Schlägt man heutzutage ein beliebiges Interview mit einem Comic-Zeichner auf, so kann man mit ziemlicher Sicherheit mit dem Auftauchen des Wortes „Illustration“ rechnen. Im Comic-Jargon hat dieser Begriff einen faden Beigeschmack, denn in den Augen der Leser handelt es sich dabei um jene böse Arbeit, zu der Comiczeichner aus finanzieller Not heraus gezwungen werden. Illustrationen scheinen ihnen die kostbare Zeit für ihre eigentliche Arbeit, das Zeichnen von Comics, zu rauben. In dem im Februar erschienenen und herrlich illustrierten Band Geduld und Gorillas gelingt es Herausgeber Pierre Thomé, dieses Vorurteil Stück für Stück zu entkräften. Der Mitbegründer des Comic-Magazins Strapazin legt ein Buch – erschienen im Schweizer Niggli Verlag – vor, das neben Non-Fiction, Werbung und Design den Comic als nur ein mögliches Endprodukt unter vielen im Bereich der Illustration vorstellt. Wie bereits der Untertitel verrät, wird außerdem noch erläutert, warum und wie Illustratoren „gemacht werden“.
Als Leiter der Abteilung Illustration der Hochschule Luzern – Design & Kunst hat Thomé all seine Erfahrung als Dozent, aber auch als praktizierender Illustrator in Geduld und Gorillas gesteckt. Man findet historisches Fachwissen über die Arbeiten des Comic-Vorvaters Rodolphe Töpffer neben Anekdoten über den Karikaturisten Saul Steinberg ebenso wie eigene Arbeiten des Künstlers. Um dem Leser die Reise in die Welt der Illustration zu erleichtern, präsentiert Thomé die Arbeiten von Studenten, lässt Kollegen über ihre Projekte erzählen und rundet das gesamte Bild durch Interviews mit Illustratoren und Dozenten ab. Dabei beweist Thomé als Herausgeber dieselbe Geduld, die es benötigt, um einen Gorilla zu zeichnen.
Ständige Begleiter der Texte und Interviews sind Illustrationen, die das gesamte Spektrum der Darstellungsformen abdecken: Von den wilden Scribbles der Studenten und Dozenten, welche an Töpffers Idee des „mentalen Zickzacks“ erinnern, bis hin zu den Arbeitsmappen, Skizzenbüchern, Abschlussarbeiten und Auftragsarbeiten der Dozenten und Studenten des Instituts fungieren diese Illustrationen aber nicht nur als freundliche Unterstützung des Textes; wie in einem Comic unterstützen sie das Geschriebene, brechen mit den Aussagen der Befragten oder greifen aktiv in das Layout des Textes ein.
Aber auch ohne den begleitenden Text beweisen die grafischen Beispiele, dass Illustrationen nicht nur dazu dienen, eine bestimmte Ware in den Warenkorb zu bekommen, sondern das Erlebnis der visuellen Wahrnehmung zu zelebrieren. Dabei lässt sich Geduld und Gorillas auch als wundervolles Bilderbuch voller Ideen und Anregungen lesen. Beinahe jede neue Seite überrascht durch eine große Farbvielfalt, minimalistische Strips, subjektive Comicreportagen oder anatomisch korrekte Darstellungen von Käfern und Landschaften zu wissenschaftlichen Zwecken.
Um dem Leser den Studiengang als solchen näherzubringen, hat Thomé befreundete nationale und internationale Kollegen wie Henning Wagenbreth (Universität der Künste Berlin) und Jonathan Gibbs (Edinburgh College of Art) befragt, wie sie den Studiengang Illustration definieren würden, wie man „Kunst“ überhaupt studieren und benoten kann und was der Bachelor-Abschluss in diesem Bereich wirklich wert ist. Die Befragten waren sich darüber einig, dass man keine „kreativen Manager“ heranzüchten will, sondern jungen Menschen Bilder als Sprache begreifbar machen möchte. Neben diesen rein theoretischen Diskursen beschäftigen sich die Beteiligten in Geduld und Gorillas mit Non-Fiction als Form der grafischen Reportage (Christoph Göldlin und Roland Hausherr), mit der Biografie eines Buches (Hans ten Doornkaat und Valérie Losa), dem Nutzen eines Workshops (Ben Katchor) und dem postuniversitären Kampf der Illustratoren auf dem Arbeitsmarkt.
Die zweite Hälfte des 344 Seiten starken Buches illustriert den Werdegang der Auszubildenden an der Luzerner Kunsthochschule und dient somit als legitime Selbstdarstellung eines Studiengangs. Neben den teilweise noch naiven Bewerbungsmappen wirken die Skizzenbücher der Studenten am Lehrstuhl Kunst & Design überraschend kraftvoll. Obwohl die Projekte von den Themen her unterschiedlicher nicht sein könnten, lässt sich dennoch eine stetige Entwicklung in den Illustrationen, ein Gespür für das Bild als Sprachform, erkennen. Während die Skizzenbücher noch Dokumente des Ringens mit sich selbst in jeder Phase der Ausbildung zeigen, präsentieren sich die Abschlussarbeiten zumeist als selbstbewusste Projekte, welche praktische Arbeitsweisen mit kreativen Einfällen verbinden.
Ob die jungen Illustratoren jetzt den beschwerlichen Weg eines Comiczeichners einschlagen werden – wie vor ihnen die Absolventin Kati Rickenbach (Filmriss) oder die Gastdozenten Thomas Ott (t.o.t.t.) und Christophe Badoux (Klee) – bleibt abzuwarten. Geduld und Gorillas erläutert und dokumentiert äußerst eindrucksvoll, warum Illustrationen nicht die Wurzel allen Übels sind, sondern eine Sprache der Bilder darstellen, die es für die Anwendung in grafisch erzählenden Texten wie beispielsweise Comics zu erlernen und zu meistern gilt.
Geduld und Gorillas: Wie Illustratoren gemacht werden
Niggli Verlag, Februar 2009
Hrsg.: Pierre Thomé
Texte/Zeichnungen: diverse
A4, Softcover, farbig, 344 Seiten; 36,- Euro
ISBN 9783-7212-0696-8