Eduardo Risso, bei uns u.a. bekannt als Zeichner von Vertigos Hit-Serie 100 Bullets, hat zusammen mit dem argentischen Author Carlos Trillo den Comic Boy Vampire – für unsere Ohren von Cross Cult eleganter mit Vampire Boy „übersetzt“ – erschaffen. Der Titel macht eigentlich schon alles klar: es geht um einen Vampir im Körper eines Jungen.
Die beiden interpretieren dabei einige typischen Mythen neu: man wird nicht durch einen Biss zum Vampir, Sonnenlicht heilt, anstatt zu töten, Vampire essen in einem durchaus erstaunlichen Ausmaß normales Essen, und sie wollen nicht ewig leben – zumindest nicht der eine der zwei vampirischen Erzfeinde, um die sich dieser Comic dreht.
Der namenlose Junge war vor etwa 5000 Jahren als Sohn des Pharaos Cheops geboren worden, wie man in einem der Rückblicke erfährt. Er sollte sich einen Namen aussuchen dürfen, wenn er seinen Vater als Herrscher des alten Ägypten beerbt. Diese Zukunftsplanung wurde allerdings in dem Moment über den Haufen geschmissen, als ein gleißendes Licht alle in der Umgebung tötete, auch seinen Vater. Übrig blieben alleine der Junge und Ahmasi, die Lieblingskonkubine des Pharaos, die beide zu Vampiren geworden sind. Die Dame stellte sich schnell als intrigantes, kaltblütiges Luder heraus und verfolgte unseren jungen Protagonisten durch alle Jahrhunderte, welches man auch in recht amüsanten Erinnerungen des Jungen miterlebt.
Des Kämpfens müde, aber unfähig zu sterben, lässt er sich in den vierziger Jahren unbemerkt in einen Schacht einmauern in der Hoffnung auf Ruhe. Fünfzig Jahre später werden allerdings an dieser Stelle Bauarbeiten durchgeführt, und so strahlt die lebensspendende Sonne auf ein Skelett, um es wiederzuerwecken (mit dieser Szene steigt man in den Comic ein).
Der Junge ist davon nicht sonderlich begeistert, muss aber natürlich versuchen, mit der ihm fremden Welt zurechtzukommen. Zu seinem Glück findet er in dem alten Indianer Gentle Bear einen Freund. Dieser kennt ihn bereits aus seinen Träumen und beschließt, dass der Name Running Wind gut zu ihm passen würde. An ihm, der Enkelin des Indianers, Evening Cloud, und Fever, eine blinde, übernatürlich begabte Freundin der Familie, orientiert er sich von nun an. Ahmasi hat währenddessen bemerkt, dass der Junge wieder aufgetaucht ist und stöbert ihn durch einige Finten schließlich auf. Es kommt zum Kampf…
Dies ist die grobe Rahmenhandlung des ersten Sammelbands von Vampire Boy. Zwischendurch kommt es noch zu einigen Begegungen mit unangenehmen Leuten, die Gentle Bear, der mit seiner Enkelin die letzten Übriggebliebenen seines Stammes bildet, aus seinem angestammten Indianerhochhaus (steht auf dem ehemaligen Reservat) vertreiben wollen. Der Junge kann ihnen helfen, trotzdem wird dieses Geschehen seine Folgen haben.
Wie Frank Miller, so spielt auch Eduardo Risso mit den Möglichkeiten, die schwarz-weiße Zeichnungen ermöglichen. Ganz offensichtlich ist eine seiner Faszinationen, Gesichter im Dunkeln zu lassen, aus denen Augen und gegebenfalls Zähne weiß herausleuchten – auch wenn es keine vernünftige Erklärung wie Schattenwurf gibt, gut sieht es aus. Gegensätzlich erscheint seine Neigung, manche Panels bis auf die Person weiß bzw. schwarz zu lassen, während andere Panels kleine Gags oder nebensächliche Handlungen beinhalten, die man vielleicht erst auf den zweiten Blick wahrnimmt. Wunderbar sind seine kreativen Perspektiven, wie die aus den Augenhöhlen eines Schädels.
Inhaltlich bin ich nicht ganz so begeistert. Irgendwie ist der Comic weder Fisch noch Fleisch. Dafür, dass er sich Vampire Boy nennt, kommt da verdammt wenig von Vampiren rüber. Amüsiert noch die Umkehrung der üblichen Vampirklischees, so wartet man schlussendlich doch darauf, dass auf diesen Fakt eingegangen wird. Aber man wartet bis zum Ende vergeblich. Zwar gibt es mal hier und da ein bisschen Blut (und natürlich fast nur aus noblen Motiven), aber eher im Vorübergehen.
Ganz offensichtlich sollen die aufgewühlten Emotionen des Jungen dargestellt werden, die Einsamkeit und Verzweiflung, nicht sterben zu können. Im Ansatz kommt das auch durch, nimmt mich aber weniger emotional mit als ich es erwartet hätte, weil die Handlung immer wieder hin- und herspringt. Auch mag ich nicht wirklich glauben, dass ein Geschöpf, das 5000 Jahre alt ist und nur den Körper eines Jungen hat, nicht weise und souverän geworden, sondern so zappelig geblieben ist. Und darüber lamentiert, dass er nie Sex haben wird. Häh? Weiß man sich da nicht selber zu helfen?
Die einseitige Darstellung der Erzfeindin Ahmasi ist ebenfalls nicht mein Ding. Wie will ich ernsthaft verkaufen, dass die Dame 5000 Jahre nichts anderes zu tun hatte außer ein feuchter Männertraum zu sein und kleinen Jungs hinterherzujagen? Auf den Grund wird nicht ernsthaft eingegangen (oder ist man wirklich so lange sauer, nur weil mir ein kleiner Bengel mal eine meiner Intrigen vereiteln wollte und sich dann meinen gemeinsamen Welteroberungsplänen widersetzte?). Sie ist halt eine ganz fiese Möpp, benutzt Männer wo und wie sie kann, und basta. [Den Witz, dass mir die Charakterisierung zu schwarz-weiß ist, behalte ich lieber für mich.]
Weiterhin, aber das stört mich bei jedem Comic, sind steif gehaltene, erzählende Gedanken. Also so etwas wie „Die Tatsache, dass ich Hohepriesterin des Schlangenkultes im Alten Ägypten war, hilft mir zu spüren, was passieren wird“ oder „Ich drehe die Lautstärke hoch. Die Nachrichten müssten jeden Moment beginnen“. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich erzähle mir nicht andauernd in Gedanken, warum mir meine Vergangenheit hilft und was ich als nächstes tun werde. Klar hilft das der Story, voranzukommen, aber das muss auch eleganter gehen. Bei anderen Comics funktioniert das doch auch.
Zu diesem Unbehagen kommen noch weitere kleinere Fehler, die sich aber aufsummieren.
So wird z.B. in zwei Szenen der Tod der Familie des Jungen gezeigt. Beim ersten Mal hat der Vater sein komplettes Pharaonengewand an (s.o.), bei der zweiten Szene nur sein Nachtgewand…?
Ein anderes Beispiel: ein Privatdetektiv will Informationen aus Evening Cloud herausbekommen. Dazu denkt er sich „Meine Marke wird sie einschüchtern. Gut, dass ich sie nicht zurückgegeben habe, als ich bei der Polizei rausgeworfen worden bin…“ Zum Thema dämliche Gedanken habe ich mich schon weiter oben ausgelassen. Aber mich stören solche falschen Fakten einfach: ein Polizist muss immer seine Marke abgeben, wenn er suspendiert wird. Der wird doch nicht gefragt, ob er sie vielleicht als Andenken behalten möchte! Klar, das passt wieder so schön in die Geschichte, aber zu hanebüchern braucht es doch trotzdem nicht zu werden.
Ein weiterer Kritikpunkt, bei dem ich aber nicht weiß, ob er so schon im Original vorlag oder erst durch die Übersetzung zustande kam, ist die Sprache des Jungen. Wenn man das letzte Mal in den vierziger Jahren geredet hat, dann sage ich doch nicht unmittelbar nach dem Erwecken in den Neunzigern: „Verpiss Dich, Du Schlampe“. Ein andermal entfleucht ihm ein „Was geht?“ beim Kennenlernen von Evening Cloud. Ich bezweifle ehrlich gesagt stark, dass das schon zum 1945er-Wortschatz gehörte.
Wer weniger Gedanken daran hegt, wie der Comic hätte sein können und sich einfach darauf einlässt, der wird vermutlich schon seinen Spaß damit haben. Schließlich sind die Zeichnungen schön anzuschauen, die Handlung ist relativ originell und tritt nicht auf der Stelle und ab und zu gibt es auch einen Schmunzler zu verzeichnen. Ich aber bin etwas enttäuscht, da ich ihn mit den Grundvorgaben (5000 Jahre alter Vampir im Körper eines Jungen) ganz anders aufgezogen hätte und mich auch an den oben genannten Fehlern und Erzählmitteln störe.
Wie üblich bei den Cross-Cult-Bänden wird der schmucke Hardcoverband abgerundet mit Extras, in diesem Fall mit zwei Interviews. Das mit Carlos Trillo stammt aus einem spanischen Magazin aus dem letzten Jahr, das kürzere Interview mit Eduardo Risso wurde extra für diese Ausgabe vom Übersetzer Gunther Nickel geführt.
Übrigens wurde von Martin Frei extra für die deutsche Ausgabe das Logo von Vampire Boy entworfen. Und wenn man sich das Originallogo so anschaut, dann kann man nur sagen, dass unseres haushoch gewonnen hat.
Vampire Boy
Cross Cult
Text: Carlos Trillo
Zeichnungen: Eduardo Risso
144 Seiten, s/w, Hardcover; 18,- Euro
ISBN: 3936480419