Jeder neue Band von Matthias Schultheiss ist ein kleiner Aufreger. Schließlich war er einer der ersten deutschen Zeichner, die richtig professionell agierten und auch international mit Serien wie Die Haie von Lagos und Die Wahrheit über Shelby für Aufsehen sorgte. Dafür sorgte nicht immer nur sein unverkennbarer Zeichenstil, sondern auch die durchaus kontroversen Inhalte. Wenn jetzt mit Woman on the River ein neues Werk erscheint, ist man natürlich mehr als neugierig.
Nicht zuletzt deshalb, weil er bis vor kurzem eine lange Schaffenspause eingelegt hatte und dann mit Die Reise mit Bill und dem dem viel diskutierten Daddy wieder mit Vehemenz auf der Bildfläche auftauchte. Schon der kurze Abstand zwischen diesen neuen Comics ist etwas überraschend. Dabei ist Schultheiss‘ neuester Band bei weitem nicht so kontrovers wie andere Werke von ihm. Man denke nur an die religiösen Provokationen in Daddy oder an Die Haie von Lagos, dessen Unterton nicht ganz frei von einem gewissen Rassismus war. Dies, im Verbund mit viel Sex und Gewalt, wusste durchaus anzuecken.
Die neue Graphic Novel Woman on the River ist eine klassische Genreerzählung, die sich ganz nah am Neo Noir entlang bewegt. Wie es häufig bei Genregeschichten ist, kann dann die Story um Schuld und Vergebung und Gewissen nur wenig überzeugen. Oder anders formuliert: Die Erzählung verlässt nicht den Rahmen des Genres und vermag deswegen nicht sonderlich zu überraschen oder gar etwas Innovatives zu liefern. Ein älterer Mann wird aus dem Gefängnis entlassen, in dem er wegen Mordes gesessen hatte. Er kehrt in seine alte Heimat zurück und bezieht eine Hütte am Rande des Bayous. Seine Nächte sind erfüllt von Flashbacks, schließlich war er ein professioneller Mörder, und nur die Freundschaft mit den Nachbarn führt zu Glücksmomenten. Als er sich eines Tages auf den ersten Blick in eine geheimnisvolle Frau verliebt, holt ihn seine Vergangenheit allerdings wieder ein.
Wenngleich diese Story alles andere als innovativ ist, hat Schultheiss immerhin viel Atmosphäre geschaffen. Zudem gibt es viele schöne visuelle Einfälle, welche hervorragend eines der Grundthemen des Noir verdeutlichen: die Gefangenschaft in der Situation und die Unentrinnbarkeit vor dem Schicksal, welches das Verbrechen für einen bereit hält. Vor allem der Beginn kann den Leser überzeugen und bei der Stange halten: Die Mischung von Wassereffekten, einem Pistolenlauf und der Zeitlupenflugbahn einer Pistolenkugel ist sehr beeindruckend. Manche späteren Szenen sind dann zwar weitaus konventioneller ausgefallen, aber allzu viele Experimente hätten dem realistischen Duktus der Geschichte widersprochen.
Ansonsten hat Schultheiss seinen berühmten verwaschenen Stil mit den langgliedrigen Figuren nicht geändert. Nur die deutlich sichtbare Rasterung in den Bildern stört und man fragt sich, ob sie gewollt ist. Ist es eine Hommage an alte Pulphefte mit ihrem groben Papier, ist es Manierismus oder scheint die Schraffur des Zeichenpapiers durch? Gegen letzteres spricht die Unschärfe mancher Zeichnungen. Insgesamt ist Woman on the River ein eher braves Produkt, das die Fans zwar nicht enttäuschen wird, aber eher das Flair einer Fingerübung hat. Interessant, unterhaltsam, aber nichts, was sonderlich im Gedächtnis haften bleibt.
Wertung:
Gute graphische Ideen und die souveräne Erzählung können nicht verdecken, dass hier eine typische Genreerzählung vorliegt, die wenig Neues bietet
Woman on the River
Splitter Verlag, Juni 2013
Text und Zeichnungen: Matthias Schultheiss
64 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-618-9
Leseprobe
Abbildungen: © Matthias Schultheiss/Splitter Verlag