Mit dem 288 Seiten stolzen Gemeinschaftswerk von Fane und Jim erweitert der Splitter Verlag sein bisher eher von fantastischer und abenteuerlicher Genrekost geprägtes Programm um ein realistisches Personendrama. Fünf Männer und Frauen in ihren Dreißigern – einer von ihnen mit seinem neunzehnjährigen Internetdate im Schlepptau – kommen in einem abgelegenen Landhaus in Südfrankreich zusammen, um sich eine Sonnenfinsternis anzusehen und ihre Freundschaft aufleben zu lassen. Auch für die beiden Künstler bedeutet dieser Band weitgehend erzählerisches Neuland, machten sie doch bisher – unabhängig voneinander – eher mit anderer Art von Comickost auf sich aufmerksam: Jim unter dem Alternativpseudonym Téhy als Autor von Fantasycomics wie Fee (Rezension bei Comicgate) und Der Engel & der Drache (Rezension bei CG) sowie der SF-Serie Yiu, Fane alias Stéphane Deteindre als Zeichner des Motorrad-Funnys Joe Bar Team. Sonnenfinsternis kann man somit als Beweis ihrer Vielseitigkeit betrachten, denn die beiden Franzosen meistern Art und Umfang der Geschichte mehr als souverän.
Wirklich bemerkenswert ist die Art, wie es den Künstlern im vorliegenden Comic gelingt, die Distanz zu ihren Figuren Stück für Stück abzubauen. Der Leser wähnt sich schon bald als Teil des Ensembles. Zu vertraut kommen einem die sechs Protagonisten, ihre Spleens und Schwächen vor. Man hat Verständnis, warum der 39 Jahre alte Jean-Pierre seine gar nicht so unglückliche Ehe für die impulsive neunzehnjährige Jan riskiert, man sitzt bei der kriselnden Beziehung von Isabelle und Dominique gefühlsmäßig zwischen den Stühlen, man erahnt nach und nach, was hinter Helenas kühl-sarkastischer Fassade steckt und was den unbekümmerten Bohemien Hubert umtreibt. Dabei gelingt Fane und Jim ein leichtfüßiger Wechsel zwischen Beziehungs- und Lebenskrise auf der einen und der überschwenglichen und durchaus humorvollen Zelebrierung von Liebe und Freundschaft auf der anderen Seite.
Der besondere Charme von Sonnenfinsternis rührt womöglich von seiner unorthodoxen Machart her. Entstanden ist der Comicband nämlich nicht in der klassischen Team-Arbeitsweise Szenarist/Zeichner, sondern in unzähligen Improvisationssessions der beiden Künstler, bei denen im Wechsel an Figuren und Texten gearbeitet wurde. Jeder hatte dazu drei der Protagonisten entwickelt, die er fortwährend im ständigen Dialog mit dem Arbeitspartner zeichnete und weiterentwickelte. Die so geschaffenen storyboardhaften Seiten wurden schließlich von Fane reingezeichnet, wobei den fertigen Zeichnungen noch immer etwas leicht Skizzenhaftes, Ungeschliffenes und Ehrliches erhalten bleibt, was hervorragend die Natur der Geschichte unterstreicht. Der ob dieser Arbeitsweise überraschend kohärente Gesamteindruck des fertigen Comics ist jedoch weniger Fanes Endstrich geschuldet als wohl eher dem recht ähnlichen Stil der beiden Künstler, den die im Band enthaltenen Skizzen verraten. Das Ergebnis sind ein facettenreicher Dialog über die Natur von Liebe und Beziehungen, realistische Figuren mit Tiefe, die ihre anfänglichen Klischeeaspekte schnell hinter sich lassen und eine weitgehend unvorhersehbare, ganz dem wahren Leben geschuldete Handlung.
Fane und Jim liefern keine Antworten auf die Fragen ihrer Protagonisten und die der Leser. Das wäre zu einfach. Aber sie beschreiben vortrefflich, wie es sich anfühlt, diesen Antworten nachzuspüren – und inszenieren diese Suche spannend, nachvollziehbar und zuweilen äußerst humorvoll. Nach der Lektüre von Sonnenfinsternis fühlt man sich, als ob man ein verlängertes Wochenende mit alten Freunden verbracht hätte. Ein paar Tage voller Höhen und Tiefen, welche in zwischenmenschlichen Beziehungen lauern. Tage, in deren Verlauf man die vermeintlich bereits bekannten Menschen noch ein Stück besser kennen lernte. Und vielleicht auch ein bisschen sich selbst.
Sonnenfinsternis
Splitter, Juni 2009
Text und Zeichnungen: Fane und Jim
288 Seiten, s/w, Hardcover
Preis: 24,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-019-4
Leseprobe
Äußerst spannender und unterhaltsamer Seelenstriptease
Abbildungen © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag
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