Der Titel des zweiten Bandes der interessanten Piratenserie Barracuda, „Narben“, betrifft nicht nur die äußerlich sichtbaren, etwa die des Cover“helden“, sondern vor allem die psychischen Verletzungen, an denen so gut wie alle Figuren leiden.
Drei Jahre nach den Ereignissen des ersten Bandes beauftragt der spanische König einen Hauptmann, die Edeldame del Suebo und deren wertvollen Diamanten wieder zu beschaffen. Derweil sind ihre Kinder in einer schwierigen Lage, aus der sie jedoch das Beste machen. Flynns Mündel Emilio wird im Schwertkampf unterrichtet und erfährt so einiges über seinen Besitzer (schließlich wurde er als Sklave gekauft). Maria hingegen hat mittlerweile den Sklavenhändler geheiratet und hat große Macht über ihn, die sie auch weidlich ausnutzt, um ihn zu demütigen und selber gesellschaftliche Macht zu bekommen. Derweil verzweifelt der junge Raffy, da sein Vater ohne ihn mit der Barracuda losgesegelt ist. Doch nicht nur er macht eine folgenschwere Begegnung, denn mit dem Piraten Markam kommt ein Geist aus Flynns Vergangenheit wieder zum Vorschein und alles wird sich ändern.
Jean Dufaux versteht es wirklich meisterhaft, Spannung zu schüren. Und das nicht bloß auf herkömmliche Art und Weise, wenn er seine Helden von Aufgabe zu Herausforderung hetzt, sondern auch, indem er ungewöhnliche Wege geht. So fängt er einfach mal neue Handlungsstränge an … und ignoriert sie zunächst, um sie in späteren Bänden wieder aufzugreifen. So kommt der spanische Hauptmann nach Erhalt seines Auftrages gar nicht mehr vor, obwohl er mit Sicherheit noch eine wesentliche Rolle spielen wird. Das Titelschiff der Serie, die Barracuda, und deren Kapitän Blackdog (der ja, wenn schon sein Schiff der Name der Serie ist, die vermeintliche Hauptperson darstellt) kommen in diesem Teil sogar überhaupt nicht vor und man erfährt auch nichts von ihnen. Geschickt gemacht, denn so fragt sich der Leser, was mit denen ist, und harrt gespannt schon während des Lesens des zweiten Bandes auf den dritten.
Für eine Piratenserie überraschend spielt dieser Band überhaupt nicht auf der See, sondern fast nur auf der Pirateninsel, und hat eher den Charakter einer Soap Opera, wenn die Folgen des ersten Teils für die drei so unterschiedlichen Kinder und deren Schicksale betrachtet werden. Dass es hier durchaus blutig zur Sache geht, ändert nichts an dem Soap-Charakter. Durchaus mutig von Autor Dufaux ist es, in einem testosterongesteuerten Genre wie dem Piratenabenteuer einen homosexuellen Helden einzuführen. Latenter Inzest wird in einer psychologisch glaubhaften und dichten Szene ebenfalls thematisiert.
Dass einer der Helden, Flynn, nicht nur namentlich, sondern auch optisch einem der prägendsten Piratendarsteller im Film gleicht, nämlich Errol Flynn, macht die Innovationen nur umso deutlicher, wenn sie mit der Genrevergangenheit konfrontiert werden. Der Comic ist trotz seiner Dialoglastigkeit spannend, atmosphärisch und actionreich, erzählt von schönen Frauen, Liebe und Hass. Das Ganze hat etwas Opernhaftes und in der Tat erinnern manche Panels, gerade wenn sie neue Szenen und Handlungsorte eröffnen, an ein Bühnenbild, dessen Ränder nicht nur eine optische Symmetrie schaffen, sondern auch Vorhängen ähneln. Manchmal sind sie deutlich zu sehen (der Galaabend oder das Gemach des königlichen Beichtvaters), manchmal symbolisch (die steinernen Flügel des Doms, oder Palmen am Strand). Die Geschehnisse werden also deutlich als fiktional charakterisiert und in Szenen untergliedert, was das Theatralische noch unterstreicht und der Erzählung in gewisser Art und Weise einen Metacharakter verleiht.
Wertung:
Oper im Piratengewand, die unter Verweis auf die Klischees des Genres neue Wege geht.
Barracuda 2 – Narben
Ehapa Comic Collection, Dezember 2011
Text: Jean Dufaux
Zeichnungen: Jeremy
Übersetzung: Uwe Löhmann
56 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 13,99 Euro
ISBN: 978-3-7704-3515-9
Abbildung aus der frz. Originalausgabe, © Dargaud