Horror hat in Comics ein grundsätzliches Problem. In Romanen und Kurzgeschichten wird die Phantasie des Lesers angeregt und spielt die wesentlichste Rolle beim Spannungsaufbau. Bei Spielfilmen wird die Spannung durch viele verschiedene Elemente erzeugt, wozu natürlich der sequenzielle Bildaufbau gehört. Gerade im Film lebt der Horror vom Schock, dem Unerwarteten, dem, was plötzlich in das Bild einbricht. Der Zuschauer bekommt seine Gänsehaut in der Erwartung dessen, was passieren möge. Alle diese Elemente können in einem Horrorcomic nicht sonderlich gut funktionieren.
Was in der Literatur außerordentlich gut funktioniert, klappt nicht im Comic, weil er auch Bilder hat. Schocks kommen kaum vor, da der Leser durch sein individuelles Tempo die Spannung erst schafft und es steuern kann. Da das Bild im Comic still steht und so der Horror eher aufgelöst wird, da er durch längere Betrachtung seinen Effekt verlieren kann, muss ein Horrorcomic umso mehr durch seine Story und seine Zeichnungen überzeugen.
Die Anthologie Weihnachts Horror Comix schafft es zum Teil. Bei 57 Kurzgeschichten von 38 Zeichnern fällt das Resümee fast schon zwangsläufig sehr unterschiedlich aus. Kurzgeschichten, gerade im Spannungsbereich, leben vom Endtwist, der Wendung zum Ende hin, in der alles kulminiert. Das ist bei manchen Beiträgen in diesem Band hervorragend gelöst, bei anderen allerdings sehr enttäuschend. Spannung wird so durchaus geschaffen. Es gibt aber weniger stimmungsvollen Horror, sondern, im wahrsten Sinne des Wortes, saftigen Splatter. Wie es nun mal so seine Art ist, schrammt Splatter immer am Rande des guten Geschmacks entlang. Auf welcher Seite er sich gerade befindet, ist den Vorlieben des Lesers geschuldet. Durch den hohen Horrorsplatteranteil ist das Buch wild und respektlos. Das dürfte aber dem Massenpublikum nicht gefallen. Aber der Verlagsname gibt die Richtung vor: Underground. Und dementsprechend können sich die Macher auch einiges trauen.
Ein paar wirklich gute und originelle Geschichten sind hier enthalten, aufgrund derer sich ein Blick hinein wirklich lohnt. Hier tut sich vor allem Steff Murschetz als Autor hervor. Eine der spannendsten Geschichten, die auch im Endtwist äußerst gelungen ist, ist „Eine (un)glückliche Bescherung“ von Patrick Wagner und Dennis Nowakowski. Stilistisch sind die Geschichten sehr unterschiedlich. Manche der durchgehend in Schwarz-Weiß gehaltenen Stories erinnern in der Machart an einen Holzschnitt, manche an zunächst wirres Gekrakel. Bei all den unterschiedlichen Stilen ist aber eine Tatsache bemerkenswert: es gibt in qualitativer Hinsicht keinen Ausfall. Manche sind nur besser als andere.
Bekannte Namen sucht man natürlich in einem Undergroundcomic vergebens, das würde ja schon dem Namen widersprechen. Einige dürften dennoch manchen Lesern bekannt sein: Daniela Winkler machte letztens mit ihrer neuen Mangaserie Grablicht bei Comicstars auf sich aufmerksam, David Füleki kennt man unter anderem durch seinen Struwwelpeter und Steff Murschetz und Elbe-Billy dürften vielen von der Internetplattform MyComics und der dazugehörigen Publikation aus dem Panini-Verlag bekannt sein. Und auch in der Anthologie haben sie mit die besten Geschichten beigesteuert. Auf MyComics gibt es übrigens noch bis zum 24. Dezember im Online-Comic-Adventskalender täglich eine andere Story aus der Anthologie zu lesen.
Was haben bloß alle gegen den Weihnachtsmann? Was ihm hier zugemutet wird, geht auf keine Rentierhaut. Horror wird von Splatter erdrückt, was starke Geschmackssache ist. Dennoch sind fast alle Geschichten sehr originell und stimmungsvoll. Einen Blick ist der dicke Band allemal wert.
Wertung:
Weihnachts Horror Comix
Undergroundcomix, November 2010
Herausgeber: Steff Murschetz, Tarek el Bebbili
400 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 15 Euro
Leseprobe
Abbildungen: © Steff Murschetz