Rezensionen

Autoroute du Soleil

 Die zwei Kumpel Karim, Franzose nordafrikanischer Abstammung, und Alexandre, ein französischer Bürger mit italienischem Hintergrund, sind eigentlich ein recht ungleiches Paar. Während Karim, der gutaussehende Schürzenjäger, Frauen für Geld beglückt, ist Alexandre der schüchterne Typ, der Karim bewundert und ihm bei dessen nächtlicher Tätigkeit heimlich nachschleicht. An einem Abend geraten die beiden Freunde jedoch in eine unangenehme Situation: Karim vergnügt sich gerade im Bett mit der Frau des Führers der Front National, einer rechtsgerichteten Partei, als der betrogene Dr. Faurissier sich unerwartet früh auf den Weg nach Hause macht. Panik bricht daraufhin nicht nur bei Faurissier und seinen Gefolgsleuten aus, sondern auch beim beobachtenden Alexandre. Dieser kann Karim gerade noch rechtzeitig warnen, aber fortan befinden sie sich auf der Flucht vor der Rache Faurissiers.

Der Roadtrip führt die beiden über die „Autoroute du Soleil“, die im Süden Frankreichs zwischen Lyon und Marseille verläuft. Während sie im weiteren Verlauf immer wieder nur knapp dem zunehmend wahnsinnig werdenden Faurissier entschwinden, geben die Begegnungen mit Drogendealern, einem Alt-Hippie und einem dekadenten Fabrikbesitzer tiefe Einblicke in die französische Gesellschaft.

Autoroute du Soleil ist, obwohl von einem französischen Künstler stammend, sichtbar auch an die Erzählkunst der Mangas angelehnt. Daraus ergibt sich eine Dynamik, die perfekt zur hektischen Aufbruchstimmung und der Flucht quer durchs Land passt. Die Geschichte scheint immer wieder im Begriff zu sein, sich fortzubewegen und langweilt nicht zuletzt dadurch trotz der Länge des Bandes an keiner Stelle. Baru lässt sich Zeit, wodurch die Charaktere eine Wandlung vollziehen können. Karim wird boden- und anständiger, Alexandre ändert seine Haarfarbe und wird damit offener und mutiger und auch Faurissier entwickelt sich: von einem Politiker der Vorstadt zum skrupellosen Mörder.

Mit über 400 Seiten liefert dieser Comicroman eine Spannung, die beim Lesen spürbar ist. Barus deutliche Fingerzeige auf gesellschaftliche Missstände und Eigenarten Frankreichs sind offenkundig und vielfach. So lässt das Abbild, dass Autoroute du Soleil in dieser Hinsicht erkennen lässt, ein negatives Gefühl verspüren: Frauen werden betrogen oder betrügen selbst, Menschen werden rechtsextrem angefeindet, in den Städten schlagen Polizisten Aufstände nieder und der Handel mit Drogen floriert.

Ein weiteres auffälliges Element stellt die Verwendung verschiedener Automarken dar, sowie die Verwendung der Fahrzeuge. Nicht nur thematisiert dies die Liebe der Franzosen zu Automobilen, sondern wird auch von Baru benutzt, um ein Bindeglied zur Handlung herzustellen. Zuallererst ist das Auto natürlich Mittel zur Flucht, später stellt die Frage nach dem Diebstahl eines solchen die Moral in der Notlage auf den Prüfstand. Oder über die nostalgische Erinnerung zweier Menschen und die Reparatur eines Wagens entsteht eine Freundschaft. Diese Doppeldeutigkeit in der Verwendung der Mittel zieht sich durch den ganzen Comic. Nicht nur deshalb ist mit diesem Werk etwas Bemerkenswertes gelungen.

Dass Baru sich von Mangas hat inspirieren lassen, merkt man nicht nur anhand der Seitenzahl, sondern auch daran, dass die Erzählung in schwarz-weiß gestaltet ist. Auch die Aufteilung der Panels und die sequenzielle Reduzierung ist eher typisch für einen kleinformatigen Manga als für ein klassisches französisches Album. Dass der Künstler dabei keine Kopie, also einen westlichen Manga, erschaffen wollte, sondern seinen eigen Mixstil verfolgte, ist aber klar zu erkennen. Die Personen in Autoroute du Soleil wirken sehr häufig verzerrt, wie im Aufbruch, fast auch schon überzeichnet. Dieses bewusst eingesetzte Mittel steht im Kontrast zu zwischenzeitlich fast realistisch anmutenden Bildern, die Umgebungen präzise und ernsthaft wiedergeben wollen.

Insgesamt ist diese Graphic Novel einfach wunderbar gelungen und läst sich mehr als unterhaltsam lesen.

Autoroute du Soleil
Carlsen Comics, März 2007
Text & Zeichnungen : Baru
430 Seiten, Softcover, Kleinband, 19,90 Euro
ISBN: 3551737894

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