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Der Comic emanzipiert sich: ein Interview mit Manuele Fior

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Manuele Fior, 1975 im italienischen Cesena geboren, gehört spätestens seit Fünftausend Kilometer in der Sekunde (Avant-Verlag) zu den spannendsten und vielversprechendsten Comic-Erzählern Europas. Es gibt viele Zeichner, die Publikum mit Bildern beeindrucken können, aber nur wenige bringen ein so intuitives und komplettes Verständnis des Erzählmediums mit wie Fior.

Dass Fünftausend Kilometer beim Comicfestival Angoulême 2011 mit dem Preis für das beste Album ausgezeichnet wurde, ist nur konsequent. In sechs ebenso kurzen wie eindringlichen Episoden erzählt der 140-seitige, Kontinente und Jahrzehnte umspannende Band von der Dreiecksbeziehung zwischen Piero, Nicola und Lucia. Die Geschichte überzeugt vor allem deshalb, weil der Autor weiß, wann Zeichnungen und Farben mehr sagen können als Text.

Im Juni 2012 war Manuele Fior zu Gast auf dem 15. Internationalen Comic-Salon Erlangen. Comicgate hatte dort Gelegenheit, sich mit ihm zu unterhalten.

Interview und Fotos: Marc-Oliver Frisch

Manuele Fior auf dem Comic-Salon 2012

MARC-OLIVER FRISCH: Du erntest sehr viel Beifall für deine Zeichnungen, die Farben, deinen Strich. Aber was ich daran am beeindruckendsten finde, ist, wie sehr das alles im Dienst der Geschichte steht. Das ist nicht bei allen Zeichnern der Fall. Woher kommt dieses Bewusstsein, der starke Fokus darauf, erzählen zu wollen?

MANUELE FIOR: Grundsätzlich bin ich Zeichner, und meine Zeichnungen sind eher spontan. Das Geschichtenerzählen musste ich erst erlernen, wozu es ein paar Jahre und Bücher gebraucht hat. Wenn ich jemanden gefunden hätte, der mir die Geschichte schreibt, hätte ich diese Entdeckung wohl nicht gemacht, aber so habe ich mir meine eigene Art des Comic-Schreibens erfunden, die auch viel mit Improvisation zu tun hat. Also, ich mache normalerweise kein Storyboard, ich improvisiere Seiten. Wenn ich eine Seite mache, ist die Zeichnung manchmal der Geschichte untergeordnet, aber manchmal gibt die Zeichnung auch den Anstoß für eine Erzählung. In Fünftausend Kilometer zum Beispiel hab ich mit diesem Gebäude angefangen und dann geschaut, wer hinter den Türen wohnt.

Die Erzählung steckt also in der Zeichnung. Ich weiß nicht, ob ich so bewusst bin in meiner Art des Erzählens, aber meistens fange ich irgendwann an zu merken, dass einige Sachen immer wiederkommen, wie auch diese Ellipsen, diese Sprünge in der Zeit …

FRISCH: … die durch die Seiten mit den Regentropfen gekennzeichnet sind.

FIOR: Ja, ich meine, dass zwischen jedem Kapitel Jahre vergehen, diese elliptische Erzählweise, die Lücken in der Erzählung, die der Leser selber füllen muss. 

FRISCH: Fünftausend Kilometer in der Sekunde hat also damit angefangen, dass du dir vorgestellt hast, wer in dem Haus wohnt?

FIOR: Ja, und dann fange ich an, einen Dialog zu erfinden, und dann sehe ich in der Zeichnung vielleicht einen Schatten, und dieser Schatten gehört dann zu einer Figur, die auftaucht, und so habe ich viel mit Improvisation gespielt. Natürlich musst du dir danach eine Struktur, ein Skelett für die ganze Geschichte schaffen, aber die Improvisation ist für mich immer ein guter Motor für die Geschichte. Weil ich nicht weiß, was passieren wird. Daher kommt für mich die Lust, weiterzumachen. 

FRISCH: Was mir zuerst an Fünftausend Kilometer aufgefallen ist, sind die Farben — das Buch ist sehr farbenprächtig. Wolltest du von Anfang an eine Geschichte machen, die sehr stark von den Farben lebt, oder war es umgekehrt so, dass die Geschichte nach den Farben verlangt hat?

FIOR: Das graphische Aussehen war von Anfang an ganz klar. Meine Idee von Farbe kommt von der Tradition Lorenzo Mattottis. Ich hab immer gemocht, wie er Farbe benutzt: nicht um zu dekorieren, sondern um eine Atmosphäre und einen Raum für die Geschichte zu schaffen. Deswegen stand die Farbe ganz am Anfang. Und ich habe auch versucht, mit Farben zu zeichnen, noch vor der eigentlichen Zeichnung. Das hat die Zeichnungen auch sehr verändert, weil man so manchmal auf die Konturen verzichten kann. Ich wollte ein Buch machen, wo die Farbe dazu beiträgt, die Figuren zu definieren. 

FRISCH: Stehen die Farben auch für bestimmte Figuren?

FIOR: Nein, die Farben sind nicht auf bestimmte Figuren gemünzt, oder auf weiblich oder männlich oder so etwas. Sie haben mehr mit der Temperatur der Geschichte zu tun. Das ist auch eine wichtige Sache bei mir. Wenn ich an eine Szene denke, brauche ich die Temperatur – die klimatische, aber auch … 

FRISCH: … die emotionale Temperatur?

FIOR: Ja, aber eben auch die physische: das Wetter. Ich glaube, wenn du die heiße Sonne oder den Regen hast, das macht schon fünfzig Prozent von der Stimmung aus. Deswegen überlege ich mir das richtige Klima – emotional, und auch im physischen Sinn. 

FRISCH: Du hast schon bei deinen früheren Büchern stark mit Farben gearbeitet, aber bei Fünftausend Kilometer sind es sehr viel mehr als zuvor. War es schwierig, diese Farben alle so unter einen Hut zu bringen, dass sie sich nicht beißen?

FIOR: Dafür hab ich mir ein Farbkonzept entwickelt. Vielleicht ist dir aufgefallen, dass es immer nur drei Farben pro Kapitel gibt. Im ersten Kapitel gibt es zum Beispiel dieses Braun, dann Gelb und Hellblau, und das sind die einzigen Farben in dem Kapitel:

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Wenn du ins zweite Kapitel gehst, habe ich das Hellblau mit einem Dunkelblau ersetzt, aber es sind immer noch drei Farben:

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Und dann, im dritten Kapitel, habe ich das Gelb durch ein Orange ersetzt:

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Es gibt also eine Rotation der Farben: In jedem Kapitel habe ich eine Farbe ersetzt. Und diese Farbrotation ist auch eine Art des Erzählens, eine Geschichte der Farben. Und ganz am Ende, für den Flashback, kommt wieder die Kombination vom Anfang. 

FRISCH: Und der Flashback ist auch Teil der Rotation?

FIOR: Ja. 

FRISCH: Welche Farbe hast du da ersetzt?

FIOR: Also, hier waren es Braun, Hellblau und Violett:

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Und hier sind es wieder Braun, Hellblau und Gelb:

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FRISCH: Wie genau hast du diese Farbrotation vor der Umsetzung durchgeplant?

FIOR: Ich hab das erste Kapitel angefangen und im zweiten Kapitel, das in Norwegen spielt, hab ich dann einfach nur versucht, eine Farbe zu wechseln und auszuprobieren, ob das klappen könnte. Das hat es, und dann hab ich das weiter gemacht. Meine Bücher sind immer Experimente. Ich weiß nie, was am Ende herauskommt. Sie sind wie chemische Experimente. 

FRISCH: Du hast einmal gesagt, es findet eine „chemische Reaktion“ zwischen Zeichnungen und Wörtern statt.

FIOR: Ja, und auch zwischen den Figuren. Die haben normalerweise unterschiedliche Naturen, unterschiedliche Charaktere. Manchmal sind sie mir darin etwas ähnlicher, manchmal auch eher das Gegenteil von mir selber. Man findet in den Figuren auch verschiedene Aspekte des eigenen Charakters und spielt damit. 

FRISCH: Die Figuren sind also immer auch ein Teil von dir?

FIOR: Manchmal stehen sie auch für bestimmte Positionen. Wenn ich etwa nicht mutig bin, dann gibt es vielleicht eine Figur, die sehr mutig ist und Dinge tun kann, die ich nicht machen könnte. Ich habe zum Beispiel bemerkt, dass die Frauen in meinen Büchern immer die Mutigsten sind. Sie machen immer den Schritt, den ich nicht machen würde. 

FRISCH: Die Figuren tun einander oft weh, aber man hat beim Lesen trotzdem das Gefühl, dass du als Autor sehr nachsichtig mit ihnen umgehst und sie nicht verurteilst dafür.

FIOR: Ja, das ist am wichtigsten: nicht zu verurteilen. Und dass sie sich Schmerz zufügen, das ist eine Perversität (lacht). Wenn du Bücher machst, ist das auch eine Art, deine Ängste nach draußen zu schieben. Es gibt Sachen, die dir Angst machen, und die gibst du an deine Figuren weiter, und du lässt sie einander Schmerz zufügen, statt den Schmerz selber zu empfinden. Das klappt nicht immer, aber ich hab nicht den Eindruck, dass ich ein Puppenspieler bin, der alles unter Kontrolle hat, sondern eher, dass ich ein bisschen so zwischen den Figuren stehe, unsichtbar, und dass ich kucke, was passiert. Aber auf Augenhöhe, weißt du (lacht)? 

FRISCH: Man hat das Gefühl, dass du sehr viel mehr über die Figuren weißt, als der Comic preisgibt. Ist das so? Gibt es Dinge, die du außen vor gelassen hast?

FIOR: Nein, nee nee. Ich kenne das richtige Ende der Geschichte nicht, und … die einzige Sache, die ich sagen kann, ist … Es ist ein komisches Gefühl … Du wirst dich richtig … hmm … Ich liebe meine Figuren. Ich liebe sie. Jetzt auch in meinem neuen Buch. Das wird ganz anders. Also, die Hauptrolle spielt eine Figur, die fünfzig ist, und dann gibt’s ein ganz junges Mädchen. Für den Comic hab ich vier Jahre gebraucht, und du lebst vier Jahre mit diesen Figuren, und am Ende haben sie ihren eigenen Weg gefunden, der nicht deiner ist, und … Ich kann nur sagen, ich liebe sie … alle (lacht). 

FRISCH: Die Figuren sind eher skizzenhaft: Man erfährt gar nicht viel über sie, aber man hat trotzdem das Gefühl, sie zu kennen. Ich hatte den Eindruck, dass das auch an den Orten des Geschehens liegt, die im Gegensatz dazu sehr konkret wirken. Zumindest im geographischen Sinn weiß man immer genau, wo die Figuren gerade sind.

FIOR: Es ist keine autobiographische Geschichte, aber die Orte, die man in dem Buch sieht, sind Orte, die ich selbst ziemlich gut kenne, weil ich dort länger gewohnt und gearbeitet habe – in Italien bin ich geboren, in Norwegen und in Ägypten hab ich gearbeitet. Meine Erfahrung vor Ort war also nicht nur touristisch, und wahrscheinlich hat man deswegen den Eindruck, dass die Orte ziemlich konkret sind. Als ich zum Beispiel in Ägypten gelebt habe, war es mir ein Bedürfnis, etwas mit all diesen Landschaften und Farben anzufangen. Diese Kultur und dieses Land haben sich so bei mir eingeprägt, dass ich diese Eindrücke und Erinnerungen auf Papier fixieren wollte. 

FRISCH: Inwieweit hat sich dein Architektur-Background auf die Geschichte ausgewirkt? Ist das ein starker Einfluss für dich?

FIOR: Architektur ist immer ein starker Einfluss, aber nicht so direkt, dass ich irgendwie Gebäude zeichnen will. Mein Architekturstudium hat mir geholfen, über den Tellerrand der Comics hinauszukucken. Das ist auch so ein bisschen ein Problem der Comicszene, dass man immer diese Umgebung hat und sich von anderen Comics beeinflussen lässt, und ich wollte meinen Blick woanders hin richten. Und deswegen hat mir das Architekturstudium eine andere Einstellung, eine andere Sichtweise vermittelt. 

FRISCH: In einem Interview, das ich gelesen habe, hast du deine Comics auch mit einem Popsong verglichen – „Michelle“ von den Beatles.

FIOR: Was hab ich da gesagt? 

FRISCH: Du hast gesagt, man kann Comics immer wieder lesen – wie einen Song, den man immer wieder hört – und darin jedesmal wieder Neues entdecken.

FIOR: Ich finde, Comics sind in diesem Sinn der Popmusik ähnlicher als richtigen Büchern. Die Zeit, die du brauchst, um einen Comic zu lesen, ist eher vergleichbar mit der Dauer eines Albums oder eines Films, anders als bei einem richtigen Buch. Das Konzept ist anders – das Konzept des Genießens ist ganz anders, auch im Hinblick darauf, wie man es mit den Augen wahrnimmt. Und eine weitere Ähnlichkeit mit Musik, also Popmusik oder Chanson: Wenn man Texte und Musik trennt, dann sind die Texte keine Meisterwerke der Literatur, sondern … du kannst etwa sagen, „She loves you, yeah yeah yeah“ – ganz banale Sachen, aber mit der richtigen Stimme, mit der richtigen Musik daneben, fängt es an, einen Sinn zu ergeben. Bei Comics ist es dasselbe. Du kannst „Guten Tag“ sagen, aber mit der richtigen Figur, dem richtigen Ort, der richtigen Zeichnung und dem richtigen Rhythmus kann das sehr stark werden, auch wenn das, was gesagt wird, keine große Poesie ist. Ganz schlichte Sachen – zum Beispiel „Okay, ich gehe“ – können so zu einer „chemischen Reaktion“ führen. Ich mache eine Figurenzeichnung, und ganz spontan kommt mir eine Eingebung für eine Sprechblase mit dem Text, von dem ich denke, dass ihn die Figur sagen will. Das ist die Basis meiner Comics. Ich schaue mir die Zeichnung an, und ich denke, „Ah, das will er sagen.“ 

FRISCH: Die Zeichnung sagt es also schon.

FIOR: Ja, du machst eine Zeichnung, die etwas sagt. 

FRISCH: Glaubst du, dass Comics zu oft versuchen, wie Prosa-Literatur zu sein?

FIOR: Ja, es gibt diese Tendenz – manchmal ist das gut, manchmal weniger. Ich finde, der Comic sollte sich emanzipieren. „Arzach“ von Moebius zum Beispiel, diese erste Fantasy-Geschichte ohne Text, mit diesem Mann, der auf einem Pterodaktylus fliegt – das ist eine elfseitige Geschichte, also kein großer Roman. Aber diese elf Seiten sind immer in meinem Kopf geblieben, genauso wie ein „Peanuts“- oder „Calvin und Hobbes“-Strip in deinem Kopf bleiben können. Ich denke, es gibt verschiedene Arten, Comics zu machen. Jetzt nennen wir das „Graphic Novel“ und sowas. Vielleicht gibt es auch Comics, die der Literatur ähnlich sind, aber man muss immer wissen, das ist etwas anderes. Auch die Funktion ist anders. 

FRISCH: Wenn du eine Geschichte komponierst und zeichnest, hast du dann schon im Kopf, wie der Comic vielleicht beim Leser ankommen wird?

FIOR: Ich muss sagen, am Anfang denke ich gar nicht an die Leser. Auch wenn ich kommerzielle Arbeiten mache, gilt das erste Bedürfnis mir selbst. Es ist mir natürlich schon wichtig, dass der Leser einen bequemen Einstieg in den Comic hat und eine gute Leseerfahrung. Ich will, dass bei der Lektüre alles klar ist, man sich später aber Gedanken macht. Und deswegen muss ich immer herumfeilen an Passagen, von denen ich denke, dass sie etwas schwer zu verstehen sind. Ich versuche immer, dem Leser die Lektüre leicht zu machen, damit er sich seinen eigenen Reim darauf machen kann. Aber das kommt erst später, wenn ich sehe, eine Passage liest sich etwas holprig oder zäh. Am Anfang denke ich nicht daran. 

FRISCH: Du möchtest die Geschichte also so klar wie möglich erzählen, aber du forderst auch etwas vom Leser.

FIOR: Ja, aber das kommt auch auf den Leser an. Was ich schön finde, ist, wenn Leute, die das Buch gelesen haben, die Figuren auf unterschiedliche Weise beurteilen. Die einen sagen, sie ist zu kalt oder sie ist böse; andere sagen, nein, sie ist richtig mutig, weil … weißt du? Diesen Spielraum finde ich gut. Das heißt, dass die Figuren lebendig sind. Aber was die reine Erzählung angeht, will ich, dass alles verständlich ist – dass man nicht sagt, „Häh, hmm, wieso …?“, sondern alles versteht. Und dann fängt man an, nachzudenken. 

FRISCH: Wie ist dein Verhältnis zu Kritiken?

FIOR: Ich persönlich bin froh, wenn es gute Kritiken gibt, und es tut mir weh, wenn ich schlechte Kritiken lese (lacht). Für Fünftausend Kilometer in der Sekunde gab es viele, viele Kritiken. Viele haben darüber gesprochen, und es war für mich das erste Mal, dass so viele Leute schreiben oder Impressionen haben. Das war echt neu. Und das ist mittlerweile auch ein bisschen zuviel, und irgendwann ist Schluss. 

Manuele Fior auf dem Comic-Salon 2012 mit Comicgate-Magazin 7FRISCH: Nimmst du Kritik auch auf, oder lässt du das gar nicht an dich heran?

FIOR: Mmm, nicht die Kritik der Kritiker. In Paris, wo ich wohne, habe ich eine kleine Gemeinschaft von italienischen Comic-Autoren – es gibt mittlerweile vier – und wir schauen uns untereinander alles an, was wir machen. Wir reden sehr viel darüber, und wir sind auch sehr fies, also sehr direkt und offen. Und diese Kritik von anderen Autoren, oder von Kollegen, die nehme ich immer an. Wenn also ein Kollege mir sagt, nee, das funktioniert nicht, oder das hat nicht geklappt, dann verändere ich was. Es ist sehr schwierig, zu kritisieren oder kritisiert zu werden. Wenn jemand dich kritisiert, dann musst du wissen, dass er das nicht tut, um dir zu schaden, sondern ein Freund ist. Deswegen lehne ich andere Kritiken ab. 

FRISCH: Du sprichst selbst mehrere Sprachen, auch Französisch und Deutsch. Hast du mit Maya della Pietra, der Übersetzerin der deutschen Ausgabe von Fünftausend Kilometer, zusammengearbeitet?

FIOR: Nein, sie hat das alles selber gemacht. Ich kann auf Deutsch lesen, aber … 

FRISCH: Hast du schonmal daran gedacht, einen deiner Comics selber zu übersetzen?

FIOR: Nein, noch nicht. Es ist schon sehr schwierig, auf Italienisch zu schreiben, und manchmal sehr aufwendig, die richtigen Wörter zu finden. Und meine Kenntnis der Sprache ist nicht gut genug, auch im Französischen nicht. 

FRISCH: Du hast vorhin schon den Begriff „Graphic Novel“ erwähnt. Denkst du über solche Formate und Begriffe nach?

FIOR: Nicht wirklich. Ich glaube, es ist eine wichtige Sache, dass man diese Bücher auch in einer Buchhandlung findet und nicht nur im Comicladen. Und der Begriff hilft mittlerweile, Comics zu verbreiten, auch in Italien. Vorher war es unmöglich, Comics in Buchhandlungen zu finden. Also hat man gesagt, das sind „Graphic Novels“ – Bücher, die nicht unbedingt für Kinder sind. In dieser Hinsicht finde ich es ganz schön, dass man diesen Begriff hat. Aber am Ende ist es immer ein Comic – „fumetto“ auf Italienisch – und ich seh das gar nicht als ein höheres Niveau des Comics. Ich bin auch ein großer Fan von Strips, und für mich sind Comics Comics. Für mich ist es eine Kategorie, genau wie beim Film Dokumentationen und Komödien oder in der Literatur Romane oder Essays. Solche Kategorien gibt es überall. Ich weiß nicht, wie das in Deutschland ist, aber in Italien sind alle ganz böse auf diesen „Graphic Novel“-Begriff. Es gibt den Vorwurf von Elitismus, dass er was für Snobs ist, aber … 

FRISCH: Das ist in Deutschland ähnlich.

FIOR: Ich hab viele Freunde, die Bonelli-Comics machen – Tex, Dylan Dog, diese ganz kommerziellen Comics in Italien –, und für mich ist das alles das gleiche. Ich mach da keine Unterschiede. 

FRISCH: Du hast das Buch, an dem du gerade arbeitest, bereits erwähnt. Kannst du schon sagen, wann es erscheinen wird?

FIOR: Es hat sich zeitlich ein bisschen hingezogen, aber in Frankreich sollte es Anfang 2013 herauskommen. Es ist etwas dicker als Fünftausend Kilometer, und ich hab den Eindruck … Ich weiß nicht, ob es so ist, aber ich hab den Eindruck, dass die Geschichte etwas komplexer ist. Es ist eine Science-Fiction-Geschichte – nicht wie Star Wars, und sie spielt nicht in einer fernen Zukunft, sondern so um 2050 in Italien. Und mehr kann ich nicht sagen (lacht). 

FRISCH: Du warst mit Fünftausend Kilometer in der Sekunde sehr erfolgreich und bist auch in Angoulême ausgezeichnet worden. Setzt dich das unter Druck?

FIOR: Nein, ich versuche immer, Spaß zu haben. Das neue Buch hatte ich auch vor Angoulême angefangen, und es ist wirklich anders. Es ist auch von der Technik her anders, nämlich schwarz-weiß, also daran denke ich nicht. Der Druck kommt eher von praktischen Sachen. Nach Angoulême musste ich zum ersten Mal in meinem Leben Nein sagen zu vielen Dingen, zu denen ich vorher immer Ja gesagt habe. Ich habe gelernt, eine Auswahl zu treffen, was nicht immer so einfach war und weswegen ich mit manchen Leuten auch Stress bekommen habe (lacht). Aber für meinen Job, nein. Ich mag es echt, Comics zu machen. Ich bin ganz froh, dass ich diesen Preis bekommen habe, aber man muss das vergessen. Wenn du denkst, ich hab den Preis bekommen, jetzt bin ich wer, dann machst du nichts mehr. Das ist jetzt weg.

 

Fünftausend Kilometer in der Stunde von Manuele FiorFünftausend Kilometer in der Sekunde
von Manuele Fior
aus dem Italienischen von Maya della Pietra
Lettering von Tinet Elmgren
Avant-Verlag, Juni 2011
140 Seiten, farbig, Softcover, 19,95 Euro
ISBN: 978-3-939080-54-1

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Auszüge: Copyright © 2009/2011 Atrabile & Manuele Fior/Avant-Verlag, Fotos: © Marc-Oliver Frisch/Comicgate