comics bricht das fein austarierte Gleichgewicht von Schwarz und Weiß zusammen. Zum Vorschein kommen teilweise krude Zeichnungen und noch krudere Rachefantasien.

Legitimiert werden diese Gedanken durch eine Collage überzogenen karikierter Portraits von politischen Führern wie George W. Bush, Vladimir Putin, Ariel Sharon, Donald Rumsfeld und Barack Obama, Mahmud Ahmadinedschad, Muammar al-Gaddafi und Kim Jong-il, aber auch von Michael Moore und von einem Bild einer öffentlichen Steinigung. Auch wenn die Collage zweideutig ist, liefert Miller damit keine sinnvolle Erklärung für die nachfolgenden drastischen Handlungen des Fixers.

Auserkorenes FeinbildWie ein Kleinkind mit Actionfiguren in der Hand ersinnt Miller seinen eigenen grafischen Jihad gegen das angebliche Böse. Die Waffen nehmen an Größe zu und der Bodycount steigt, je kruder Millers Zeichnungen werden. Unterlegt wird das Massaker mit billigen Witzen, die man noch aus dem Zweiten Weltkrieg kennt, als Captain America gegen die Nazis kämpfte: The Fixer schleudert einem „Jihad“-Rufer ein sarkastisches „Gesundheit“ entgegen, bevor er diesen vom Dach tritt. Gefangene Islamisten werden erst gefoltert, um an Informationen zu kommen, bevor sie anschließend dann doch in die Luft gesprengt werden. Alles ganz ohne zivile Opfer und somit gerecht, versteht sich. Anstatt zu verhandeln, gibt The Fixer zu verstehen: „We engage in postmodern diplomacy.“

Wie ist ein Comic zu bewerten, dessen erste Hälfte Millers grafische Meisterklasse in all ihrer Präzision zeigt, dessen zweite Hälfte aber seine Rachefantasien gegen den Islam unverklärter kaum ausdrücken kann? Mit Sin City, Ronin und Daredevil bewies Miller schon immer einen Hang zum zähneknirschenden Realismus und einer Brutalität, die oft die Grenze des guten Geschmacks übertrat, doch ließen diese Comics immer noch Platz für moralische Graustufen. Die sind in Holy Terror nicht mehr auszumachen. Dafür verbirgt sich hinter jedem Moslem ein Terrorist und unter jeder Moschee eine geheime Basis von al-Qaida. Unter dieser Voraussetzung ist Frank Millers neuester Comic nicht weit von Leni Riefenstahls Filmen entfernt. Aber wahrscheinlich hat Miller mit Holy Terror seinen Frieden gefunden, oder wie The Fixer sagt: „I am at peace and at war.“

 

Wertung:

Grafische Propaganda eines großen Comic-Künstlers 

Zweite Meinung: Holy Terror-Rezension von Björn Wederhake

 

Holy Terror
Legendary Comics
Text und Zeichungen: Frank Miller 
120 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 29,99 US-Dollar
ISBN: 978-1937278007
Leseprobe (PDF)

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Abbildungen © Frank Miller, Legendary Comics LCC