Rezensionen

War and Dreams


 Treffen sich ein Franzose, ein Brite, ein Amerikaner und ein Deutscher … Was sich anhört wie der Anfang eines billigen Witzes, ist in knapper Zusammenfassung das Konzept von War and Dreams, dem neuen Comic vom Kreativteam Maryse und Jean François Charles, die u.a auch für India Dreams und Die Pioniere der neuen Welt verantwortlich zeichnen. Wobei die Handlung sich korrekterweise vielmehr genau darauf bezieht, dass die vier unterschiedlichen Landsmänner im gehobenen Alter eigentlich gar nicht direkt aufeinandertreffen.

In einem Küstendorf in Nordfrankreich, einem Ort, zu dem alle vier Hauptprotagonisten eine Verbindung besitzen, erinnern sie sich an ihre persönlichen Schicksale während des Zweiten Weltkrieges. Rückblenden berichten vom deutschen Soldaten Erwin, der sich neben seinem Dienst in einer Bunkeranlage als Maler versuchte und sich dabei in eine Französin verliebte. Erzählt wird auch von der Arbeit des britischen Offiziers Archie, der durch die Entschlüsselung des Enigma-Codes auf Geheimpläne der Nazis aufmerksam wurde. Pläne, die die Deutschen auch durch Zwangsarbeiter durchzusetzen versuchten. Einer eben jener war der Franzose Julien, eine weitere Figur in der schicksalhaften Konstellation in diesem Comicband. Der letzte  im Bunde ist Joe, amerikanischer Fliegerheld, Stuntman und Prahlhans.

War and Dreams ist ein enorm vielschichtiges Werk, nicht nur springt das Geschehen immer wieder unkontrolliert und ohne Vorwarnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, auch den persönlichen Verhältnissen der Charaktere untereinander ist hin und wieder nur schwer zu folgen. Ein bisschen liegt das sicherlich auch daran, dass sich jede der vier Geschichten für sich lesen lässt, man sich aber als Leser ständig Gedanken machen muss, welche zeitgeschichtlichen oder örtlichen Zusammenhänge nun von Bedeutung sind.

 Im Grunde ist dieser Comic der Versuch, Krieg aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und aufzuzeigen, dass hinter jedem Feind auch ein Mensch steckt. So unterschiedlich Joe, Archie, Julien und Erwin auch sein mögen und so verschieden ihre Rolle in den 40ern auch aussah, keiner von ihnen wird hier schwarz oder weiß skizziert.

Sehr schön und authentisch ist in dieser Hinsicht auch das letzte Kapitel gelungen, welches Auszüge aus einer (fiktiven) Facharbeit einer jungen Französin enthält. Die Texte sind nicht in Comicform, sondern wurden lediglich mit Illustrationen unterlegt. Die vier Hauptfiguren, die für eben jene Arbeit interviewt wurden, erzählen noch einmal mit eigenen Worten, was sie damals erlebt haben. Ein guter Einfall, den ich in dieser Art noch nicht kannte und der natürlich perfekt zum geschichtlichen Rahmen passt. Da stimmt auch die in erdigen Farben gedeckte Grafik des Buches, bei der es höchstens zu bemängeln gibt, dass ab und an die Gesichtszüge der Figuren arg versteinert wirken.

Als besonderes Gimmick liegt dem Band übrigens eine herausnehmbare und aufklappbare Zeitschrift bei. Es handelt sich um eine fiktive Ausgabe des amerikanischen Life-Magazins und (auf der Rückseite als Flipcover lesbar) eine Ausgabe der NS-Propagandazeitschrift Signal. Auch das ist wiederum ein mehr als netter Einfall, der War and Dreams gehörig Authentizität verleiht.


War and Dreams
Splitter, Mai 2010
Text: Maryse Charles
Zeichnungen: Jean-François Charles
192 Seiten, HC mit Schutzumschlag, 24,80 Euro
ISBN: 978-3-940864-01-7

Klug aufgebautes, verstricktes Weltkriegsdrama

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Abbildungen: © Splitter Verlag