Der aktuelle Manga von Kaoru Mori Young Bride’s Story ist, um es kurz zu benennen, eines dieser liebevollen Werke, deren Figuren einem sofort sympathisch sind und das man nicht der Spannung wegen liest, sondern weil das Lesen an sich Spaß macht.
Wie schon in Moris vorheriger Serie Emma – eine viktorianische Liebe (in der es um die standesübergreifende Beziehung zwischen einem Dienstmädchen und einem Adligen aus der Mittelschicht im London Ende des 19. Jahrhunderts geht) geht es um eine ungewöhnliche Liebesbeziehung in einem mangauntypischen Umfeld. Der Leser steigt direkt in die Geschichte ein und wird von ihr an die Hand genommen.
Die Handlung beginnt sinnigerweise mit einer Hochzeit, wobei das Setting erfrischend unverbraucht für eine Manga-Liebesgeschichte ist: Man befindet sich in einem eurasischen Dorf im 19. Jahrhundert. Das Brautpaar steht sich bei der Feierlichkeit gegenüber und als der Schleier gelüftet wird, sehen sich die 20-jährige Amira und ihr 12-jähriger Bräutigam Karluk zum ersten Mal. Ihre Reaktionen spiegeln die Überraschung des Lesers wider, denn während Amira als reife Frau dargestellt wird, ist Karluk nun mal ein Kind. Dieser Umstand dürfte bei einigen Lesern Skepsis hervorrufen, allerdings sei gesagt, dass die Geschichte (bis auf eine zarte Kussszene zwischen den beiden) keine körperliche oder sexuelle Ebene in der jungen Ehe zum Thema macht. Dies wird schon zu Beginn umgangen, indem man Karluk neben die fast gleichaltrigen Kinder seiner Schwester stellt. Diese scheint nur etwas älter als Amira zu sein, wurde also recht jung schwanger. Durch diese Familienverflechtungen wird offensichtlich, dass der kulturelle Kontext, in dem die Geschichte spielt, keine Grundlage für eventuelle kontroverse Diskussionen bieten soll. Für den Erzählfluss ist das umso angenehmer, würde eine Thematisierung hier doch eher künstlich und moralpredigend auf den ansonsten sehr „weichen“ Charakter des Manga wirken.
Es wird lediglich die Geschichte von Amira erzählt, die aus einem Nomadenstamm in eine dörfliche Familie einheiratet und sich dort nach und nach einlebt. Die Handlung an sich bleibt dabei recht dünn. Größtenteils werden alltägliche Szenen aus Amiras Leben als Teil einer neuen Familie geschildert: nur zum Schluss des Bands wird ein Konflikt angedeutet. Das mag belanglos klingen, doch Mori erzählt ihre kleinen Brautgeschichten auf so liebevolle Weise und hohem handwerklichen Niveau, dass der fehlende Spannungsbogen kaum ins Gewicht fällt.
Seit ihrer Vorgängerserie Emma – eine viktorianische Liebe hat Moris Stil noch einmal einen Sprung nach vorn gemacht: Die Kleidung ist noch detaillierter, die Hintergründe noch ausgefüllter, die Landschaften noch lebendiger, die Figuren noch markanter und ihre Bewegungen noch kraftvoller und ausdrucksstärker. Selbst wenn seitenweise kein Text vorkommt, verweilt man gerne, um die Bilder wirken zu lassen. Sind die Muster eines Kleidungsstückes beispielsweise noch so klein, so kann man sie dennoch immer klar und fein bis in jede Faser erkennen. Dabei sind die meist klassisch aufgeteilten Seiten aber nie überladen.
Mori offenbart im Nachwort ihre Faszination für die Kultur der Seidenstraße, doch wird die Geschichte mit ihren gesellschaftlich-kulturellen Verweisen nicht unnötig erdrückt. Szenen wie die zwischen Karluks Neffen und einem Holzschnitzer oder Amiras Hasenjagd zeigen, mit wie viel Liebe und Sorgfalt Mori an ihrem Werk gearbeitet hat. Sie spiegelt sich hier auch in ihren Figuren wider. Wenn der Leser mit den Augen des kleinen Jungen den Schnitzer bei seiner Arbeit beobachtet und dabei genau den Bewegungen seiner Hand folgt; oder wenn Karluk Amiras Hasenjagd verfolgt, wie diese sich dem Tier angespannt und konzentriert nähert, dabei immer wieder die Perspektive wechselt und man das Gefühl hat, man könnte die Bewegung von Amiras Kleid geradezu hören; dann überträgt sich Moris Leidenschaft auf den Leser und das anfänglich ungewohnte Thema steckt zum Weiterlesen an. Man wird von der atmosphärischen Dichte der Geschichte aufgesogen und freut sich zusammen mit Amira über die erfolgreiche Jagd und das Staunen der Familienmitglieder.
Hinzu kommt, dass die Protagonisten einem unverzüglich ans Herz wachsen. Aus Amiras Sicht lernt man nach und nach die Familie kennen, in der jeder mit so viel Offenheit und Gefühl agiert, dass die Geschichte sehr bewegend und lebendig erscheint. Dieser Punkt zeichnet den Manga im Besonderen aus und macht ihn zu einem Juwel. Der Meinung war man in diesem Jahr auch bei der Vergabe des Prix Intergénérations beim 39. Internationalen Comic-Salon in Angoulême 2012.
Auf Deutsch liegen bei Tokyopop mittlerweile die ersten drei Bände der Serie vor. In späteren Bänden widmet sich Mori außer Amira und Karluk noch weiteren Figuren und ihren Young Bride‘s Stories. Die Zeichnerin kann dadurch auch aus verschiedenen Blickwinkeln von der Lebensart Eurasiens erzählen und zur Freude des Lesers tobt sie sich dabei weiterhin auf gewohnt charmante Weise aus.
Wertung:
Erfrischend ausgefallene Lovestory mit einem klasse Artwork
Young Bride’s Story 1
Tokyopop, August 2011
Text und Zeichnungen: Kaori Mori
Übersetzung: Alexandra Keerl
196 Seiten; Softcover, schwarz-weiß
Preis: 6,95 Euro
ISBN: 978-3842002296
Abbildungen © Kaori Mori, der dt. Ausgabe: Tokyopop