Manu Larcenet bewies sein erzählerisches Talent bereits mit den Comics Der alltägliche Kampf, Die Rückkehr aufs Land und Die wundersamen Abenteuer (in welchem er berühmte Persönlichkeiten persiflierte). Für sein Mammut-Projekt Blast führt er seine knubbelnäsigen Figuren ins realistische Metier über; wo sich Larcenets Arbeit zuvor durch Unbeschwertheit und Farbe auszeichnete, herrscht hier düsterer Realismus vor. Was nicht heißen soll, dass der französische Künstler bei Blast auf jedweden Humor verzichtet. Dieser ist nur abstrakter verpackt.
Ein Mann namens Polza Manzini steht unter Mordverdacht. Im Rahmen der polizeilichen Vernehmung berichtet er ausführlich von seinem Leben und den Ereignissen, die ihn an diesen Punkt gebracht haben. Es ist die pessimistische Geschichte eines ungeliebten, von der Gesellschaft aufgrund seines auffälligen Äußeren verachteten Mannes. Nur, wer ist diese Person? Und kann man ihr glauben? Manzini schildert, wie er nach dem Tod seines Vaters verloren durch die Welt irrt, Frau und bürgerliches Leben unvermittelt hinter sich lässt. Getrieben wird er nach eigenen Aussagen von einer omnipräsenten Moai-Statue, er sei auf der Suche nach dem Blast, einer Art visionären Erfahrung, seitdem diese ihm zum ersten Mal widerfahren ist.
Ist Manzini nun ein eiskalter Mörder? Und wenn ja, ist die Frage, was ihn zu dieser Tat befähigt haben könnte. Larcenet versteht es meisterhaft, die Antwort auf diese Frage im Unklaren zu lassen. Es scheint so, als wolle er dem Leser nahelegen, er solle sich in die Psyche der Hauptfigur sukzessive vortasten, um selbst die Antworten für sich zu entdecken. Diese skizziert der Franzose vordergründig als grotesken Witz, als Opfer der Zivilgesellschaft. Mit seiner fast kindlich-naiven Art erweckt Manzini zwangsläufig Sympathie beim Leser. Nur in kurzen Momenten bricht die Gerissenheit und der Wankelmut des fülligen Mannes durch und der Zweifel an seine Glaubwürdigkeit wächst. Ein beachtliches Reservoir an glaubwürdigen Nebenfiguren flankiert die zentrale Lebensgeschichte des Mordverdächtigen und eröffnet manch interessanten Kontext.
Ob Manzini nun auf einem Stuhl in der Polizeiwache sitzt oder sich in seiner Erzählung durch den Wald schlägt, immer herrscht in diesem Comic das Grau vor. Das erzeugt ein beklemmendes Gefühl beim Verfolgen der Handlung. Manu Larcenet begibt sich auf völlig neues Terrain und konzipiert damit einen brillanten Psychothriller. Durchbrochen wird die grafische Monotonie durch den titelgebenden Blast. Dieser bahnt sich langsam an und durchflutet dann die Szenerie mit quietschbuntem Wachsmal- und Flizstift-Gekrakel (von Larcenets Kindern Lille und Lenni gezeichnet). Ein optischer Stilbruch, der durch seinen extremen Kontrast soghaft wirkt.
Die Serie ist auf mehrere Bände angelegt, jeder 200 Seiten lang. Wohin Larcenet damit steuern wird, bleibt abzuwarten. Die erste Ausgabe ist inhaltlich und grafisch bereits unheimlich stark, mit Sicherheit eines der ganz großen Comic-Highlights in diesem Jahr. Und es braucht, auch im Hinblick auf die anderen Werke des Künstlers, nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, das Blast am Ende ein hervorragendes Epos ergeben wird.
Wertung:
Eindrucksvoller Psychothriller, der Manu Larcenets Können erneut unterstreicht
Blast 1 – Masse
Reprodukt, September 2012
Text und Zeichnungen: Manu Larcenet
Übersetzung: Uli Pröfrock
208 Seiten, s/w + farbig, Hardcover
Preis: 29 Euro
ISBN: 978-3-943143-12-6
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Reprodukt
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