Rezensionen

Gregory 1 und 2


Cover Gregory 1Christopher: Die beiden Gregory-Bände von Cross Cult sind besondere Kost. Auch für hartgesottene Comicfans. Wenn ich kurz umreißen müsste, worum es dabei geht, würde ich sagen, dass sich Autor Marc Hempel da anschickt, seinen Lesern beizubringen, was seiner Ansicht nach alles merkwürdig und seltsam, unerklärlich und völlig verrückt in unserer Welt läuft. Um solche alltäglichen Widersprüche greifbar zu machen, muss er einen Umweg über die Figuren machen. Da gibt es: Gregory, den Jungen in der Zwangsjacke, Herman Vermin, eine Macho-Ratte mit unendlich vielen Leben, und Wendell, die käsesüchtige Maus. Ein sehr persönlicher Comic. Ein Comic für Intellektuelle. Oder für Anarcho-Komiker. Hast Du gelacht, Ben?

Benjamin: Wenn ich ehrlich bin, nein. Aber das macht auch gar nichts, Gregory zielt in meinen Augen nicht darauf hin, dass der Leser laut loslacht. Aber „Anarcho-Komiker“, der Begriff gefällt mir, und Marc Hempel würde ich zu dieser seltenen Spezies zählen. Zum Schmunzeln bringt er mich damit allemal.

Gut, worum geht es? Ich würde sagen, wir erleben durch Gregorys Augen eine völlig neue, unaufgeregte Sichtweise auf die Welt. Er selbst bewegt sich zwar in einem einem recht verrückten und vor allen Dingen sehr eingeschränkten Universum, sozusagen in einem Mikrokosmos, ist aber sensibilisiert für kleine Veränderungen, Entdeckungen des Alltags. Und wenn meine Beschreibung recht ernsthaft klingt, so zeigt dies bereits die Vielschichtigkeit der Serie, denn im Grunde handelt es sich ja um humoristisch angelegte Geschichten. Insofern, Widerspruch, Intellekt, Anarchie, kann ich so unterschreiben …

Cover Gregory 2Christopher: Versuchen wir doch mal in medias res zu gehen, damit die Leser hier einen Eindruck bekommen, worum es bei Gregory geht und wie sich der Comic anfühlt. Die beiden Bände enthalten mehrere kurze und längere Episoden aus dem Leben des kleinen Anstaltsjungen. Er selber ist eine schwach umrissene Figur, eher ein Platzhalter, der für den Leser stehen kann. Spannend wird's, wenn die Welt und Gregory aufeinander treffen. Beispielsweise, wenn er aus der Irrenanstalt entlassen wird, zu einer Pflegefamilie kommt oder er in eine andere Gummizelle umziehen muss. Ich behaupte, Gregorys Leben wäre rundum prima, wenn ihn nicht ständig irgendwer oder irgendwas stören würde. Das Gefühl kennt wohl jeder … Vielleicht sollten wir mehr auf die anderen Figuren eingehen. Herman und Wendell sind schließlich etwas greifbarer als der brabbelnde Gregory.

Seite aus Gregory 1 Benjamin: Ja, Gregory bildet mit Herman und Wendell ein ungleiches Dreiergespann. Während der eine völlig unberechenbar durch die Gegend rennt oder sich in irgendwelche undefinierte Laute hineinsteigert (“Ik Gregory“), redet der selbsternannte Freund Gregorys, Herman Vermin, fortwährend und stirbt im wahrsten Sinne des Wortes tausend Tode. Wendell ist im Prinzip ein Anhängsel Hermans und bildet dessen ruhigen, von Käse besessenen Gegenpol. Dabei sind die drei Hauptfiguren aber gar nicht allein, Anstaltspersonal und Therapeuten kümmern sich um Gregory; ja sogar seine Zellenausstattung (Gullideckel, Gitter am Fenster, Tür) kann miteinander kommunizieren. Da man aber aber bevorzugt Gregorys Blickwinkel aufgezwungen bekommt und der in der geistig unbegreiflichen Welt lebt, sind sämtliche Sozialkontakte für den Leser befremdlich. Insofern kann ich deine Definition bestätigen, Gregory ist weitestgehend unbedarft und zufrieden mit seinem schlichten Dasein und ist auch vom ganzen Drumherum wenig zu beeindrucken.

Christopher: Sämtliche Sozialkontakte wirken befremdlich! Das kann man wohl sagen! Die Episode, in der sich die Zellenausstattung miteinander unterhält, hat mir übrigens gar nicht gefallen. Und die, in der sich Herman mit Gott unterhält, auch nicht. Dafür mochte ich die lange Episode, in der Gregory bei einer Pflegefamilie unterkommt. Der ganz normale Familienwahnsinn! „Obenei!“ Und mir gefiel die Gesprächsrunde mit dem Typen, der immer lauter behauptet, ganz normal zu sein, bis er abgeführt wird. Da wird die Realität einem Vernunftscheck unterzogen, das mag ich. (Irgendwie musste ich dabei an Eddy Current denken, auch so eine Geschichte, die dem Wahnsinn ein Plätzchen einräumt.) Im Großen und Ganzen hat mich an Gregory gefreut, dass man nie wusste, wie der Hase läuft bzw. was als Nächstes passiert. Der Humor ist speziell und nicht alle Kapitel funktionieren gleich gut, aber der Comic leistet für mich mehr als so manch andere oberflächliche Comedy. Denn es ist immer auch ein tragischer Beigeschmack dabei. Wie hast Du das empfunden?

Seite aus Gregory 1 Benjamin: Ganz ähnlich, ich war immer hin- und hergerissen, ob ich jetzt Mitleid für den kleinen Kerl empfinden soll oder ob er mir auf den Geist geht. Auf jeden Fall ist bei aller Komik auch ein wenig Tragik dabei und das gefällt mir in dieser ungewohnten Konstellation ganz gut. Bei den von dir angesprochenen Episoden kommt es auf den Kontext an, Marc Hempel gestaltet das sehr clever. Der Onepager mit der Zellenausstattung ist deshalb irgendwie lustig, weil man einfach nicht damit rechnet, dass Hempel Gegenstände personifiziert und die Zelle quasi mit sich selbst und über Gregory quatscht, sobald dieser mal kurz weg ist. Das ist in dem Moment völlig absurd. Dazu passt dann auch das Intermezzo von Herman, der mit Gott über seine (mal wieder) Reinkarnation verhandelt. Also mir gefällt auch diese Geschichte ganz gut. Aber ich habe einige Favorites, vor allem die Storys, die den Erzählstil unterbrechen und auch mit dem Leser spielen. Wie du gemeint hast, man weiß nie, was als Nächstes kommt, man ist der Unberechenbarkeit ausgeliefert.

Christopher: Was sind denn Deine Favoriten?

Benjamin: Richtig nett finde ich die „Die Therapeutin“. Da wird Gregory analysiert und einigen Tests unterzogen, um seinen aktuellen Geistes- und Leistungsstand festzuhalten. Der Leser bekommt dabei die Persepektive der Therapeutin und darf praktisch in die Aufzeichnungen linsen. Das ist einfach urkomisch. Ähnlich wird man bei der Story mit „Gregory-Vision“ eingebunden, die in der Egoperspektive spielt. Überhaupt werden viele künstlerische Grenzen aufgebrochen, da hat mir auch die Idee von „Gregorys neue Zelle“ sehr gut gefallen, wo das Geschehen von zwei unbekannten Zuschauern kommentiert wird, der Leser des Buches wird so ein Teil davon. Aber im Grunde gibt für mich gerade die Unterschiedlichkeit der einzelnen Episoden den Ausschlag, um Gregory als richtig einzigartig einzustufen.

Seite aus Gregory 1 Christopher: Das Spektrum, mit dem Marc Hempel da operiert, ist beachtlich. Auf den ersten Blick sieht Gregory wie ein aufgeblasener Cartoon aus; optisch, meine ich jetzt. Wenn man dann aber ins Detail geht, fällt schnell auf, wie vielfältig die Seiten angelegt sind. Ich glaube, auch da hat Marc Hempel ordentlich drauflos experimentiert, nicht nur inhaltlich. Wie war das neulich beim Zettgeist-Podcast? „Die einfachsten Striche sind oft die schwierigsten.“ Ich wette, Hempel weiß davon ein Lied zu singen…

Benjamin: Im Endefekt, das hat Marc Hempel ja auch selbst gesagt (s. Interview), ist Gregory mit keinem anderen Comic so richtig zu vergleichen. Klar, irgendwie ist die Serie humorig, aber zumindest mir ging es so, dass ich nicht lachen musste, vielmehr war ich fasziniert. Manche Parts sind auf den ersten Blick völlig stumpfsinnig, andere wiederum fallen sofort durch ihre hintergründige Herangehensweise auf. Das ist wirklich bemerkenswert und lässt sicherlich viele Leser verdutzt zurück. Aber obwohl es uns offenbar beiden recht gut gefallen hat, muss man fairerweise sagen, dass viele Menschen mit derartiger Lektüre so ihre Probleme haben dürften, Gregory ist wohl einfach zu krank, als dass er allen Lesern gefallen wird. Leider, denn aus meiner Sicht ist Gregory ein kleines Meisterwerk.

Christopher: Ich tue mich mit Worten wie „Meisterwerk“ immer etwas schwer. Aber ich finde, dass Gregory ein extrem gut gemachter Comic ist, der sich jenseits des Mainstreams bewegt. Extrem gut gemacht, weil Hempel in keine Routine gerät und man auch beim x-ten Mal Lesen noch Neues entdecken kann. Auch die deutsche Ausgabe ist durch das teilweise angewendete Handlettering sehr liebevoll gestaltet worden. Gregory ist ein Comic für Liebhaber, den man auch nach vielen Jahren gerne wieder zur Hand nimmt. Massenkompatibel ist Gregory nicht. Aber das klingt in meinen Ohren eher wie ein Plus- als wie ein Minuspunkt.

Gregory – Ich, Gregory!
Cross Cult, Februar 2007
Text und Zeichnungen: Marc Hempel
192 Seiten; schwarzweiß; Hardcover; 19,80 Euro
ISBN 9783936480184
Leseprobe bei Cross Cult unter „Spezial“
Jetzt bei Comic Combo anschauen und bestellen!Jetzt bei amazon.de anschauen und bestellen!

Gregory – Obenei!

Cross Cult, November 2007
Text und Zeichnungen: Marc Hempel
144 Seiten; schwarzweiß/vierfarbig; Hardcover; 19,80 Euro
ISBN 9783936480191

Leseprobe bei Cross Cult unter „Spezial“
Jetzt bei Comic Combo anschauen und bestellen!Jetzt bei amazon.de anschauen und bestellen!

 

Bildquelle: cross-cult.de
Gregory © Marc Hempel, dt. Ausgabe Cross Cult


Mehr Dialog-Rezensionen bei Comicgate:
Ausgetrickst
Hack/Slash 1 – Der erste Schnitt
Post Mortem Blues
Nextwave: Agents of H.A.T.E. Vol. 1 (US)
Rex Mundi 1 – Der Wächter des Tempels
200g Hack
Fables – Legenden im Exil
Marvel Graphic Novels: Shanna