Ich dürfte wohl nicht der einzige gewesen sein, der sich über den seltsamen Titel „Prosopopus“ gewundert hat. Und auch nach dem Lesen des Bandes ist man nicht wirklich schlauer. Sprachlich abgeleitet ist Prosopopus von dem Begriff „Prosopopöie“, was aus dem Griechischen stammt und als rhetorisches Mittel für das Einsetzen einer abwesenden oder leblosen Person oder eines Tieres als Erzähler einer Geschichte gilt.
Vor diesem Hintergrund erschuf Nicolas de Crécy seinen Prosopopus, eine Kunstfigur also, die den Leser durch seinen Comic begleiten soll. Erschwert wird die Lektüre durch das völlige Ausbleiben von Sprache, d.h. dass weder die handelnden Figuren noch der sich mitten im Geschehen befindliche Prosopopus auch nur ein Wort sprechen. Dieser Umstand, gepaart mit dem gehörig surrealen Charakter der Erzählung, überfordert den Betrachter schnell, lässt diesem aber damit auch genügend Interpreatationsspielraum.
Alles beginnt mit einem Attentat: Ein Mann mit schwarzem Anzug und Krawatte erschießt einen in gelb gekleideten Mann, der einen Koffer trägt. Es ist nur ein kurzer Moment im Leben des Schützen, dessen Motiv man erst später präsentiert bekommt. Und doch beginnt hier bereits sein Albtraum, denn es ist auch die Geburtsstunde des Prosopopus, einer dicken, gelben Cartoonfigur, eines überzeichneten, grotesken Wesens. Es raucht Zigarre, isst Joghurt oder macht Aufnahmen mit seiner Videokamera, sprich es wird zum unliebsamen Mitbewohner des Mannes.
Die eigentliche Frage ist jetzt eigentlich nur noch, was es dort eigentlich will. Ist der Prosopus eine Manifestation des Schuldgefühls der Hauptperson? Oder einfach ein erzählerisches Mittel de Crécys, das den Leser gezielt durch die verwobene Handlung führen soll? Dagegen spricht, dass das Wesen ja durchaus ins Geschehen eingreift, also auch mit anderen Personen interagiert. Ich persönlich denke, dass diese Fragen bewusst unbeantwortet bleiben sollen. Vielmehr steht die Auflösung des komplexen Mordes im Vordergrund. Diese aus all den absurden Prosopopus-Szenen herauszulesen, ist schon schwer genug. Aber es lohnt sich.
Der wortlose Comic vermittelt bereits viel über die grafische Atmosphäre, weswegen die voller Gewalt und Betrug steckende Geschichte mithilfe rauer Schraffuren dargestellt ist und bevorzugt mit düsteren Elementen arbeitet. Ein umso stärkerer Kontrast lässt sich demnach in der Figur des Prosopopus finden, der ja in vergleichsweise knalligem Gelb daherkommt und auch sonst so gar nicht in die reale Welt zu passen scheint.
Wer auf surreale Stories steht, dem kann man diesem Band wärmstens empfehlen. Allerdings muss man dann auch mit einem Comic rechnen, der ohne Worte auskommt und schnell überfordert.
Prosopopus
Reprodukt, Oktober 2009
Text und Zeichnungen: Nicolas de Crécy
112 Seiten, farbig, Softcover; 18,- Euro
ISBN 978-3-941099-10-4
Abbildungen: © Reprodukt