Mit dem Namen Jiro Taniguchi verbindet der deutschsprachige Leser in erster Linie ruhige, nachdenkliche Comicgeschichten. So dürfte der aktuell erschienene Band Enemigo, ein Frühwerk des Japaners, für die meisten ein Schock sein. Die im Jahre 1984 nach einem Szenario der Künstlergruppe M.A.T entstandene Erzählung hebt sich stilistisch derart deutlich von Taniguchis späteren Werken ab, dass man erst einmal verblüfft ist. Nach eigener Aussage des Zeichners ist Enemigo ein purer Abenteuer-Action-Manga, der sich vor dem Hintergrund französischer Meister des Comics und des US-Kinos der 1980er Jahre erklärt. Als solcher bietet er aus heutiger Sicht ein ambivalentes Lesevergnügen:
Enemigo unterhält mit überbordenden Gefechtsszenen, toller Dschungelatmosphäre und schamloser Gewaltanwendung. Verpackt wird dies in einen Kriminalfall mit ökonomischen und politischen Implikationen. Yuji Seshimo, ein japanischer Unternehmer, der den Auftrag zur Urbanisierung des fiktiven südamerikanischen Staates Nascencio erhielt, wird im Urwald von Überbleibseln der diktatorischen Truppen entführt. Kenichi, New Yorker Privatdetektiv und Yujis Bruder, begibt sich schließlich im Alleingang auf Rettungsmission.
Kenichi ist kampferprobt, erfahren und birgt schon von Berufs wegen eine gewisse Coolness in sich. Wenn dieser Stereotyp sich auch noch als Einzelkämpfer (mit einem Hund an seiner Seite!) durch den Urwald schlägt und in bester Rambo-Manier eine kleine Armee niedermetzelt, dann ist das recht spaßig und intensiv erzählt, aber ehrlicherweise kann man die Handlung nicht so richtig ernst nehmen.
Die Kehrseite des unterhaltsamen Action-Blockbusters ist (und das war zur damaligen Zeit wesentlich schlimmer als heute) eben dann auch eine gewisse Oberflächlichkeit, eine Reduktion auf die genretypischen Kernpunkte. Als ein solches dynamisches, geradliniges Genrestück, als Vertreter des Achtziger-Mainstreams funktioniert der Comic allerdings hervorragend. Vielleicht gerade weil man Taniguchi so einen Band nicht zugetraut hätte, nach allem, wofür er in den letzten Jahren hierzulande gerühmt wurde. Und nach dem ersten Schock ist man über die Abwechslung durchaus froh und weiß Enemigo aufgrund seiner eindrucksvollen Bilder und der intensiven, nie langweiligen Story wirklich zu schätzen.
Wertung:
Ein Frühwerk, das sich Klischees bedient. Aber trotzdem Popcorn-Kino auf nicht zu unterschätzendem Niveau
Enemigo
Schreiber & Leser, März 2013
Text: M.A.T
Zeichnungen: Jiro Taniguchi
296 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 16,95 Euro
ISBN: 978-3-943808-10-0
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Schreiber & Leser