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Auf der Suche nach dem Steampunk: Interview mit Verena Klinke, Felix Mertikat und Benjamin Schreuder

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Mit Verena Klinke, Benjamin Schreuder und Felix Mertikat auf der Frankfurter Buchmesse 2012

In wenigen Tagen erscheint bei Cross Cult der dritte Band von Steam Noir: Das Kupferherz. Die 2011 von Benjamin Schreuder und Felix Mertikat gestartete Serie, die in einer ursprünglich für ein Rollenspiel konzipierten Steampunk-Welt spielt, wurde auf der Frankfurter Buchmesse 2012 mit dem Publikumspreis Sondermann in der Kategorie Comic-Eigenpublikation national ausgezeichnet. Mit dem zweiten Band wurde Autor Schreuder von Verena Klinke abgelöst, die schon von Anfang an am Konzept beteiligt war. Am Tag der Preisverleihung traf unser Comicgate-Autor Stefan Svik auf der Buchmesse auf das Steam-Noir-Kreativteam, konnte das Trio auf der Messe begleiten und ausgiebig befragen.

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Verena Klinke am Signiertisch auf der Frankfurter BuchmesseIm Herbst 2012 bin ich auf der Frankfurter Buchmesse, um für Comicgate darüber zu berichten. Der Tag beginnt für mich mit der Signierstunde von Verena Klinke und Felix Mertikat. Die ersten beiden Bände von Steam Noir: Das Kupferherz (Cross Cult) habe ich bereits gelesen und auch der Artikel über Felix im Rolling Stone ist mir noch in guter Erinnerung. Ungeplant ergibt sich die Gelegenheit, die Macher von Steam Noir, Verena Klinke, Benjamin Schreuder und Felix Mertikat an diesem Tag zeitweise zu begleiten. Band 1 ihres Comics ist für den Sondermann 2012 national nominiert und mit der Preisverleihung endet auch dieser Samstag, einer der besonders stark frequentierten Besuchertage der Buchmesse.

Als Running Gag des Tages dient mir ein Ausspruch von Homer Simpson, aus der Episode „Homers Sieben“ (2011): „Ich hoffe nur, es ist genug Steampunk drin. Was auch immer das ist.“ In dieser Simpsons-Folge, in der auch Neil Gaiman auftritt, geht es, in Art einer Parodie des Films Ocean’s Eleven, um den Versuch einer Gruppe Autoren, ein kommerziell extrem erfolgreiches Buch zu schreiben – ein scheinbar müheloses Unterfangen, wenn man sich an die aus Harry Potter und Co. bewährten Erfolgsformeln hält, wie Homer und seine Spießgesellen glauben: irgendwas mit Waisenkindern, eine alberne und sinnlose Sportart, etwas Magie und eine gute Portion Hoffnung.

Nach einer kurzen Orientierungsrunde durch die bereits vormittags gut gefüllte Messehalle entdecke ich die Signiertische. Durchnummeriert und dicht an dicht stehend, wirken diese ein wenig wie im Fastfood-Lokal. Am rechts angrenzenden Tisch zeichnet und signiert eine offenbar für weibliche Gothic-Manga-Fans besonders attraktive Künstlerin. Still und unaufgeregt, ohne von Applaus oder Gekreische begrüßt zu werden (wie bei allen Signierterminen von Comic-Künstlern, die ich bisher erlebt habe) nehmen Verena und Benjamin Platz. Verena hat ein Tintenfass samt Zeichenfeder dabei, sie wirkt aufgeschlossen und gut gelaunt. Felix trägt Anzug und Hut und, so zumindest mein Eindruck, scheint deutlich introvertierter zu sein als Verena. Immer etwas nachdenklich, etwas schüchtern. Er lächelt in sich hinein, beobachtet still das Geschehen und, das sollte nicht vergessen werden, er muss sich zwischendurch auch immer mal aufs Zeichnen konzentrieren. Ich stelle mich selbst auch noch brav in der Schlange an und wünsche mir eine Zeichnung von Homer Simpson im Look von Steam Noir.

Felix Mertikat auf der Frankfurter BuchmesseBeim Stichwort Comicgate fällt Felix sofort ein, dass er von diesem Fachmagazin früher schon mal interviewt wurde. Zusammen mit Benjamin Schreuder sprach er über ihr gemeinsames Comicdebüt Jakob. Später kündigt er dann etwas geheimnisvoll an, dass er das nächste große Projekt, das für 2014 geplant ist, gerne in Zusammenarbeit mit Fans, Kollegen und Fachpublikum, unter anderem gerne auch mit Comicgate, umsetzen möchte – wir dürfen gespannt sein! Näheres lässt sich Felix nicht entlocken. Vorfreude auf dieses mysteriöse neue Projekt ist ihm dann doch etwas anzumerken. Höhenflüge hingegen brauchen die Leser von Felix nicht zu befürchten. Beim Posieren für meine Kamera fragt er, wohl halb scherzhaft, halb besorgt: „Sehe ich auf den Bildern eitel aus?“. Ich verneine das, auf mich wirkt Felix auf den Fotos gut gelaunt und verschmitzt – überaus sympathisch. Und abheben könne man als Comic-Künstler in Deutschland ohnehin nicht, meint Felix. Berichte im Rolling Stone oder die internationale Aufmerksamkeit für Zeichner wie Reinhard Kleist hin oder her – einen Star-Kult kann Felix unter den deutschen Comic-Künstlern nicht erkennen. Ob er das bedauert oder nicht, ob es etwas mit Neid zu tun hat? Ich habe nicht nachgefragt.

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COMICGATE: Band 1 von Steam Noir: Das Kupferherz weist auf dem Cover Benjamin Schreuder als Autor und Felix Mertikat als Zeichner aus. Benjamin ist inzwischen ausgestiegen, hat sein Studium beendet und widmet sich anderen Projekten. Nun arbeitet ihr beide, Verena als Autorin und Felix als Zeichner, weiter an der Reihe. Wie läuft das in der Praxis ab, schickt ihr Euch Mails?

Verena Klinke: Nein, wir wohnen in der gleichen Wohngemeinschaft.

Das ist ja eher ungewöhnlich.

Ja, aber wir haben schon vorher dort zusammengewohnt, bevor wir angefangen haben, zusammenzuarbeiten. Deswegen hat sich diese Zusammenarbeit vielleicht auch überhaupt erst ergeben. Ich kannte das Projekt und habe auch von Anfang an bei Steam Noir mitgearbeitet.

Also arbeitet ihr im selben Raum zusammen?

Ja, es ist ein großer Raum, der noch durch eine Tür getrennt ist. Aber letztendlich sitzen wir im gleichen Raum. Dann können wir direkt was herübergeben und zusammen diskutieren. Wir kannten uns schon, bevor wir uns für die Zusammenarbeit entschieden haben. Das fiel uns leicht, da wir schon wussten, wie gut wir uns ergänzen.

Also kein Bedarf für Mails?

Ich finde das gerade so schön am kreativen Arbeiten: Anstatt irgendwelche Mails hin und her zu schicken, lieber zusammensitzen und sehen, was sich ergibt. Ich denke, dass Steam Noir sehr viele Ideen beinhaltet, die bei so einem gemeinsamen Brainstorming entstanden sind. Einfach mal spontan Ideen raus hauen und nicht sagen: Wir erzählen eine komplett geradlinige Story.

Steam Noir: Das Kupferherz 3Werdet ihr euch schnell einig beim Ideenaustausch oder streitet ihr viel darüber?

Die Geschichte steht ja inzwischen fest. Da gibt es keine Streitereien mehr.

Und daran wird nichts mehr geändert?

Nee, daran wird nichts mehr geändert. Unsere Arbeit ist relativ harmonisch. Wir haben beide unsere Bereiche. Natürlich kritisiere ich auch seine Bilder und er kritisiert, was ich schreibe. Aber wir sind keine zwei Autoren, die sich immer auf die Füße treten würden. Das hat auch nichts mit Eitelkeit oder so zu tun. Wir kommen uns nicht ins Gehege, aber natürlich gibt es schon auch Diskussionen. Das muss sein, das ist wichtig. Und am Ende sind wir beide immer mit dem Ergebnis zufrieden, wir finden immer einen guten Kompromiss, der auch noch interessant ist für den Leser.

Wir hatten uns vorhin darüber unterhalten, dass fast nur Zeichner auf Signiertour gehen, Autoren hingegen kaum. Du nanntest Alan Moore als Beispiel für einen Autor, der genügend Publikum anziehen würde. Sind Autoren wie Alan Moore Vorbilder für Dich, schaust Du, wie sie arbeiten?

Ich habe vor zwei Jahren noch nichts so richtig mit Comics anfangen können. Inzwischen habe ich mir natürlich schon auch andere Sachen angeschaut. Das ist dann aber auch Interesse an den Geschichten und nicht der Gedanke: Da will ich mir etwas abschauen, wie macht der das wohl? Ich glaube eine Stärke von Steam Noir ist es, dass es kein klassischer Comicautor schreibt, sondern jemand, der eigentlich vom Roman kommt. Ich gehe mit den Texten ganz anders um als ein typischer Comicautor. Ich weiß allerdings nicht, wie Alan Moore genau arbeitet. Mein Eindruck bei Comics ist oft: Wichtig ist das Bild und nun brauchen wir noch etwas Text dazu. Bei uns steht zu Anfang immer erst der Text. Immer erst die Szene. Und das Bild soll den Inhalt, der in den Dialogen steckt, rüberbringen und unterstreichen.

Also beeinflusst Dich eher klassische Literatur als Comic-Autoren?

Ja, eher das. Genau. Ich mag die Klassiker, Goethe, Schiller und Kafka. Das kannst Du jetzt nicht direkt im Comic sehen, aber ich bin nicht der typische Comicleser.

Du hast ein Tintenfass mitgebracht und signierst mit einer Feder. Arbeitest Du immer so?

(schmunzelt) Nein, das ist extra für die Signierstunde.

Gibt es denn zu wenig Comics, die Leserinnen wie Dich ansprechen?

Doch. Inzwischen gibt’s ne Menge. Durch die Graphic Novels öffnet sich das ja.

Dazu fallen mir jetzt Graphic Novels von Frauen ein, wie Sarah Glidden mit ihrem Israel-Comic oder Schlogger. Meinst Du, das ist im Kommen, mehr Frauen im Comic-Bereich?

Also, so etwas wie Asterix und Obelix ist überhaupt nichts für mich. Wo Du das Thema Israel erwähnst: Ich finde das gut und spannend, wenn politische Themen stärker Einzug halten im Medium Comic. Nicht so sehr diese typischen „weiblichen“ Geschichten, Liebesgeschichten oder so. Das brauche ich nicht. Ich bin auch kein Mangaleser. Das ist gar nichts für mich. Aber die Öffnung für politische Themen und gesellschaftliche Umwälzungen interessiert mich. Etwa Graphic Novels über die kürzliche Revolution in Ägypten. Das ist, wie du sagst, im Kommen. Und das ist auch für die nicht-klassischen Comicleser interessant.

Mit der Darstellung von Frauen im Comic kann man nicht wirklich zufrieden sein, oder? Ich denke dabei an manche Superheldencomics und auch an eine Szene aus der TV-Serie The Big Bang Theory, in der die Comicverächterin Amy im Comicgeschäft fragt, ob es denn nur einen einzigen Comic gäbe, in dem eine Frau mit natürlichen Brüsten zu sehen ist. Darauf antwort Ladenbesitzer Stuart, dass die meisten männlichen Kunden große Brüste mögen. Einige von ihnen hätten sogar selbst große Brüste. Findest Du dieses Frauenbild eher peinlich oder amüsant?

Steam Noir: Das Kupferherz 2Also, wir haben ganz viel Kritik für das Cover von Steam Noir Band 2 bekommen. Alle sagten, das Cover an sich sei schon ok, aber die darauf abgebildete Frau sei irgendwie zu … (überlegt) …
Ja, wir haben viel Kritik bekommen, weil Frau D jetzt viel zu … männlich ist für viele Leser. Ich finde Frauendarstellung nicht peinlich. Aber ich bin eine Frau und schreibe über Frauen. Und ich sehe mich selbst anders, als Frauen sonst im Comic zu sehen sind.

Aber nochmal zurück zu deiner Frage nach der Zusammenarbeit und den Auftritten bei Signierstunden von Autoren und Zeichnern. Es gibt ja viele Zeichner, die auch selbst Autoren sind. Die haben dann vielleicht noch bei den Texten Unterstützung, aber es gibt ja auch sehr viele, die fast ohne Text erzählen. Das sind dann Comickünstler, die das ganze Werk in Händen haben.

Die Arbeitsteilung wird ja teilweise auch durch die Größe des Projekts notwendig, etwa bei den monatlich erscheinenden US-Superhelden-Heften.

Das stimmt, ja.

Ich hatte Arne Jysch interviewt, der brauchte drei Jahre für Wave and Smile. Das ist sicher problematisch, wenn man von einem Comic leben wollte.

Ja. Deshalb haben wir auch noch einen Koloristen, der uns unterstützt.

Zeichnest Du selbst auch?

Nein (lacht), nur ganz schlecht. Also ich habe früher mal gezeichnet. Ich hätte es vielleicht mal verfolgen sollen. Aber auf keinen Fall bin ich so gut, dass man etwas Anständiges damit machen könnte.

Was denkst Du über Graphic Novels?

Einerseits wäre es traurig, wenn man sich nur durch die andere Namensgebung überhaupt an Comics heranwagen würde. Aber es ist auch ein Gewinn für die gesamte Branche, wenn man es schafft, Leuten damit eine gute Geschichte zu verkaufen, auch wenn es ein Comic ist. Aber ich denke, man sollte an jedes Buch, egal ob Krimi oder was auch immer, so herangehen, dass man sich fragt, ob es für einen interessant ist. Man sollte einen Comic nicht kategorisch ausschließen, nur weil überwiegend Bilder zu sehen sind.

Ist es in Deutschland immer noch so, dass Comics bei vielen ein schlechtes Image haben, anders etwa als in Frankreich? Und wenn Du erzählst, das Du an Comics arbeitest, denken dann alle dabei zuerst „die macht bestimmt so was wie Micky Maus“?

Das ist leider so. Auch meine Eltern … Dadurch, dass ich es selbst mache, setzen sie sich aber damit auseinander und stellen fest, dass es etwas Tolles ist. Sie sind dann ganz begeistert, wenn sie eine Szene lesen und sagen dann: Da steckt ja so viel drin! Aber vorher haben sie Comics einfach ignoriert. Jetzt wagen sie sich daran und stellen fest, dass es auch für sie persönlich interessant ist. Aber wo wir gerade beim Thema Bildergeschichten waren: Es gibt so viele, die Filme lieben. Deshalb verstehe ich es nicht, warum man es sich gerade bei so einem breit gefächerten Feld wie den Comics und Graphic Novels so schwer tut, einfach mal reinzugucken, auch wenn man eigentlich ein Filmliebhaber ist.

Da argumentieren dann manche vielleicht: Fernsehen ist kostenlos. Und Bücher muss ich erst kaufen und die sind ohnehin zu teuer.

Aber man geht doch auch ins Kino, das kostet doch auch Geld. Und wenn ich mir die Kinopreise anschaue …

 

Felix ergänzt zu dem Thema später am Stand von Cross Cult noch, dass Deutschland nach wie vor einer der größten Märkte für Bücher sei. Überholt oder gar tot sei das gedruckte Buch also längst nicht. Die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt sprechen durchaus dafür, denn leer war es nun wirklich nicht.

 

Einen Comic kann man sich, normalerweise, nicht einfach herunterladen. Und für den Kauf müsste man sich extra in einen Comicladen wagen. Früher gab es Comics wie selbstverständlich im Zeitschriftenregal. Heute bietet der Comicladen vielleicht eine größere Hemmschwelle.

Ja, man muss sich dort einfach mal hineintrauen.

Wie reagiert Ihr auf die vielleicht veränderten Lese- und Kaufgewohnheiten? Sind soziale Netzwerke für Euch besonders wichtig?

Natürlich! Facebook ist wichtig, einfach zentral. Um Leute zu erreichen und zu informieren. Das ist wahnsinnig wichtig. Die Fans sind im Internet und die erreichst du damit. Die sind ja auch organisiert. Stichwort Tumblr, falls dir das was sagt. Die bloggen und teilen sich mit. Da werden Fans durch andere Fans auf TV-Serien, auf Comics, auf Schauspieler, auf Zeichner aufmerksam gemacht. Das ist interessant und wichtig. Gerade wenn du international denkst und etwa dein Buch in Amerika veröffentlichen willst.

Steam Noir: Das Kupferherz 1Gibt es Anfragen für eine Übersetzung von Steam Noir für die USA?

Es gibt Anfragen, es zu übersetzen. Ich denke, wir haben auch Chancen, dass es im Ausland herauskommt. Aber erst mal wollen wir die Serie fertig machen. Dann kommst du mit der fertigen Serie und kannst sagen: Wir sind fertig! Und nicht: Vielleicht kommt noch was.

Welche Länder sind sonst besonders interessiert, Frankreich, Japan? Dürft ihr da schon was zu sagen?

(Verena wendet sich an Felix): Darf man das sagen? Also ich nenne jetzt keine Verlage oder so. Also Amerika auf jeden Fall. Frankreich ist auch ganz interessant. Möglicherweise Spanien. Es ist für europäische Künstler natürlich interessant, nach Amerika zu gehen. Aber vielleicht ist der Markt dort überlaufen. Oder zumindest schreien die nicht gerade nach deutschen Künstlern, die vielleicht gerade erst angefangen haben. Das ist vielleicht etwas schwierig. Aber es gibt Interesse.

Ich erinnere mich an einen Ausspruch von Reinhard Kleist, in dem er sich darüber aufregte, dass deutsche Comickünstler mitunter noch unterschätzt werden, obwohl sie, seiner Überzeugung nach, längst auf internationalem Niveau arbeiten würden. Gibt’s da immer noch Vorurteile, so nach dem Motto: Deutschland, das ist nur Fix und Foxi?

Ich finde, das merkt man etwa besonders beim europäischen Film. Da gibt es Filme, die super-klasse sind. Und dann entdeckt den Stoff ein US-Regisseur und dreht ihn mit amerikanischen Schauspielern neu. Statt dass man dafür sorgt, ihn so wie er war in die US-Kinos zu bringen. Manche Meilensteine des deutschen Kinos schaffen das dann. So wie Lubitsch. Aber ich finde, das ist bezeichnend für die amerikanische Herangehensweise an europäische und deutsche Künstler. Aber ich will das nicht so komplett verallgemeinern (lacht). Die USA haben im Inland so viel künstlerisches Potenzial, das man gut findet und auch fördert, da schreit man nicht nach fremden Künstlern. Unser Ruf ist ja auch nicht „Nehmt uns!“, sondern „Nehmt unsere Bilder!“ Steam Noir ist das, was wir vermarkten wollen, nicht uns selbst. Es wäre halt schön, wenn wir eine Chance bekämen, sowohl in anderen europäischen Ländern als auch in Amerika.

Dass das deutsche Kino früher einen anderen Stellenwert hatte, liegt ja auch an dem Einschnitt der Jahre 1933-1945. Viele talentierte Künstler wurden vertrieben oder schlimmeres.

Ja, ich glaube schon. Da ist uns kulturell viel verloren gegangen. Das hat uns so zurückgeworfen. Wir versuchen das aufzuholen, dagegen anzurennen, auch im Kino. Aber ich glaube schon, das hat einen großen Schaden hinterlassen.

Seite aus Steam Noir: Das Kupferherz 1In Steam Noir gibt es ja auch eine Szene, in der ein Mord an den Seelen thematisiert wird, was gerade in einem deutschen Comic Erinnerungen an Deutschlands NS-Vergangenheit weckt. Dann gibt es Szenen mit einer Art deutschem Superheld mit Supermaschinen, was sicher von manchen auch kritisch beäugt wird. Ist das vielleicht gar deutsch-nationalistisch, könnte man fragen, würde man etwas konstruieren wollen. Muss man aufpassen, nicht in eine Ecke einzusortiert zu werden, die gar nicht beabsichtigt war? Denkst Du über so etwas nach? Oder hältst Du das für Blödsinn?

Bei Steam Noir hatten wir das Problem, wenn man es denn Problem nennen will, dass sich die Geschichte so weiterentwickelt hat, dass es etwa diese Seelen gab. Und diese Seelen wurden vernichtet. Wir hatten uns nicht vorgenommen, uns an das Thema Holocaust anzunähern. Es ist passiert. Und das war für uns, im Rahmen dieses Universums, vollkommen in Ordnung. Vollkommen in Ordnung soll heißen: Das ist ein Aspekt der Geschichte, den wir so unterstützen, den wir so wollen und brauchen. Natürlich haben wir dann für den zweiten Band auch Kritik bekommen, so was wie „Holocaust in der Ätherwelt“. Gerade die ältere Generation hat uns das übel genommen. Die Jungen sagen, das ist ein adäquater Umgang mit der deutschen Geschichte. Die ältere Generation regt sich darüber auf, die wollen eher einen naturalistischen Roman darüber lesen. Und wir sagen, wir sind die nächste Generation. Wenn wir einen neuen Aspekt sehen, was spricht dagegen? Dass wir deutsche Künstler sind? Bedeutet das, wir teilen oder unterstützen diese Ideologie? Aber das stimmt nicht! Das wird auch klar, wenn man die Geschichte komplett zu Ende gelesen hat. Wir sind nicht begeistert von diesen Vorgängen, sondern wir wollen sie gerade kritisieren.

Ist es nach einem Comic wie Art Spiegelmans Holocaust-Comic Maus nicht seltsam, wieso überhaupt noch darüber diskutiert werden muss, ob ein Comic so etwas darf?

Das ist jetzt wieder typisch deutsch, finde ich. Das würde ich auch durchaus verallgemeinern. Da muss man dann ganz vorsichtig sein. Das steht dann einmal in der Presse und davon kommst du dann nie wieder runter. Da sind wir Deutschen wohl immer noch empfindlicher und passen stärker auf solche Äußerungen auf als andere. Ich find’s schade, dass man darüber immer noch so sehr diskutieren muss.

Christian Kracht wurde ja 2012 auch für sein Imperium gleich eine Nähe zu rechtsextremen Sichtweisen angedichtet, weil manche anscheinend sein Buch nicht verstanden oder überhaupt gelesen haben.

Ja, richtig. Zu dem Buch Imperium kann und will ich nichts sagen, weil ich es nicht gelesen habe. Aber ich hatte diese Kontroverse auch mitbekommen. Aber diese Diskussion erschien mir ziemlich normal zu sein.

Das Dritte Reich ist aber immer noch das deutsche Thema, das sich international am erfolgreichsten vermarkten lässt. Traurig, oder?

Wenn man sich mal die Oscar-Nominierungen ansieht, kommt einem das so vor. Das ist halt das Thema, das besonders vertraut ist.

Harald Schmidt nannte die Nominierung des Films Das Leben der Anderen sarkastisch einen großen Fortschritt für Deutschland, endlich raus aus der Nazi-Schiene und nun in der Stasi-Schiene angekommen.

Ja, genau. Ich finde das schade. Wenn man Steam Noir liest, ist das eben nur ein Aspekt. Unsere eigentliche Message ist etwas anderes. Wir sind eher bei Oppenheimer [Anm. d. Red.: einer der Erfinder der Atombombe] und weniger beim Holocaust. Aber das ist vielleicht das, was die Leute verstehen, und deshalb beißen sie sich daran fest. Das lässt sich halt sehr plakativ aufmachen. Der Rest ist nicht richtig zu fassen. Zum Beispiel auch das Frauenthema ist bei uns ein Ding. Wenn die Autorin eine Frau ist, dann ist Frau D natürlich eine starke, weibliche Figur! Das ist mir wichtig und für mich interessant.

Vielen Dank soweit für das Gespräch!

Nach dem Signiertermin muss rasch der Platz geräumt werden, um dem nächsten Zeichner Platz zu machen. Colin Wilson folgt, die Interessenten warten bereits ungeduldig. Also schnell zusammengepackt und Verena und Felix zum winzigen Stand von Cross Cult gefolgt. „Deine Fragen sind ziemlich intensiv“, merkt Felix im Gehen ein. Im Gewühl komme ich nicht gleich dazu, darauf zu antworten. Ich überlege mir, ob das nun bedeuten soll, dass meine Fragen nicht besonders passend oder vielleicht auch nicht besonders intelligent sind.

Verena Klinke und Felix Mertikat am Cross-Cult-StandAm Stand von Cross Cult wird weiter signiert und gezeichnet. Benjamin Schreuder schaut am Stand vorbei. In einem Gespräch später am Tag frage ich Felix und ihn auch danach, warum sie sich für Cross Cult als Verlag entschieden haben. In der Nähe des Verlages zu wohnen, sei ein nicht unwesentlicher Grund, so die Antwort. Allerdings sei auch die Betreuung sehr gut, etwa sei die sehr große Aufmerksamkeit in Nicht-Comic-Medien wie dem Rolling Stone darauf zurückzuführen, dass sich die Mitarbeiter von Cross Cult sehr für ihre Künstler stark machen.

Ein ARD-Reporter gesellt sich zum Stand von Cross Cult und fragt wegen eines Interviews an, möglicherweise gewinnen sie ja einen Sondermann, da steigt das Interesse der Medien offensichtlich gleich etwas. Eine Frau kommt vorbei. Sie bemerkt, dass Felix etwas zeichnet, und fragt ihn, ob er auch Karikaturen zeichnen würde. Das sei nicht so seine Stärke, erwidert er freundlich. Die Frau wollte sich wohl für 5 Euro oder etwas in dieser Größenordnung ein kleines Souvenir von irgendeinem Zeichner mitnehmen. Genauere Vorstellung hat ein Mädchen, das noch überlegt, ob es sich einen Comic kaufen und etwas hineinzeichnen lassen soll. Völlig unprofessionell lasse ich den neutralen Journalisten mal beiseite und bestärke das Mädchen darin, sich für Steam Noir zu entscheiden. Felix amüsiert sich darüber und offenbar freut ihn mein Lob für sein Werk. Wirklich offensiv beworben wird Steam Noir auf der Messe übrigens nicht. Es stapeln sich keine Berge von zu verkaufenden Comics – was wahlweise erfreulich unaufdringlich wirkt oder nicht selbstbewusst und energisch genug. Keine dicken Mappen mit Originalzeichnungen zum Verkauf. Dafür Gratispostkarten mit Steam-Noir-Motiv.

Am Cross-Cult-Stand ist es deutlich beengter als zuvor bei der Signierstunde. Ich stehe praktisch mitten im vorbeidrängenden Besucherstrom, was nun wirklich nicht die ideale Ausgangslage für ein Interview ist. Da ich Verena und Felix auch nicht über Gebühr bedrängen will und noch einige andere Termine eingeplant habe, stelle ich nur einige kurze Fragen und ziehe dann weiter.

(Felix trägt einen Hut. Das hatte ich einige Tage vorher erst an Colin Wilson bemerkt.)

Ist das mit dem Hütetragen so ein Zeichner-Ding?

Felix Mertikat: Nein, überhaupt nicht, das hatte ich auch schon lange vor Steam Noir.

Kennst Du das Videospiel Bioshock? Einige Figuren in Steam Noir erinnern an die Big Daddies aus dem Spiel, oder?

Ja? Nein, ich kenne das Spiel nicht.

Und Deine Hauptfigur erinnert, zumindest optisch, etwas an den Iron-Man-Darsteller Robert Downey Jr., oder nicht?

(lacht) Ich dachte eigentlich eher, er sieht aus wie Johnny Depp.

Welches war der bisher seltsamste Motivwunsch bei einer Signierstunde?

(überlegt) Homer Simpson. (schmunzelt)

(lacht) Da war doch bestimmt schon was Seltsameres dabei?

Der Fuß von einem AT-AT. Nein, der Fußabdruck eines AT-AT im Schnee.

 

Benjamin Schreuder mit dem SondermannDer Samstag endet mit der Preisverleihung des Sondermann 2012. Nachdem Benjamin und Felix als Autor und Zeichner von Band 1 als Sieger des Sondermann national ausgerufen werden, besteigen beide die Bühne. Breit grinsend nimmt Felix sogar für eine Weile seinen Hut ab. Nach der Siegerehrung wird mit 100 Flaschen Duff-Bier angestoßen – da sind sie wieder, die Simpsons! Wir plaudern noch etwas. Ich gratuliere den Preisträgern und frage Benjamin, ob er nun etwas wehmütig ist, weil er nicht weiter an Steam Noir beteiligt ist und sich statt dessen dem Medium Film und anderen Projekten widmet. „Bist Du jetzt der Pete Best von Steam Noir?“ frage ich ihn. Benjamin schaut mich etwas ratlos an und fragt: „Wer ist das?“ Ich sage, dass Pete der Schlagzeuger der Beatles war, der von Ringo Starr abgelöst wurde, dem Drummer, mit dem die Band dann den weltweiten Durchbruch hatte. Aber nein, Benjamin empfindet sich nicht in so einer Rolle. Tatsächlich sei das Filmgeschäft sogar etwas sicherer, da es für Filme Fördermittel gibt. Als ich frage, wie denn dieser Sondermann aus der Nähe aussieht, kramt ihn Benjamin aus der Schachtel hervor und sagt: „Du darfst ihn sogar mal halten.“

Bald fährt mein Zug und hier böten sich jetzt lauter Gelegenheiten für O-Töne am laufenden Band – was für ein Stress, im positiven Sinne. Drei Meter neben mir steht der Preisträger des Sondermanns für Komische Kunst, Christoph Niemann, den ich doch auch noch gerne interviewt hätte, was dann etwas später auch noch geklappt hat. Ein Tag in Frankfurt ist wirklich viel zu kurz! So viele spannende Themen und interessante Menschen! Benjamin Schreuder strahlt eine große Gelassenheit aus und wirkt glücklich. Gelöst freut er sich sichtlich über den gelungenen Tag. In Erlangen sei es noch etwas familiärer. „Letztlich sind bei den Comics alle eine große Familie“, meint er. „Jeder ist selbst Fan, jeder ist selbst Zeichner und Autor.“

Diesen Eindruck vermittelt auf jeden Fall die völlig zwanglose Stimmung nach der Preisverleihung. Backstage-Party? Ach, das wäre doch uncool und elitär für die Comicszene, oder? Stattdessen geht nach der Veranstaltung jeder, der mag, vor und hinter die Bühne, plaudert, gratuliert und trinkt ein Duff. Ich erzähle Benjamin von der Simpsons-Episode. Wie Felix und Verena hat auch er die Episode nicht gesehen. „Ich sollte das mal einem Reporter ganz genau erklären, was Steampunk ist“, sagt Schreuder. Felix würde diese Frage gerne an ihn weiterreichen, verrät er mit einem Lächeln. Offenbar ein mühsames Unterfangen, denn die Frage wird den Dreien wohl immer mal wieder gestellt.

 

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Abbildungen: © Felix Mertikat
Fotos: © Stefan Svik