Zum inzwischen 13. Mal widmet die Frankfurter Buchmesse mit der „Faszination Comic“ den Comics einen eigenen Bereich, in dem neben klassischen Messeständen der Verlage auch eine breite Palette von Veranstaltungen geboten wird: Diskussionsrunden, Vorträge, Preisverleihungen und Signierstunden internationaler Gäste. Für Comicgate ist Stefan Svik nach Frankfurt gereist, der zum ersten Mal auf der Buchmesse war. Von seinen Eindrücken am Messesamstag, dem ersten der beiden Publikumstage, berichtet er hier.
Samstag, 23.10.2012, ich betrete um 9.45 Uhr die Messehalle 3 und suche das Comic-Zentrum. Vorab konnte ich bequem am PC einen individuellen Plan zusammenstellen, mit den Terminen, die mich besonders interessieren. Ich kam auf sechs Seiten mit gut 40 Terminen. Am Ende des Messetages um 18.20 Uhr hatte ich nur einen Bruchteil von dem gesehen, was allein nur an diesem Tag und nur in einer einzigen Messehalle geboten wurde. Es war voll, es war warm, es war anstrengend und es war herrlich!
Der Weg zum Comic-Zentrum führt über Kinderbuch-Verlage wie Arena und Vorführungen von fidelen bayerischen Köchinnen. Dazwischen immer wieder Cosplay-Kids, aber auch ein Mann im Anzug mit aufgemalter Kopfverletzung.
Für eine Beschreibung des Comic-Zentrums verweise ich gerne auf den Comicgate-Artikel über die Frankfurter Buchmesse 2010. Was darin steht, gilt auch 2012 noch. Etwas verwunderlich: Der sehr große Ehapa-Stand ist relativ weit entfernt vom Comic-Zentrum, während die anderen großen und kleineren Verlage sich in dessen Nähe befinden. Man kann übrigens zu drei völlig verschiedenen Eindrücken kommen: Wer den Flyer der „Faszination Comic“ betrachtet, bekommt das Gefühl, dass Panini-Künstler die Messe dominieren. Bei der Preisverleihung des Sondermann am Nachmittag hingegen fällt vor allem der Reprodukt-Verlag auf, der gleich zwei Preise entgegennehmen durfte, etwa für Habibi als besten internationalen Comic. Beim Gang über die Messe besticht, rein was das Design betrifft, der helle, freundliche Stand von Carlsen. Sehr klein war im Vergleich dazu der Stand von Cross Cult, an dem Autorin Verena Klinke und Zeichner Felix Mertikat, die Schöpfer von Steam Noir 2 – Das Kupferherz, auch nach ihrer Signierstunde weiter für Interessierte zur Verfügung standen und schon mal Fragen beantworten mussten wie: „Was kostet es, wenn Sie mir eine Karikatur zeichnen?“, die Felix damit beantwortete, dass Karikaturen nicht unbedingt seine Stärke sind.
Samstag und Sonntag sind die Besuchertage auf der Buchmesse und dementsprechend voll war es. Freunde von Giveaways kamen durchaus auch auf ihre Kosten. Bei Ehapa gab es Luftballons, aber das Wichtigste war wohl: An den Ständen und an den eng aneinandergereihten Signiertischen gab es immer wieder Gelegenheiten, an Zeichnungen und Signaturen zu kommen. Von Mordillo, der von seinem Verlag per Transparent zu seinem 80. Geburtstag beglückwünscht wurde, über Joscha Sauer, Ralf Ruthe, Roger Langridge, Oguz Yilmaz, Johanna Baumann bis zu Martin Perscheid und vielen anderen Künstlern – hier dürften ganz unterschiedliche Fans auf ihre Kosten gekommen sein.
Ein Thema, das ich leider völlig verpasst habe (auch weil der Stand offenbar sehr gut versteckt war) waren tschechische Comics, die auf dieser Messe besonderes Augenmerk genießen sollten und im Programm hervorgehoben wurden. Wirklich groß aufgezogen wurde das Thema dann aber nicht – wie gesagt, ich habe den Stand schlicht nicht gefunden im dauerhaften Gewühl der massenhaften Besucherströme. Stattdessen lief ich dreimal am Stand mit iranischen Comics vorbei, der wenig einladend aussah (iranische Staatsflagge auf dem Tisch und ernst dreinblickende Mitarbeiter am Stand) und immer recht verwaist wirkte.
Beim Flanieren, besser: beim Durchquetschen durch die Messe gibt es immer mal wieder Neues zu entdecken. Ein Kamerateam interviewt eine junge Frau im engen Black-Widow-Kostüm, sie sieht von hinten ebenso täuschend echt aus wie später am Tag ein Double von Austin Powers. Vorherrschende Figuren sind offensichtlich Manga-inspiriert, obwohl eigentlich Neuseeland und die Hobbits Thema des diesjährigen Cosplay-Wettbewerbs sind. In der Masse der Besucher gehen die Cosplay-Fans ziemlich unter. Nirgends ist jemand zu sehen, der aussieht wie das Klischee vom „Comic Book Guy“ aus den Simpsons oder wie ein Nerd wirkt. Erst auf der Heimfahrt entdecke ich jemanden im Wolverine-Shirt, ein kleiner Junge, der im ICE seine Mutter auf Trab hält. In der Messehalle aber vermischen sich Comicleser mit gänzlich anderen Besuchern, die etwa ihren Kindern Hörbücher von einem Schauspieler vorlesen lassen oder auch nur auf Durchreise durch die vielen, großen Hallen sind. Eine bunte Mischung. „Erlangen ist familiärer“, sagt Autor Benjamin Schreuder später dazu. Auch ihm ist aufgefallen, dass hier sehr unterschiedliche Anbieter nebeneinander stehen.
Bei Zack frage ich nach Aktionen für den Comic Grand Prix. Es gibt keine. Im Zentrum der Messe steht hier ein anderer Rennfahrer-Comic: Michel Vaillant. Das mit reichlich Bildmaterial untermalte Panel zu diesem Thema ist sehr interessant und auch sehr gut besucht. Voller Stolz wird bekanntgegeben, dass der neueste Vaillant-Comic in Deutschland zuerst in Fortsetzungsgeschichten im Zack-Magazin erscheinen wird, bevor er als Album herauskommt.
Im Anschluss folgt ein 45-minütiger Auftritt von Lucky Luke-Zeichner Achdé und seinem Übersetzer Klaus Jöken, bei dem man am Ende leider vergessen hat, noch genug Zeit einzuplanen, um den Künstler live am Grafiktablett zeichnen zu lassen – schade. Im Gespräch gibt Achdé zu, nicht besonders von Hergé beeindruckt zu sein, weil er persönlich Zeichnungen mit mehr Action bevorzugt, etwa die von Franquin. Auf die Frage, ob er Lucky Luke gerne wieder mit Zigarette statt Grashalm zeichnen würde, antwortet er, dass Lucky Luke seit 1982 rauchfrei ist und dass es heute einfach nicht mehr passt, weil Helden inzwischen keine Raucher mehr sind. Denkbar wären Zigaretten nur noch für Schurken.
Achdé hat den legendären Lucky Luke-Zeichner Morris persönlich kennengelernt und gerne würde er ihn auch heute noch um Rat fragen, etwa wenn er wissen möchte, welcher Stift für eine bestimmte Zeichnung benutzt wurde. Bedauerlicherweise geht das nicht mehr, da Morris verstorben ist und Achdé nun seine Arbeit fortführt, gemeinsam mit wechselnden Autoren, oder im Fall von Lucky Kid auch im Alleingang. Mitgebracht hat der Franzose Bilder aus seinem neuesten Lucky Luke-Album, in dem die Daltons, inklusive Mom Dalton, eine Hauptrolle spielen. Zur Zeit erscheint die Geschichte im belgischen Spirou-Magazin, in Deutschland wird das Album 2013 herauskommen.
Bei einigen Verlagen habe ich mich erkundigt, wie ihr Jahr 2012 bislang war und was für sie die Highlights im kommenden Herbst und Winter werden. Bei Ehapa etwa gilt der Comic-Salon Erlangen als besonders erfreuliches Ereignis in diesem Jahr, mit dem man soweit auch sehr zufrieden ist und das so ein Werk wie Arzak von Moebius zu bieten hat. Panini hat mit Deluxe-Ausgaben, inklusive limitierten und signierten Drucken, von Frank Millers umstrittenem Holy Terror und dem Kriegscomic Battler Britton von Garth Ennis und Colin Wilson sehr exklusive, potenzielle Weihnachtsgeschenke im Programm. Cross Cult plant eine Kooperation mit dem DVD/BluRay-Vertrieb der Walking Dead-TV-Serie: Von der zweiten Staffel soll es eine Ausgabe geben, die sowohl die Filme als auch den Comic im BluRay-Format enthält. Beatrice Beckmann von Schreiber & Leser betont besonders die mittlerweile auf 13 Bände angewachsene „noir“-Reihe, die sich vor allem durch ihre Romanadaptionen als Einstieg für Neuleser eignet. Als Überraschungshit bezeichnet sie Ein philosophisch-pornografischer Sommer von Jimmy Beaulieu, von dem im nächsten Jahr ein weiterer Band erscheinen soll. Beim Carlsen Verlag steht in nächster Zeit die „Graphic Novel Ladies Edition“ mit drei französischen Comics im Mittelpunkt, die mit Buchhandelsaktionen und über Frauen- und Modemagazine promotet wird. Außerdem weist Pressedame Claudia Jerusalem-Groenewald auf drei kommende Eigenproduktionen hin: Kriegszeiten von David Schraven und Vincent Burmeister, eine Sammlung der Ferdinand-Comics von Ralph Ruthe und Flix aus dem Kindermagazin Dein Spiegel sowie Vasmers Bruder, der Abschluss von Peer Meters Serienmörder-Trilogie.
Highlight des Tages war wohl eindeutig die Verleihung des Sondermann 2012. Nach der Veranstaltung gab es im übrigen Freibier: 100 Flaschen Duff! Tolle Idee für eine Zeremonie, die angenehmerweise wenig an die Oscar-Preisverleihung erinnerte – erfreulich familiär und ungekünstelt ging es zu! Der Preis in der Kategorie „Comic National“ ging an Benjamin Schreuder und Felix Mertikat für Steam Noir 1. Ein ungewohnter Anblick: Bei der Entgegennahme des Preises war Felix mal ohne Hut unterwegs und freute sich sichtlich über die Auszeichnung. Vielleicht etwas wehmütig war Benjamin, der sich inzwischen mehr Filmen und Kinderbüchern widmet als Comics. Die weiteren Preisträger:
Comic international: Habibi, Craig Thompson (Reprodukt)
Manga international: Pretty Guardian Sailor Moon 1, Naoko Takeuchi, (EMA)
Manga national: Stupid Story 3, Anna Hollmann (Tokyopop)
Web-Sondermann: Das Leben ist kein Ponyhof, Sarah Burrini
Newcomer 2012: Brigitte und der Perlenhort, Aisha Franz (Reprodukt)
Bernd-Pfarr-Sondermann für Komische Kunst: Abstract City, Christoph Niemann (Knesebeck)
Auffällig war für mich der hohe Anteil an weiblichen Preisträgerinnen. Das immer noch stark männlich geprägt scheinende Superheldengenre oder die frankobelgischen Comics sind zwar ein gutes Gegenbeispiel, aber mein Eindruck ist, dass die Frauen im Bereich Comics stark auf dem Vormarsch sind. Auf der Messe hatte ich Gelegenheit zu Gesprächen mit Johanna „Schlogger“ Baumann, der Autorin und Zeichnerin von danach, und Steam Noir-Autorin Verena Klinke sowie ihren männlichen Kollegen Colin Wilson, Achdé, Christoph Niemann, Felix Mertikat und Benjamin Schreuder (diese Interviews erscheinen in den nächsten Wochen bei Comicgate). Jeder dieser Künstler steht für ganz unterschiedliche Arten von Comics und so ist es wohl auch mit einem Besuch der Frankfurter Buchmesse: jeder stellt sich ein ganz individuelles Programm zusammen und verlässt das riesige Messegelände in Sichtweite der Frankfurter Bankentürme mit ganz anderen Eindrücken.
Fotos: © Stefan Svik