Victoria Francés gilt seit einigen Jahren als Star der dunklen Szene, ihr Hauptwerk Favole als moderner Klassiker. Cross Cult sammelt in seiner Gesamtausgabe die komplette Trilogie in einem Band und ergänzt sie um die Kurzgeschichte „Angel Wings“, welche damit zum ersten mal in deutscher Sprache vorliegt.
Eigentlich handelt es sich bei dem Werk der Spanierin nicht um einen Comic, dafür fehlt die unmittelbare sequentielle Verbindung von Wort und Bild. Lediglich der große Bildanteil auf jeder Seite macht die Geschichten von der optischen Rezeption abhängiger als dies bei einem Roman der Fall wäre, bei dem Abbildungen im Normalfall eher sporadisch eingestreut werden.
Was Favole ebenfalls von der gängigen Comicdefinition unterscheidet, ist die starre Darstellungsform der Zeichnungen, die sehr porträthaft wirken (z.B. sind die illustrierten Protagonisten oftmals in einer Pose, die wenig mit dem Text zu tun hat und sie schauen direkt den Leser an) und eher den Eindruck vermitteln, dass zuerst die Bilder entstanden und um diese herum dann nachträglich eine Story entstand.
Favole lässt sich auch nicht als eine einzige prosaische, bebilderte Erzählung mit kohärentem Handlungsbogen verstehen, vielmehr werden knappe Szenen aneinandergereiht, die lose durch die Titelfigur, das mysteriöse Mädchen Favole, verbunden sind. Sie verliebt sich in einen Vampir, die Stories changieren mit Pathos und einer plastischen Expression von Emotionen zwischen Melancholie, Romantik und Horror.
Das vorherrschende Schwarz, die mittelalterliche Kleidung und die gotischen Welten sorgen für reichlich Stimmung, Francés‘ Zeichnungen sind wirklich ausdrucksstark und malerisch schön, selbst ich als Nicht-Gothic-Experte kann dem einiges abgewinnen.
Das Problem: Lässt man sich nicht nur von den Illustrationen faszinieren, sondern legt auch Wert auf die eigentlichen Texte, muss man schon viel Motivation mitbringen, sich durch das Buch zu kämpfen. Alles wiederholt sich auf den ersten Blick irgendwie, die schwülstigen Charakterbeschreibungen, die kitschige Dramaturgie. Fairerweise sei gesagt, dass ich vielleicht auch nicht zu der Zielgruppe gehöre, die auf eine solche Art von literarischen Texten steht.
Noch ein paar Worte zur Verarbeitung der Gesamtausgabe: Cross Cult hat dem Band neben der bereits erwähnten Bonusstory zusätzlich noch eine ganze Reihe Skizzen im Anhang spendiert. Das Buch selbst wirkt sehr edel in Lederoptik mit Lesebändchen und roter Leuchtfarbe auf dem Cover. Dazu gibt es noch einen passenden Schuber.
Gerade weil der Band so eine edle Ausstattung aufweist, ist es umso ärgerlicher, dass das Papier nicht gerade perfekt ist. Besonders auf dunklen Seiten (und von denen gibt es viele) reflektiert das Licht stark, obwohl das Papier sich matt anfühlt. Da hätte es sicher eine bessere Lösung gegeben. Das gilt auch für den Schuber, der prompt nicht tief genug ist, als dass der Band völlig darin verschwinden könnte.
Wertung:
Schöne Bilder, zähe Texte. In Kombination eher etwas für Genrefans.
Favole
Cross Cult, September 2012
Text und Zeichnungen: Victoria Francés
Übersetzung: Sybille Schellheimer, Daniel Nussbaum
246 Seiten, farbig, Hardcover mit Schuber
Preis: 39,80 Euro
ISBN: 978-3-86425-060-6
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Cross Cult