Die lebenden Toten, besser bekannt als „Zombies“, sind zur Zeit ein höchst populäres Thema, mit dem sich etliche Comicserien befassen. Dass die fleischhungrigen Wesen mit dem ungesunden Teint auch auf deutschem Boden ihr Unwesen treiben, ist allerdings neu. Eine massive Zombie-Epidemie sähe hierzulande sicher anders aus als etwa in den USA, zum Beispiel weil bei uns viel weniger Menschen eine Schusswaffe im Kofferraum oder im Nachttisch liegen haben.
Was genau bei einer Zombie-Plage in Deutschland passieren könnte, versucht die neue Comic-Reihe des Zwerchfell-Verlags zu ergründen. In Die Toten erzählen wechselnde Kreativteams kurze, abgeschlossene Geschichten, die an verschiedenen Schauplätzen kurz nach dem Ausbruch einer Zombie-Epidemie spielen. Zusammengehalten werden die einzelnen Stories durch ein übergreifendes Konzept, ersonnen von den neuen Verlagslenkern Stefan Dinter und Christopher Tauber. Demnach brach die Plage am 3. Oktober 2010 aus. Die drei Geschichten im ersten Band spielen etwa eine Woche später, in Frankfurt am Main, in München und auf einer Autobahnraststätte bei Baden-Baden.
Am überzeugendsten schneidet das Frankfurt-Kapitel ab, geschrieben von Christopher Tauber und gezeichnet von Ingo Römling, die auch beide dort leben. Eine Gang jugendlicher Junkies ballert sich ihren Weg durch die Zombiehorden und wird dabei ordentlich dezimiert. Das ist sehr düster, wuchtig, energiegeladen, ziemlich blutig, auf die Zwölf. Rockt. Dass der Ich-Erzähler immer wieder zwischen verschiedenen Zeitebenen hin- und herspringt, irritiert zuerst ein bisschen, ist aber genau so gedacht und funktioniert am Ende sehr gut. Ingo Römlings Artwork ist sowieso Güteklasse A und erzeugt mit seiner monochromen Farbstimmung eine prima Großstadt-Horror-Atmosphäre.
Ganz anders, was Stimmung und Atmosphäre angeht, ist die bei Baden-Baden spielende Auftaktgeschichte, Wesentlich ruhiger und braver als oben erwähnte Story, was sowohl für die Zeichnungen von Michael Vogt als auch den Plot von Yann Krehl gilt. Unter der oberflächlichen Harmlosigkeit lauert aber eine schöne kleine Creepyness, die mir gut gefallen hat. Und die Autobahnkirche wird grafisch sehr schön eingesetzt.
Beide Stories zeichnen sich dadurch aus, dass die Figuren und ihre Umgebung realistisch und glaubhaft wirken. Das ist ganz klar die uns bekannte Welt, sogar das uns bekannte Land, in dem diese Horrorszenarien stattfinden, was für einen zusätzlichen Beklemmungs-Effekt sorgt. Unterstützt wird dieser noch von kleinen fiktiven Zeitungsausschnitten, die ebenfalls von der Epidemie berichten.
Ganz und gar nicht realistisch wirkt dagegen die dritte Geschichte, die in München beziehungsweise in der bayerischen Provinz angesiedelt ist und vom Wahl-Münchner Boris Kiselicki stammt. In dieser komplett überzogenen Satire werden alle verügbaren Bayern-Klischees aus der Klamottenkiste geholt: Der Bayer redet komisch, trinkt ständig Bier, trägt selbstverständlich Lederhose und muss zwischendurch immer wieder brunzen. München ist Oktoberfest und P1. Das ist in etwa so lustig wie eine Angela-Merkel-Parodie von Mathias Richling. Also gar nicht.
Viel schlimmer ist aber die Sprache: Dialekt ist in geschriebenem Text von vornherein immer schwierig, es handelt sich schließlich um eine Mundart und nicht um eine Schriftsprache. Macht man es trotzdem, landet man entweder in der Apostrophhölle („Schaut’s wia ma z’samm auf der Wies’n g’soff’n hab’n“ oder so) oder man macht es wie Kiselicki und geht Kompromisse ein. Das Ergebnis ist eine Mischung von Hochdeutsch, Bairisch und falschem Pseudo-Bairisch, oft innerhalb eines einzigen Satzes. Tut mir leid, aber so spricht niemand. Niemand! Ich konnte das fast nicht lesen und fühlte mich, als würde mir eine Band ein Lied auf komplett verstimmten Instrumenten vorspielen.
Zusammengefasst: ein Knüller, eine gute Story, ein Totalausfall. Kein schlechter Schnitt für die erste Ausgabe. Die Aufmachung (Hardcover, ungefähr im US-Format) ist top, zusätzlich bekommt man durch die wechselnden Zeichner und Autoren einen interessanten Querschnitt der aktuellen deutschen Comicszene. Wünschenswert wäre es, wenn es zwischen den einzelnen Episoden etwas mehr Verbindungen geben würde als nur das Setting „Zombies in Deutschland“. Vielleicht treffen ja später mal Figuren aus der einen Story auf Figuren aus der anderen. In jedem Fall kann man sich auf die nächsten Ausgaben freuen; der zweite Band soll noch in diesem Jahr erscheinen.
Die Toten 1
Zwerchfell, Juli 2010
Text: Yann Krehl, Boris Kiselicki, Christopher Tauber
Zeichnungen: Michael Vogt, Boris Kiselicki, Ingo Römling
68 Seiten, Hardcover, farbig & s/w, 14,00 Euro
ISBN: 3-928387-93-6
Blog zur Serie: dietotenblog.blogspot.com
Trotz einer sehr schwachen Episode ein vielversprechender Auftakt
Abbildungen © Ingo Römling, Zwerchfell
[Disclosure/Klarstellung: Einige der an diesem Comic beteiligten Künstler haben bereits an den Comicgate-Printmagazinen mitgewirkt]