Rezensionen

Andrax 1: Experiment des Grauens

 Andrax heißt eigentlich Michael Rush und ist der erfolgreichste Zehnkämpfer aller Zeiten. Eben noch läuft er mit anderen Olympioniken um die Wette, schon findet er sich von einem verrückten Wissenschaftler entführt. Er erwacht in einem Labor, gefesselt an Armen und Beinen. Und das Ding neben ihm? Es piepst, leuchtet und surrt. Keine Frage, das ist eine Zeitmaschine. Prompt erscheint der durchgeknallte Professor Magor, der Erfinder des Apparats. Er vergeudet nicht viel Zeit und erklärt dem Zehnkämpfer, wie außerordentlich geeignet er als Versuchskaninchen sei. Und geehrt dürfe er sich auch noch fühlen. Zwei Jahrtausende soll es für ihn in die Zukunft gehen. Nachdem der Professor den Startknopf gedrückt hat, nennt er seinen unwilligen Schützling via Videobotschaft noch fix Andrax, vielleicht weil Michael Rush doch ein bisschen lahm klingt für das vierte Jahrtausend. Und schon geht es los. Andrax bereist die ferne, fremde Welt der Zukunft. Und der Leser? Der reist rückwärts in der Zeit, nämlich in die Siebziger.

Der erste Band der neuen Andrax-Edition enthält die vier Geschichten „Experiment des Grauens“, „Die tote Stadt“, „Horror-Hölle“ und „Super-City“. Hinzu kommt eine kurze Einleitung der Lizenzinhaberin Alexandra Kauka und ein Nachwort vom Andrax-Autor Peter Wiechmann. Möchte man den ersten Andrax-Band ins Universum aktueller Comic-Neuerscheinungen einordnen, stellt sich schnell heraus, dass herkömmliche Kategorien dafür nicht besonders geeignet sind. Andrax ist 100% Retro, ähnlich wie Flokati, Moonboots und lila Schalensessel. In erster Linie dürften sich Leser angesprochen fühlen, die den etwas farblosen Helden Andrax noch aus ihrer Jugend kennen. Solch älteres Publikum wird seine Freude an der neuen Ausgabe haben. Bernet spielt in der Oberliga des europäischen Schwarzweiß-Strichs. Seine Bilder sind dynamisch, nicht überladen und trotzdem detailreich. Hinzu kommt, dass die Reproduktion des alten Materials außerordentlich gut gelungen ist: Kein matter Abglanz, sondern ein voller, kräftiger Druck, als hätte Bernet erst gestern den Stift geschwungen. In Verbindung mit dickem Papier und festem Einband zeigt sich auch hier einmal wieder, dass das Team von Cross Cult sein Handwerk versteht.

 Inhaltlich sollte man den Vergleich mit aktuellen Szenarien vermeiden. Beinahe naiv kommen die Geschichten daher, driften, ohne festen Punkt, ohne klares Storytelling, hin und her, nur vorangetrieben von der Phantasie des Autors. Sicherlich, ein paar Rahmenbedingungen mussten auch damals schon beachtet werden. Denn der Leser mag Prügeleien, Schießereien und Verfolgungsjagden, also bitte her damit. Außerdem spielte der Jugendschutz eine Rolle. Wer Bernets Torpedo kennt und Andrax liest, spürt beinahe, wie schwer es dem Zeichner gefallen sein muss, die Oberweite seiner Heroinnen klein und bedeckt zu halten. Tjaja, die Siebziger … Von solchen Notwendigkeiten einmal abgesehen, hat der Autor freie Hand und fabuliert, wie es ihm gefällt. Facettenreiche Charaktere? Eine kohärente Fantasy-Welt? Ein roter Faden? Neumodischer Kram, wird alles überschätzt. Stattdessen tummeln sich eifrig Aliens neben Barbaren und Vampiren, tauchen Städte aus dem Nichts auf und verschwinden wieder. Dazu kommen Technikrelikte aus vergangener Zeit, die einen Flair entfachen wie auf dem Planeten der Affen.

So ist es sicherlich nicht vermessen festzustellen, dass Andrax nicht nur den Charme, sondern auch einige Schwächen des Comics seiner Zeit besitzt. Einige der fabelhaften Conan-Abenteuer von John Buscema lesen sich ähnlich holprig. Sie werden nur manchmal dadurch aufgefangen, dass die Textgrundlage von Robert E. Howard gut aufgebaut und geschrieben war. Dass es sich bei Andrax nicht nur um eine typische Schwäche der Comics aus den Siebzigern, sondern auch um eine persönliche Note des Autors handeln könnte, davon zeugt das Nachwort. Vermutlich möchte Peter Wiechmann den Lesern erzählen, wie das damals so war, in den Siebzigern, mit Andrax und Co. Nur leider erzählt er nicht, sondern wirft nur Bruchstücke hin, bringt sie in eine Reihenfolge und lässt den Leser dann alleine. Stilistisch ähnelt sein Text seinem Comic, nur dass es im Comic nicht stört, sondern charmant retro ist. Als Auftakt zu einer hochwertigen Neuedition hätte man hinsichtlich des Nachworts mehr erwarten können. Vielleicht wäre ein Interview mit Wiechmann an dieser Stelle passender gewesen.

 Der erste Band der Andrax-Gesamtausgabe macht – wie von Cross Cult gewohnt – einen guten Eindruck. Gerade im Zuge diverser Neueditionen der jüngsten Zeit (Die Peanuts, Blueberry, Garfield, Lucky Luke, Hägar) stimmt es froh, dass mit Andrax auch anderes Terrain erschlossen und für die Nachwelt bewahrt wird. Einen kleinen Minuspunkt gibt es für das redaktionelle Drumherum. Nicht nur der holprige Text von Peter Wiechmann trägt dazu bei, sondern auch das Versäumnis, auf die ursprüngliche Erscheinungsweise der vier Geschichten hinzuweisen. Wann sind die Szenarien zum ersten Mal erschienen? Und in welcher Form? Wie sind sie entstanden? Angereichert mit ein paar Erinnerungen des Autors hätten solche Informationen den Band sicherlich aufgewertet. Aber Fans sollten sich von solchen Kleinigkeiten nicht abhalten lassen. Andrax ist wieder da!

Andrax 1 – Experiment des Grauens
Cross Cult Oktober 2007
Text: Peter Wiechmann
Zeichnungen: Jordi Bernet
144 Seiten; schwarzweiß; Hardcover; 18 Euro
ISBN 9783936480757

www.cross-cult.de
www.primo.kauka.de

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