Du bist ein Comicmacher, aber nicht irgendeiner. Vor fünfzehn Jahren hast du einen der vielleicht beiden wichtigsten Superheldencomics aller Zeiten geschrieben und gezeichnet. Ein Comic der analysiert wurde, interpretiert wurde, der eine ganze Generation an Comicmachern beeinflusst hat, der die Art, wie wir Superheldencomics lesen, leben, denken verändert hat. Du hast Comicgeschichte geschrieben.
Und jetzt hast du die Chance, zurückzukehren. Du darfst ein Sequel schreiben. Alle Augen sind auf dich gerichtet. Jeder weiß, was du mit diesem Charakter in der Vergangenheit geschafft hast. Und nun hast du die Gelegenheit noch einen drauf zu setzen.
Was heißt Gelegenheit? Pflicht. Die Erwartungshaltung könnte höher nicht sein. Der Druck ist immens. Wie also übertriffst du dein Meisterwerk?
Die Antwort: Du versuchst es erst gar nicht.
Als die erste Ausgabe von Frank Millers The Dark Knight Strikes Again 2001 erschien, war es eines der heißesten Comicereignisse des Jahres. Alle Augen waren auf Miller gerichtet. Die Erwartungen waren klar: Miller würde zu dem zurückkehren, was er schon 1986 mit The Dark Knight Returns gemacht hatte, aber eben für eine neue Generation. Man erwartete DKR + X. Was X genau sein würde, wusste so recht niemand… aber es war ganz sicher nicht das, was Miller hier bot. Die Wellen im Internet schlugen, wie sie das oft und gerne tun, hoch. Miller wurde in der Luft zerissen, The Dark Knight Strikes Again in Grund und Boden gebrüllt. Einige stellten sich dem wütenden Mob in den Weg und lobten DKSA als Geniestreich, als Spielerei mit den Erwartungen der Leser, als gewollt und gekonnt. Der Comic polarisierte. Soviel ist sicher.
Wie sehe ich, als Comicfan, DKSA nun fast vier Jahre nach dieser Kontroverse?
Nun, ich stimme der großen Mehrheit der Internetfans zu:
The Dark Knight Strikes Again ist ein gewaltiges „Fuck you!“ an die Fans und Superhelden an sich.
Und ich stimme der großen Mehrheit der Internetfans nicht zu: Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes.
Das hier ist ein direktes Sequel zu
DKR, es ist also unmöglich, die Verbindung zum Vorgänger nicht zu sehen. Und wenn man
DKSA unter diesem Gesichtspunkt sieht, dann… ja, dann ist es eine herbe Enttäuschung, ein Tritt in die Nieren. Das hier stellt die Comicszene nicht auf den Kopf und das hilft Comics nicht, in eine völlig neue Dimension vorzustoßen und das wird nie die Bedeutung haben, die
DKR hat und das hat Frank Miller hier wohl auch gar nicht gewollt.
Natürlich ist das nur meine Interpretation des Comics. Ich kann Frank Miller auch nur
vor den Kopf schauen, aber das hier fühlt sich nicht an wie der Versuch, die Comicwelt umzugestalten, sondern wie ein Comic, in dem Frank Miller einfach nur auf all das einprügeln wollte, was ihm nicht gefällt. Und wenn das tatsächlich seine Intention war, dann ist ihm das gelungen.
DKSA ist ein Comic, der sich einfach nur zornig anfühlt. Rasend. Speed Metal. Grindcore. Wenn
Howard Beale einen Comic geschrieben hätte, dann wäre am Ende dieser
DKSA dabei rausgekommen.
Frank Miller scheint auf vieles wütend zu sein. Ein Teil seines Zorns entlädt sich, wie schon 1986, auf die Politik und auf die Medien. Der US-Präsident existiert nicht, sondern ist ein Hologramm, das von Lex Luthor und Brainiac kontrolliert wird. Aber das interessiert die Bevölkerung nicht. Dass der Präsident nicht existiert, eine Marionette ist, muss aber nicht unbedingt seinen Approval Ratings schaden. Stand-Ins für Ari Fleischer, John Ashcroft und Donald Rumsfeld haben alles unter Kontrolle. Die US-Bevölkerung hat Wichtigeres zu tun, als sich um solche Kleinigkeiten zu scheren. Und dieses vernichtende Fazit zog Miller schon vor den Anschlägen des 11. September.
Abgesehen davon haut Miller erneut auf die Medienlandschaft ein. Die Soundbites sind noch abstruser als 1986, auch wenn Miller offenbar verpasst hat, dass es schon einen Sender gibt, der die Nachrichten von nackten Moderatorinnen präsentieren lässt. Die liberalen und die konservativen Talking Heads befinden sich in einer Echokammer. Selbst der marxistische Oliver „Green Arrow“ Queen und der erzkonservative Vic „The Question“ Sage dürfen in einem der besten Momente des Comics bei Hannity, Colmes und Bill O'Reilly auftreten. John Q. Public darf gelegentlich einen belanglosen Kommentar in die Kameras sprechen und so seine Ignoranz und seine ganze Hässlichkeit zeigen. Den Konflikt um die Zukunft der Welt tragen derweil andere aus.
Wen Miller als Superheld nicht mag, der hat schlechte Chancen. Superman. Sidekicks. C-Superhelden. Cheesecake-Superheldinnen. Niemand bleibt hier vor Millers Zorn verschont. Er vertritt eine Position, die weit über Zynismus hinausgeht und im Nihilismus angekommen ist: Sollen die Dinge doch zur Hölle fahren, soll doch alles zerstört werden, vielleicht verdienen wir es gar nicht besser. Superman erkennt, dass er mehr Übermensch als Mensch ist und gibt jede Rücksicht auf menschliches Leben auf. Ein wütender Dr. Manhattan. Und selbst Batman sieht letzlich einem Mord seelenruhig zu, ja er genießt sogar jeden Moment und stellt dann ganz salopp fest: „Get used to it. […] It's a whole new ballgame.“ Wenn das Ende von DKR schon faschistoide Züge zeigte, dann ist das hier Millers endgültiges „Ich habe es gesagt und ich sage es noch einmal: Demokratie funktioniert einfach nicht!“
Das Ganze hat nur ein großes Manko: Millers Geschichte ist vom formalen Standpunkt her schwach. Das beginnt schon mit dem logischen Zusammenhang. Dinge passieren – nur warum sie passieren, wird oft nicht erklärt. Er setzt Dinge als gegeben voraus, die nicht mit der derzeitigen DC-Kontinuität konform gehen. Das wird am besten am Ende des dritten Bandes deutlich, wenn plötzlich ein Hal Jordan mit gottgleichen Kräften auftritt und das Geheimnis um die Identität eines Superheldenserienkillers (nein, nicht Ray Palmers Exfrau) gelüftet wird. Es gibt einfach keine logische Erklärung für dessen Motiv, zumindest nicht on page. Es ist eher, als ob Miller hier endgültig mit einem Charakter abrechnen will, den er einfach nicht ausstehen kann. Das ist nur fair, aber trotzdem kann man erwarten, dass diese Abrechnung besser in die Geschichte integriert wird.
Und manchmal werden zudem Charaktere eingeführt, ohne dass erkennbar ist, warum sie da sind oder welche Funktion sie in Millers Comic einnehmen. Auch hier fällt sofort wieder der Superheldenserienkiller ein. Miller klaut zudem manchmal bei sich selbst, Motive aus
Hard Boiled,
Sin City,
Give Me Liberty sind hier zu finden, und in anderen Momenten wildert er bei Grant Morrison. Aber viele der Szenen, die er dabei präsentiert, sind trotzdem ziemlich kreativ. Die Art, wie die neue Regierung etwa The Flash oder The Atom kalt gestellt hat, ist einfach genial.
Die Charakterzeichnung ist… naja, „nicht vorhanden“ wäre fast noch zu nett. Superman hat eine deutliche Charakterentwicklung zu verzeichnen, aber damit hört es auch schon auf. Batman und all die anderen Figuren bleiben Schablonen. Archetypen. Batman ist tierisch angefressen. Green Arrow ist Marxist. The Question ist ein Erzkonservativer. Elastoman ist ein schmieriger, alter Mann und Plasticman ist einfach nur wahnsinnig. Über diese oberflächliche Charakterisierung geht Miller zu keinem Zeitpunkt hinaus.
Aber das würde auch nicht zu dem Comic an sich passen.
DKSA ist nicht
DKR. Die Geschichte entfaltet sich nicht langsam, die Geschichte beginnt mit einem Stakkato an Medienszenen und so setzt sie sich fort. Haupthandlung, Nebenhandlung, Kommentare von Fernsehpersönlichkeiten, vom Präsidenten, vom einfachen Mann auf der Straße, all das gibt es in kurzer Folge, wild durcheinander gewürfelt. Ruhige Momente sind fast keine vorhanden. Dieser Comic strotzt geradezu vor ungezügelter Energie, von der er manchmal nicht weiß, wohin damit.
Dazu passen auch die Zeichnungen. Millers Stil hier ist im besten Fall als hässlich zu bezeichnen, das alles sieht sehr dahingeschmiert aus, so als ob Miller hier in Eile gewesen wäre. Große Flächen und wenig Details. Das hat nichts mehr mit den geschickten Schwarz-Weiß-Kompositionen zu tun, die er uns in
Sin City geboten hat. Aber auch das trägt zu der wütenden Grundstimmung des Comics bei.
Um einen musikalischen Vergleich zu ziehen: Sicher, man kann eine hochkomplexe, vielstimmige Rockoper schaffen, mit abgestimmtem Timing und handwerklich perfekten Gitarrensoli. Aber wenn man einfach nur wütend sein will, dann ist simpler Drei-Akkorde-Punk die bessere Wahl.
Wer eine Neuerung der Comicszene sehen will, der ist hier fehl am Platz. Wer eine wirklich gut gemachte Superheldengeschichte lesen möchte, die respektvoll mit dem DC-Universum umgeht, der sollte zu Daryn Cookes New Frontier greifen. Wer auf einen genialen Comic im Stile von DKR gehofft hat, der wird ihn hier nicht finden. Aber wer gewillt ist, die Erwartungshaltung zurückzuschrauben und einfach nur Frank Miller dabei zuzusehen, wie er im Overdrive auf alles scheißt, was ihm in der normalen Welt oder in der Welt der Superhelden nicht passt, wer einen Comic lesen will, der einfach nur pure, ungebändigte Wut ausstrahlt, der nicht direkt aus dem Bauch heraus entstanden zu sein scheint, der ist hier genau richtig. Vielleicht fasst ein Hamlet-Zitat das alles am Besten zusammen:
It is a tale told by an idiot,
full of sound and fury,
Signifying nothing.
DKSA mag keine größere Bedeutung haben… aber den Teil mit „sound and fury“ hat Miller verdammt gut drauf.
Batman: The Dark Knight Strikes Again
DC Comics
Text und Zeichnungen: Frank Miller
Farben: Lynn Varley
256 Seiten, farbig, Softcover; ~19,50 Euro
ISBN: 1-56389-929-9
Als Nachfolgewerk zu The Dark Knight Returns:
Für sich betrachtet:
Bildquelle: dccomics.com