Rezensionen

Vita Obscura

Cover Vita ObscuraMit seinen ersten beiden Comics drüben! und Packeis hat Simon Schwartz eindrucksvoll auf sich aufmerksam gemacht und bewiesen, dass er im Moment wohl einer der talentiertesten, deutschen Comiczeichner ist. Sein neues Buch Vita Obscura resultierte aus einer regelmäßigen Publikation in der Wochenzeitung Der Freitag. Darin begab sich Schwartz, mit viel künstlerischer Freiheit ausgestattet, auf die Spur des klassischen Zeitungsstrips.

Die Idee hinter Vita Obscura ist im Prinzip eine geistige Ausdehnung von Packeis, das die bislang kaum bekannte Geschichte von Matthew Henson erzählt, dem ersten Menschen am Nordpol. In Vita Obscura finden sich zahlreiche solcher Lebensläufe wieder, skurrile, humorvolle, tragische Biografien, die auf je einer Seite und in wenigen Bildern komprimiert werden. Für den vorliegenden Sammelband wurden die Strips aus Der Freitag teilweise überarbeitet und erweitert, sowie neue Episoden geschaffen.

Schwartz‘ Arbeit ist eine Zeitreise quer durch beinahe alle Epochen der Menschheitsgeschichte, die genau an den Biografien halt macht, die die Geschichtsbücher normalerweise vernachlässigen: der erste und einzige Kaiser von Amerika, der eigentlich ein Obdachloser war, ein Arzt, der das Gehirn Albert Einsteins stahl, die Witwe des Waffenfabrikanten William Winchester, die ihr Haus geistersicher bauen ließ, Kim Jong-Il, der vergeblich versuchte, eine nordkoreanische Filmindustrie aufzubauen. Das sind nur einige der schrillen Episoden. Auf brillante Weise setzt Simon Schwartz diese grafisch um, jede auf ihre ganz eigene Weise. Die Kunstfertigkeit des Autors rangiert hierbei zwischen allen möglich Stilen, Farben und Formen, sowie innerhalb schier unbegrenzter Möglichkeiten des Layouts und der Seitenaufteilung. Das Leben der Jazzmusikerin Valaida Snow abstrahiert er mit Buntstiften, das der jüdischen Leichtathletin Gretel Bergmann in dunklen Pinselstrichen. Grobe Tuscheskizzen, Bleistiftzeichnungen oder abfotografierte Modellierungen sind ihm allerdings ebenso wenig fremd.

Seite aus Vita ObscuraDas Besondere an dieser Zusammenstellung von Comicstrips mit ganz unterschiedlichr Thematik ist, dass die grafische Umsetzung stets im Dienste der jeweiligen Inhalte steht und einfallsreich mit den Eigenheiten der Geschichte beziehungsweise der dahinter stehenden Biografie spielt. So ist beispielsweise die Flugzeugentführung durch den berüchtigten D. B. Cooper in der grafischen Form einer Flugsicherheitsanweisung bebildert. In einer weiteren Episode werden für Victor Lustigs Coup, den damals unbeliebten Eiffelturm an Schrotthändler zu verschachern, die Abschnitte eines abgerollten Kamerafilms als Comicpanels entfremdet. Es befindet sich in Vita Obscura sogar eine Erzählung in 3D-Optik, inklusive einer Anleitung, mit der man sich selbst eine entsprechende Brille zum Betrachten bauen kann.

Die Strips in Vita Obscura sind nicht nur allesamt sehr unterhaltsam, sondern auch durchaus historisch lehrreich, weil sie dunkle Flecken in der Zeitgeschichte aufhellen. Es handelt sich um Biografien, die es in jedem Fall wert sind, erzählt zu werden. Und Simon Schwartz hat deutlich Lust darauf, dies auf möglichst eindrückliche Art mit seinen Bildern zu tun. Er zeichnet, malt, knetet liebevoll und variantenreich. Das Ergebnis ist erstaunlich. Bitte gerne mehr davon in einem zukünftigen zweiten Sammelband.

 

Wertung: 9 von 10 Punkten

Tolle Idee, tolle Umsetzung: Vita Obscura ist ein Comicstrip auf hohem Niveau

 

Vita Obscura
Avant-Verlag, März 2014

Text und Zeichnungen: Simon Schwartz
72 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 19,95 Euro
ISBN: 978-3-939080-94-7
Leseprobe

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Abbildungen: © Simon Schwartz/Avant-Verlag