Der erste umfangreiche Band von Cross Cult vereinte die ursprüngliche Barrow-Trilogie von Steve Niles‘ Vampircomic 30 Days of Night. Mit dem zweiten Sammelband wird der Kosmos um weitere Figuren und von der Hauptstory größtenteils unabhängige Nebenschauplätze erweitert. Wie der Titel „Jenseits von Barrow“ bereits andeutet, ist das kleine Städtchen in Alaska, an dem für einige Wochen die Sonne nicht aufgeht (und das damit der perfekte Aufenthaltsort für die Blutsauger ist), hier nicht mehr von zentraler Natur. Das tut der Marke 30 Days of Night gut und ist besser als ellenlange Fortsetzungen nur um der Fortsetzung willen; dadurch verfällt die Saga aber leider auch ein Stück weit in die Beliebigkeit. Denn von anderen Vampirstories kann man sich nun kaum mehr abgrenzen.
Interessant an diesem zweiten Sammelband sind aber ohnehin der inhaltliche Plotmix und die Unterscheidung der diversen beteiligten Autoren und Zeichner. Wie so oft bei einer Zusammenstellung unabhängiger Miniserien von unterschiedlichen Künstlern gibt es hierbei sowohl Licht als auch Schatten zu konstatieren:
Die erste Geschichte, „Dead Billy Dead“, dreht sich um einen Jungen, der unfreiwillig zum Vampir gemacht wird, einen irren Arzt, der ihn deswegen jagt und einen ehrbaren Cop, der sich auf eigene Faust in die Angelegenheit einmischt. Geschrieben von Steve Niles selbst und mit düsteren, etwas verwaschenen Bildern (nicht unähnlich dem Stil von Ben Templesmith) von Kody Chamberlain, liest sich die Handlung wie ein solide gemachter Thriller mit einigen gut platzierten Schockmomenten.
In „Juarez“, verfasst von Matt Fraction, versucht der schrullige Ex-Privatdetektiv Lex Nova Mädchenmorde aufzuklären. Die Handlung setzt zum Teil auf Comedy und insgesamt auf einen schrägen Handlungsbogen mit noch schrägeren Protagonisten. Immerhin übernimmt Templesmith hier wieder den Zeichenstift und beweist, wie gut er zu 30 Days of Night passt (auch wenn ihm hier die Düsternis von Barrow als Kulisse abgeht).
„Eben & Stelle“ ist eine direkte Fortführung der Geschehnisse aus der ursprünglichen Trilogie. In einer von Niles und Kelly Sue DeConnick (ein kurzes Interview mit ihr findet sich im Anhang der Ausgabe) erdachten Story können wir das weitere Schicksal des ehemaligen Barrower Sheriff-Pärchens verfolgen. Leider ist das Ganze erzählerisch etwas diffus geraten und kann mit Justin Randall nur mit einen Künstler aufwarten, der ebenfalls den Templesmith mimt.
Nach diesen drei durchwachsenen Episoden kommen am Ende des Bandes die echten Highlights. Und das nicht, weil die abschließenden beiden Comics deutsche Erstveröffentlichungen sind. Für „Roter Schnee“ zeichnet Ben Templesmith erstmals sowohl für Text als auch Bild verantwortlich. Die Story spielt 1941 während des Russlandfeldzuges der deutschen Wehrmacht. Trotz des Zeitsprungs ist dies ein Heimspiel für Templesmith, da er im schneeverwehten Osten ein ähnliches Szenario vorfindet wie im eisigen Alaska zuvor. Hier treffen Soldaten verschiedener Nationalitäten auf Vampire. Das Ergebnis ist höchst unterhaltsam und toll umgesetzt.
Zum Ende führt uns Steve Niles als Autor höchstselbst doch nochmal zurück nach Barrow. In „Jenseits von Barrow“ wird das Dorf nach dem Rummel um die Invasion der Blutsauger zum Magnet für abenteuerlustige Touristen. Wie das endet, kann sich jeder denken. Die Erzählung ist nicht wirklich überzeugend, bietet aber neben einigen netten Randaspekten und einer Rückkehr zum ursprünglichen Schauplatz Zeichnungen von Altmeister Bill Sienkiewicz. Allein das ist Grund zum Genießen.
Insgesamt ist zweite Band sehr zu empfehlen. Storytechnisch wie zeichnerisch gibt es Höhen wie Tiefen. Atmosphärisch bleibt sich die Serie aber treu. Über weiteres Material in dieser Form würde ich mich nicht beschweren.
Wertung:
Für Vampir- und/oder Horrorfans unverzichtbar. Der erweiterte Kosmos von 30 Days of Night ist durchaus einen Blick wert.
30 Days of Night 2 – Jenseits von Barrow
Cross Cult, Juni 2014
Text: Steve Niles, Matt Fraction, Kelly Sue DeConnick, Ben Templesmith
Zeichnungen: Kody Chamberlain, Ben Templesmith, justin Randall, Bill Sienkiewicz
420 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 39,80 Euro
ISBN: 978-3-86425-042-2
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Cross Cult