Rezensionen

King City (US)

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Cover King CityDer US-Verlag Tokyopop, der mittlerweile (im Gegensatz zu seinem deutschen Ableger) nur noch sehr eingeschränkt aktiv ist, brachte zu seiner Hochzeit nicht nur aus Asien importierte Mangaserien heraus, sondern produzierte auch viele eigene Stoffe, die als sogenannte OEL Manga (Original English Language Manga) vermarktet wurden. Darunter waren ein paar hochinteressante Comics, die stilistisch wenig mit klassischen Mangaklischees zu tun hatten, sondern vielmehr eine ganz eigene Mischung aus östlichen und westlichen Einflüssen präsentierten. Im Zuge von drastischen Sparmaßnahmen das OEL-Programm 2008 fast komplett gestoppt und viele Serien wurden nie fortgeführt.

Brandon Graham, von dessen King City bei Tokyopop nur ein Band veröffentlicht worden war, konnte daraufhin einen Deal zwischen Tokyopop und Image Comics einfädeln, der ihm erlaubte, seinen Comic unter dem Banner „Tokyopop presents“ noch einmal als Heftserie bei Image herauszubringen und weiterzuführen. 2009 und 2010 erschienen dort 12 Hefte, und Anfang 2012, fast fünf Jahre nach der ersten Veröffentlichung, lag dann endlich die hier besprochene Ausgabe vor: ein 424 Seiten dicker Sammelband der kompletten Serie.

Auf der Rückseite warnt ein Hinweisschild: „Dieser Comic verursacht Schwangerschaft, Durchfall, Lepra, ranzige Fürze, Laserblick und den Dritten Weltkrieg.“ Ganz so schlimm ist es zum Glück nicht, aber diese Ansage bietet bereits eine kleine Ahnung davon, was den Leser in King City erwartet: nämlich ein zügelloses Spiel mit dem Medium Comic, ein bunt zusammengewürfelter Mix verrückter Ideen, wilde Science-Fiction mit schrecklichen Bedrohungen, skurrilen Szenarien und Pupswitzen.

Seite aus King CityIn der futuristischen Welt von King City gibt es Alienbordelle, drogensüchtige Kriegsveteranen, mafiöse Machtkartelle, streng geheime Locations im Untergrund, zwielichtige Agenten und noch allerlei mehr Unannehmlichkeiten. Klingt erst mal nach einer finster-dystopischen SF-Geschichte, in der ein zynischer Bastard mit lässigen Sprüchen für Recht und Ordnung sorgt. Doch weit gefehlt, denn Brandon Graham ist kein Epigone von Garth Ennis oder Warren Ellis. Seine Hauptfigur mit dem simplen Namen Joe ist ein lässiger, schluffig-sympathischer Typ Anfang Zwanzig, der eher an Scott Pilgrim erinnert als an Figuren wie Spider Jerusalem. Genau wie der Slackerheld Scott Pilgrim läuft auch Joe mit Jeans,-T-Shirt und Sneakers herum, trägt schlecht geschnittene Haare, neigt zu Liebeskummer – und hat besondere Fähigkeiten, um die er aber nicht viel Aufhebens macht.

Im Fall von Joe ist es die Tatsache, dass er ein „Cat Master“ ist, eine Art Geheimagent mit Spezialausbildung, dessen Superwaffe eine hochintelligente Katze ist, die im wahrsten Sinne des Wortes zu allem fähig ist. Zuammen mit dieser Katze kehrt Joe auf den ersten Seiten des Comics nach längerer Abwesenheit zurück nach King City, wo er eher unfreiwillig in einen mysteriösen Bandenkrieg hineingerät, an dessen Ende die ganze Stadt von einem riesigen Tentakelmonster bedroht wird.

Seite aus King CityAutor und Zeichner Brandon Graham packt extrem viel in sein Szenario: Hyperintelligente Katzen, mächtige Dämonen, sexy Frauen, futuristische Architektur, wilde Kämpfe, philosophische Gespräche. Kaum eine Idee ist ihm zu abwegig, und auch formal ist Graham extrem verspielt. Da werden Kreuzworträtsel, Bastelbögen, Stadtpläne und Infokästen eingebaut, und beim Seitenlayout gleicht kaum eine Seite der anderen. Außerdem hat der Autor einen starken Hang zum Wortspiel und kann der Versuchung, hier und da noch einen kleinen Wortwitz einzubauen, selten widerstehen. Dieser Einfallsreichtum macht sehr viel Spaß und führt dazu, dass man auch bei mehrmaligem Lesen immer Neues entdeckt – der Story tut es jedoch nicht immer gut. Was die Dramaturgie angeht, fehlt es King City an Stringenz, denn Graham wechselt nicht nur ständig die Erzählperspektive, sondern neigt auch zum Abschweifen und droht mehr als einmal den roten Faden zu verlieren. Das macht es mühsam, der Handlung zu folgen und es fällt nicht leicht, die Hauptfiguren wirklich ins Herz zu schließen.

Doch immer wenn der Plot mal wieder in allzu viele Einzelteile zu zerbrechen droht, wird er geerdet durch eine schöne Liebesgeschichte: Bevor Joe die Stadt verlassen hatte, war er mit Anna Greengables (da! schon wieder ein Wortspiel!) zusammen, die er nicht vergessen kann und die mittlerweile bei dem Kriegsveteranen Max lebt, der gerade eine schwere Zeit durchmacht. Dieser überraschend realistische Handlungsstrang schmeckt eher nach einem Independentfilm als nach durchgeknallter Science-Fiction und liefert einen angenehmen Kontrast zum Rest des Comics. Graham zeigt hier, dass er nicht nur abgedreht, actionreich und witzig erzählen kann, sondern auch leise und einfühlsam.

Seite aus King CityUnd dann sind da natürlich noch die Zeichnungen, die King City zusammenhalten. Ein äußerst sehenswerter, sehr moderner Stilmix mit hohem Wiedererkennungswert, der viele Einflüsse in sich vereint: In Grahams Strich stecken Zeichentrick- und Mangaelemente ebenso wie Graffiti und Streetart, Anleihen bei Moebius und Miyazaki, gepaart mit großer Verspieltheit und einer unbändigen Lust am zeichnerischen Herumphantasieren.

King City war Grahams erstes großes, aber noch lange nicht sein letztes Werk: Zur Zeit beeindruckt er die Kritiker mit einer für unmöglich gehaltenen Neuinterpretation von Rob Liefelds Neunziger-Jahre-Trash Prophet, den er als Autor mit verschiedenen Zeichnern umsetzt, parallel schreibt und zeichnet er die Serie Multiple Warheads, eine poppig-verspielte Science-Fiction-Variante, die ihren Ursprung in einem Pornocomic hat. Da kommt noch einiges auf uns zu!

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Wilde SF-Geschichte, getragen von überbordendem erzählerischen und zeichnerischen Einfallsreichtum

 

King City
Image Comics, März 2012
Text und Zeichnungen: Brandon Graham
424 Seiten, davon 15 farbig, Softcover
Preis: 19,99 US-Dollar
ISBN: 978-1-60706-510-4

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Abbildungen: © Brandon Graham / Tokyopop / Image Comics