Bei dem 264 Seiten dicken Band Das verlorene Land handelt es sich um die Gesamtausgabe der Serie. Sie beinhaltet alle vier Einzelabenteuer, die alle schon einmal in Deutschland erschienen sind, aber nun in einer schönen Edition komplett vorliegen. Einen redaktionellen Teil, der Hintergründe und Geschichte der Serie beleuchtet, wie man es von anderen Gesamtausgaben her kennt, gibt es zwar nicht, aber dafür sind im Anhang noch einige Skizzen und Illustrationen zu sehen, was sich bei einem Zeichner wie Grzegorz Rosinski immer lohnt. Das verlorene Land ist ein moderner Klassiker zweier Superstars der Comicwelt, die jeweils prägend waren und immer noch sind. Autor Jean Dufaux hat an Produktivität noch lange nichts eingebüßt und Rosinski und sein Stil haben viele neuere Zeichner beeinflusst. Das Zusammenspiel dieser beiden kann also gar nicht scheitern und tut das auch nicht.
Dabei fängt alles sehr unspektakulär an, mit altbekannten Elementen und Konstellationen: Sioban ist eine junge Prinzessin, deren Vater vor einiger Zeit während einer Schlacht gefallen ist. Um die Sicherheit des Reiches zu gewährleisten, heiratet Siobans Mutter den Bruder ihres Mannes, Blackmore, der allerdings alles andere als gute Absichten hegt und schwarze Magie betreibt. Um das Reich in seine Fänge zu bekommen, plant er Sioban loszuwerden. Doch diese ist offensichtlich das Subjekt einer Prophezeiung und gewinnt mächtige Verbündete, die nicht alle von dieser Welt sind.
Auf den ersten Blick hin bedient sich die Story klassischer Elemente aus Hamlet (die Witwe heiratet den Onkel des Heros, was zu psychischen Konflikten führt) und ganz viel aus der Artus-Saga und man befürchtet schon, dass sich die Autoren auf den Klischees und den Sagenelementen ausruhen werden. Andererseits ist das typisch für Dufaux, der auch ausgelutschten Genres und Themen immer wieder auch neue und manchmal gar subversive Aspekte abringen kann, ohne damit das Genre an sich neu zu erfinden oder zu dekonstruieren. Er bedient sich einfach auf geniale Art und Weise der Stilmittel des jeweiligen Genres und lässt diese dann in die Leere oder in eine unerwartete Richtung laufen. Auch hier werden bekannten Versatzstücken immer wieder ungewöhnliche Aspekte abgerungen.
Da wird die klassische Mythologie vermischt mit Fantasy und klassischen Rittersagen und wirkt doch immer noch frisch, was auch daran liegt, dass man um die Figuren wirklich bangt. Besonders in der zweiten Hälfte, in der allerdings gegen Ende ein bisschen zu sehr „deus ex machina“ betrieben wird, fürchtet man wahrlich um die Heldin. Auf den letzten Seiten wird sie zwar zu einer Art Christusfigur stilisiert, besiegt damit aber die alten Götter und die Magie und läutet demnach die Neuzeit ein. Ein Thema, das auch in der Artussage zentral ist, die hier häufiger zitiert wird. Denn die Suche nach dem Gral, welcher hier nicht vorkommt, ist mit einer Erlösung gleichzusetzen, die auch hier erstrebt wird, ebenso wie die Ablösung des heidnischen Glaubens durch das Christentum. Gerade letztere Aspekte spielen hier eine wesentliche Rolle. Auch andere Elemente der Artussage sind deutlich wiederzuerkennen, wie etwa die Zeugung einer Hauptperson, indem der spätere Vater durch Magie ein anderes Aussehen annimmt und somit Uther Pendragon, dem Vater King Arthurs, ähnelt.
Dabei beeindruckt besonders der detailreiche Strich von Rosinski, denn er kann wie auch in Thorgal eine Welt erzeugen, in der man alle verschiedenen, sich eigentlich ausschließenden Elemente glaubt und alles harmonisch wirkt. Dabei ist der selten auftauchende Witz vor allem den Zeichnungen zu verdanken, die gleichzeitig eine Art Verklärung schaffen, dabei aber auch Horrorelemente einbauen können.
Wertung:
Ein moderner Klassiker, der sich lohnt immer wieder gelesen zu werden.
Das verlorene Land
Splitter Verlag, September 2014
Text: Jean Dufaux
Zeichnungen: Grzegorz Rosinski
Übersetzung: Jean-Marie Garnier, Ludwig Webel
264 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 44,80
ISBN: 978-3-86869-723-0
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Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag