Eigentlich sollte es nur eine Fingerübung sein, kleine Comic-Episoden für das private Skizzenbuch. Der kanadische Comic-Künstler Seth (Eigentlich ist das Leben schön) kreierte hierfür die Figur des Wimbledon Green, eines sehr beleibten, verschrobenen und exzentrischen Comicsammlers. Und bald fand er an jenen Versuchen so viel Gefallen, dass er beschloss, mehr daraus zu machen und sie gesammelt als Buch zu veröffentlichen.
Es geht ihm dabei weniger um die Zeichnungen. Im Vorwort betont Seth, dass diese nur Skizzenbuch-Qualität hätten: „Die ganze Sache sollte lediglich ‚gerade gut genug‘ sein.“ Vielmehr wollte sich der Künstler hier an einer besonderen Erzähltechnik versuchen. Denn Wimbledon Green ist eben keine „Graphic Novel“, keine romanartig aufgebaute Erzählung, sondern besteht aus zahlreichen kleinen Einheiten: aus Kurzgeschichten, Titelbildern aus Greens fiktiver Comicsammlung und „Augenzeugenberichten“, die wie in einer TV-Dokumentation von ihrem Verhältnis zu Wimbledon Green erzählen. Da kann dann eine Seite schonmal aus zwölf Panels bestehen, in der zwölfmal der gleiche Kopf zu sehen ist.
Ein Flickenteppich aus Einzelteilen also, die in ihrer Summe eine wunderbare, melancholische, fiktive Biographie ergeben. Deren Gegenstand ist der manische Comicsammler Wimbledon Green. Nicht irgendein Sammler, sondern – nach eigener Aussage – der größte der Welt. Vor Jahren hat er zufällig einen sehr wertvollen Bestand extrem seltener Comics entdeckt, was ihn zu einem reichen Mann machte, der von seinen Sammlerkollegen teils bewundert, aber auch gehasst oder gefürchtet wird.
Seth spinnt ein Geflecht von Mythen und Geheimnissen rund um Green und die legendäre Sammlung „Wilbur R. Webb“, das sich beim Lesen erst langsam erschließt. Dieser Comic taugt nicht als schnelle Nebenbei-Lektüre, sondern verlangt vom Leser ein selbständiges Zusammenfügen der Bausteine, die ihm Seth zur Verfügung stellt. Dadurch kann man dann umso mehr in dieser seltsamen Parallelwelt versinken, von der hier erzählt wird: scheinbar in der Gegenwart angesiedelt, aber voll von alten Autos und Männern mit Hut. Seth, der selbst stets Hut und Anzug trägt und aus seiner Liebe für die Ästhetik vergangener Zeiten keinen Hehl macht, schafft eine fiktive Sammlerszene, die wie aus der Zeit gefallen wirkt.
Sein Blick auf diese Szene und die verschrobenen Typen, die sie bevölkern, ist ironisch und leicht spöttisch, letztlich aber sehr liebevoll. Man mag Wimbledon Green anfangs für einen unsympathischen Widerling halten, aber spätestens wenn er von seiner Kindheit und von seinem Lieblingscomic, der Landstreicher-Serie Fine & Dandy, erzählt, wächst er einem doch ans Herz. Wimbledon Green ist teilweise ein wehmütig-nostalgischer Blick in eine Comic-Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, hat aber auch rasant-überdrehte Passagen zu bieten: Die längere Geschichte „The Green Ghost“ übersteigert die Jagd nach seltenen Comics zu einer Abenteuergeschichte, die an alte James-Bond-Filme erinnert, wenn sich die konkurrierenden Sammler mit technischen Tricks und fiesen Finten auszustechen versuchen.
Aus den nebenbei skizzierten Übungen ist auf spielerische Weise dann doch ein recht elaboriertes Werk geworden – Seths persönliche Liebeserklärung an die Sammelleidenschaft. Passend zum Thema ist das Buch sehr liebevoll und hochwertig aufgemacht. Bei der deutschen Ausgabe von Edition 52 muss man zwar auf Handlettering verzichten, was hier wirklich schade ist, ansonsten ist sie aber in jeder Hinsicht gelungen.
Wimbledon Green. Der größte Comicsammler der Welt
Edition 52, April 2009
Text und Zeichnungen: Seth
Hardcover; 128 Seiten; farbig; 25,- Euro
ISBN: 978-3-395229-61-6
Abbildungen: © Edition 52