Suburbia – die Hölle der Vorstadt, der vermeintlich so idyllischen Wohn- und Schlafsiedlungen, in denen sich ein Häuschen mit Garten ans nächste reiht und das nahe Einkaufszentrum das einzige ist, was ein bisschen Abwechslung im faden Alltag verspricht. Oder die Bowlingbahn. Und weil das meistens nicht reicht, hilft man mit Drogen, Alkohol und freudlosem Sex nach. In Der König der Fliegen berichten sechs verschiedene Protagonisten in zehn kurzen Episoden aus ihrem trostlosen Alltag in dieser Welt.
Im Zentrum dieser Kurzgeschichten, die sich durch kleine Verbindungen zu einem großen Ganzen verweben, steht Éric, der selbsternannte „König der Fliegen“, der im ersten Kapitel als Fliege verkleidet eine Halloweenparty besucht, die ein sehr unschönes Ende nimmt. Éric nimmt regelmäßig Drogen, dealt ein bisschen und lässt sich mit großer Gleichgültigkeit durchs Leben treiben, die auch dann nicht nachlässt, wenn es zu Gewaltausbrüchen kommt. Ähnliches gilt für die anderen Figuren: Ob Teenagermädchen oder alkoholkranker Familienvater, Glück oder Freude empfindet keine von ihnen, aber alle scheinen sich mit der Tristesse ihres Alltags abgefunden zu haben und leben letztlich ausschließlich für sich selbst. Egal wie viel Sex sie auch haben (es gibt ziemich viel Sex in diesem Comic), sie bleiben einsam. Das ist wohl auch der Grund, weshalb es in dem Album fast nur Monologe und nur sehr wenige Dialoge gibt.
Der König der Fliegen stammt aus Frankreich, doch die Welt, die Szenarist (Michel) Pirus und Zeichner Mezzo (d.i. Pascal Mesenburg) hier entwerfen, fühlt sich durch und durch amerikanisch an. Der Avant-Verlag nennt Charles Bukowski als Referenz, doch viel mehr noch erinnert der Comic an die düsteren Kleinstadtszenarien von David Lynch, wie sie zum Beispiel in Blue Velvet entworfen werden, oder an David Laphams Comicserie Stray Bullets. Mezzos Zeichnungen ähneln denen von Charles Burns, der mit Black Hole ganz ähnliche Themen verarbeitet hat.
Mezzo gestaltet seine Seiten mit großer grafischer Strenge: Ein durchgehendes 9-Panel-Layout, klare Linien, scharfe Kanten, geometrische Bildanordnungen. Dazu die Besonderheit, dass seine Figuren in den meisten Panels frontal dargestellt, also direkt dem Betrachter zugewandt sind. Dies verstärkt den beklemmenden Eindruck, den Pirus‘ Episoden ohnehin schon hervorrufen. Das gilt auch für die überaus gelungene Kolorierung von Ruby, der neben sehr viel Schwarz und gedeckten Farben auch gelegentlich sehr grelle Akzente setzt: Surreale Elemente wie Traumsequenzen oder rauschhafte Wahrnehmungen heben sich mit einem knalligen Rosa vom Rest der Erzählung ab.
An deren Ende ist die Situation für alle Beteiligten genauso düster und trist wie zu Beginn. Das Episoden-Puzzle von Der König der Fliegen führt nicht zu einer Katharsis oder einem großen, einschneidenden Ereignis – jedenfalls nicht im ersten Band. Angelegt ist der Comic als Trilogie, Band 2 erscheint im April bei Avant.
Spaß macht die Lektüre nicht direkt – aber der Comic verströmt eine Faszination des Unbehaglichen, der man sich kaum entziehen kann. Der König der Fliegen ist morbide, düster und pessimistisch – ein Volltreffer für alle, die sich beim Comiclesen mal richtig schön unwohl fühlen möchten.
Wertung:
Düstere Episoden aus der Hölle der Vorstadt, eindrucksvoll und stilbewusst umgesetzt. David Lynch lässt grüßen.
Der König der Fliegen 1 – Hallorave
Avant-Verlag, Oktober 2010
Text: Pirus
Zeichnungen: Mezzo
64 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 19,95 Euro
ISBN: 978-3-939080-38-1
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe Avant-Verlag