Rezensionen

Marvel Noir – Daredevil


 Seit einiger Zeit produziert Marvel Comics diverse Miniserien, in denen die bekanntesten Figuren des Verlags, wie Spider-Man oder Wolverine, in ein alternatives Setting versetzt werden. Hier sind sie keine Superhelden oder Mutanten, sondern Charaktere in Noir-Krimis, die die klassischen Zutaten der schwarzen Serie enthalten: düstere, dreckige Städte, gebrochene Helden, undurchschaubare Frauen und Verbrecher, die dem Gesetz immer einen Schritt voraus zu sein scheinen.

Das mag eine interessante Spielerei sein, wenn es sich um Marvel-Figuren handelt, deren reguläre Geschichten bunte, actionreiche Superheldenstories sind. Im Falle von Daredevil jedoch ist eine eigene Noir-Version im Prinzip völlig überflüssig – kein anderer Marvel-Comic bewegt sich derart nahe am Noir-Genre wie die Geschichten vom blinden Anwalt Matt Murdock, der nachts als kostümierter Held Verbrecher im schmutzigen New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen jagt. Dies gilt für die von Frank Miller in den 80er Jahren geschriebenen Hefte ebenso wie für die Ausgaben der letzten Jahre, als Brian Bendis und später Ed Brubaker als Autoren am Ruder waren.

 Wer also einen Daredevil-Comic im Stile eines Noir-Krimis lesen möchte, muss nur eines tun: einen ganz normalen Daredevil-Comic kaufen. Eine eigene Noir-Version dieser Serie scheint etwa so sinnvoll wie die Ankündigung einer speziellen Milka-Edition in der Geschmacksrichtung Schokolade. Was also können Autor Alexander Irvine und Zeichner Tomm Coker dem „Mann ohne Furcht“ hinzufügen, was er in der regulären Reihe nicht hat?

Um es gleich vorwegzunehmen: fast nichts. Die Geschichte mit dem Titel „Blindes Vertrauen“ ist im New York der Prohibitionszeit angesiedelt, und Matt Murdock ist nicht Anwalt, sondern Gehilfe des Privatdetektivs Foggy Nelson (im „normalen“ Marvel-Universum haben die beiden Freunde eine gemeinsame Anwaltskanzlei). Ansonsten ist fast alles wie gewohnt: Matt ist zwar blind, hat seine anderen Sinne aber umso mehr geschärft, sein Vater, ein Preisboxer, wurde vor Jahren ermordet, was Matt immer noch ziemlich müde macht, und die Unterwelt wird beherrscht vom glatzköpfigen Wilson Fisk alias Kingpin. Selbst das Kostüm, mit dem Daredevil über die Dächer von Hell's Kitchen hüpft, sieht nicht wesentlich anders aus als sonst.

 In der Story geraten Murdock und Nelson zwischen die Fronten im Konkurrenzkampf zweier Gangs, die ein gutes Geschäft mit dem Handel von illegalem Alkohol machen. Dabei spielt eine schöne, geheimnisvolle Frau eine wichtige Rolle – die unvermeidliche Femme Fatale, die in keinem Noir-Krimi fehlen darf. Das ist leidlich spannend, aber nicht besonders originell oder innovativ. Zeichnerisch hingegen kann der Comic überzeugen: Tomm Coker bringt eine düster-schmutzige Welt zu Papier, voll von schwarzen Schatten und vielen kleinen Störungen wie Farbsprenkel und Kratzer, die an die Projektion einer sehr alten Filmkopie erinnern. Sein Artwork passt bestens zu dieser Geschichte und sorgt für eine finstere Atmosphäre.

Unterm Strich bleibt eine durchwachsene Daredevil-Story, die ohne große Änderungen ebenso in der Stammserie stattfinden könnte; nur ist dort die Qualität in der Regel deutlich höher. Das Projekt Daredevil Noir ist letztlich eine überflüssige Angelegenheit. Zeicher Tomm Coker jedoch kann sich gerne als regulärer DD-Zeichner bewerben, er wäre dort bestens aufgehoben.

Marvel Noir – Daredevil
Panini, Juni 2010
Text: Alexander Irvine
Zeichnungen: Tomm Coker
108 Seiten, Softcover, farbig, 14,95 Euro
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Nicht so prickelnd

Überflüssig, aber grafisch sehenswert

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Abbildungen: © Marvel Comics, Panini Comics