Es ist immer wieder dieselbe, alte Geschichte: Junge trifft Mädchen. Junge und Mädchen verlieben sich. Mädchen will mit Junge davonlaufen, wird aber vom Vater des Jungen entführt. Vater gibt Mädchen an Jungen zurück und kidnappt stattdessen Viktoria I, Königin von England. Einmal abgesehen von diesem offensichtlichen Verstoß gegen den Knigge machen die Künstler Sfar und Guibert in Die Tochter des Professors alles richtig. Vielleicht sei noch zum Plot erwähnt, dass sich hinter den Mullbinden des Jungen niemand anderes als der mumifizierte Pharao Imhotep IV versteckt.
Versetzt ins neunzehnte Jahrhundert flaniert die quicklebendige Mumie aus dem ägyptischen Adelsgeschlecht mit der Dame ihres Herzens, Ms. Liliane Bowell, jener Tochter des Professors, durchs viktorianische London. Scheinbar ohne jegliches Ansinnen auf Realität oder Authentizität – immerhin lustwandelt hier eine über tausend Jahre alte Mumie im Park – verquickt Joann Sfar die episodenhaften Abenteuer von Imhotep IV und Liliane zu einer Geschichte mit kurzweiligen Slapstick-Einlagen und gelungen Spannungsbögen. Während der Tenor des Comics eher grotesk-romantisch ist, wirkt das Seitenlayout recht bodenständig: ein klassisches Sechs-Panel-Raster.
Der Austausch der viktorianischen Höflichkeitsformeln findet in Sprechblasen statt, die fein säuberlich von Hand mit dem Bleistift gezeichnet wurden. Unter die romantische Grundfärbung der Dialoge mischt sich einfühlsame Selbstironie, der die Protagonisten enger zusammenschweißt. Auf Lilianes naiven Beitrag „[Vater] sagt, Sie seien wertvoll“ kontert Imhotep IV charmant mit einem „Dasselbe sagt er von Ihnen“.
Anstatt wie üblich Tiere im Comic zu vermenschlichen, bemüht sich Sfar, die Menschen in Die Tochter des Professors immer wieder aufs Neue mit ihrer Dinglichkeit zu konfrontieren. Das Leben von Imhotep IV als wandelnde Museumsware mit Gefühlen spiegelt humorvoll die gesellschaftlichen Zwänge wider, die Liliane im zugeknöpften viktorianischen Zeitalter über sich ergehen lassen muss. In keinem einzigen Dialog versäumt Sfar versteckte Doppeldeutigkeiten einzubauen, was Die Tochter des Professors zu einem Feuerwerk verbaler Pointen macht.
Als Kontrast zu Sfars grotesk-komischen Dialogen taucht sein Studiokollege Emmanuel Guibert die Seiten in mit Wasser verdünnte Aquarelle, die synästhetisch der Stimmung der jeweiligen Szenerie angepasst sind. Vergessen sind sein hyperrealistischer Stil in Brune, seine klaren Konturen in Alans Krieg oder seine Interpretationen der Fotografien in Der Fotograf. Guiberts Zeichnungen in Die Tochter des Professors orientieren sich eher am Stil von Kapitän Scharlach, seiner Kooperation mit David B.
Beachtlich ist vor allem die Farbpalette. Mit seinen über die Konturen verfließenden Aquarellfarben verstärkt Guibert sowohl die knospende Liebesbeziehung des ungleichen Pärchens als auch die bedrohlichen Hafensequenzen. Während Guibert die Frühlingstage in warme Ockertöne einkleidet, taucht er das Milieu der Hafenarbeiter in ein kühles Blau. Das Spiel mit dem Pinsel endet nicht beim simplen Kolorieren der Hintergründe, sondern ist auch Teil der Charakterisierung der Figuren. Mit einem feinen Schwung nuanciert Guibert das Gesicht der Tochter aus gutem Haus, lässt ihre Augen unter dem dunklen Schatten des Hutes hervorschauen oder hinterlässt mit einem einzigen Pinselstrich ein überraschtes „Oh“ in ihrem Antlitz. Die Gesichter von Imhotep IV und seinem Vater hingegen beweisen, dass man sehr wohl mit eingeschränkter Mimik und ganz ohne Augenbrauen Gefühle evozieren kann.
Die Tochter des Professors ist ein charmanter Comic, der ganz bewusst über die Grenzen geht; ob dies die Gesichtskonturen der jungen Damen sind oder auch die Grenzen der Realität. Geführt von Sfar und Guibert kann einem ebenso wenig passieren wie bei einem Spaziergang durch Kensington Park und mindestens ebenso viel Amüsement bei der Lektüre ist garantiert.
Wertung:
Ein Comic, der sich liest wie ein erquickender Spaziergang durch den Park
Die Tochter des Professors
Bocola Verlag, November 2010
Text: Joann Sfar
Zeichnungen: Emmanuel Guibert
64 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,90 Euro
ISBN: 978-3-939625-32-2
Leseprobe
Abbildungen © Emmanuel Guibert, der dt. Ausgabe: Bocola Verlag GmbH
Es ist immer wieder dieselbe, alte Geschichte: Junge trifft Mädchen. Junge und Mädchen verlieben sich. Mädchen will mit Junge davonlaufen, wird aber von Vater des Jungen entführt. Vater gibt Mädchen an Jungen zurück und kidnappt stattdessen Viktoria I, Königin von England. Einmal abgesehen von diesem offensichtlichen Verstoß gegen den Knigge, machen die Künstler Sfar und Guibert in Die Tochter des Professors alles richtig. Vielleicht sei noch zum Plot erwähnt, dass sich hinter den Mullbinden des Jungen niemand anderes als der mumifizierte Pharao Imhotep IV versteckt.