Nach dem ersten Versuch von mg Publishing vor ein paar Jahren gibt nun also Cross Cult dieser Serie eine zweite Chance auf dem deutschsprachigen Markt.
Update 06.03.2007: 2. Besprechung (von Christopher)
Frauke:
Au Backe, was für ein Ziegelstein! Selten habe ich so einen massiven Comicband vor mir gehabt. In gewohnt guter Cross-Cult-Manier mit Hardcover und edlem Papier, aber nicht in handlichem DIN A5, sondern in gefühltem DIN A2 (dabei hat er in Wirklichkeit etwa DIN A4-Format) liegt einem der Klops schwer in der Hand. Genauso mächtig, wie er von außen daherkommt, so stark und kraftvoll ist der grafische Inhalt. Erzählerisch wird sie nicht jedem zusagen, die Geschichte eines Krieges, eines stark an die Sowjetunion angelehnt sozialistischen Staates und seiner Soldaten. Zu abstrus scheint einem Historie verwoben zu sein mit Zauberei, futuristischen Kriegsluftschiffen und pathetisch verblendeter Aufgabe der Individualität. Müsste man diesen Band auf ein Wort reduzieren, trifft es trotzdem dieses am besten: opulent.
Wie Autor und Zeichner Christian Gossett bereits in seinem Vorwort festhält, geht es ihm in The Red Star um einen „Prolog zu einem Märchen, inspiriert von der Geschichte Russlands.“ In den im Band enthaltenen Interview meint er: „Wir betonen nicht, welche Aspekte unserer Handlung metaphorisch sind und welche historisch fundiert. [… ] Was auf den Seiten als Methapher dargestellt wird, ist ein Abbild eines historischen Ereignisses.“
Hauptfigur ist anfangs die Kriegszauberin Maya, die einem Kriegsveteranen auf der Fahrt zu dem Grab ihres Mannes von der Schlacht vor „Kar Dathras Tor“ erzählt, in der sie ihn vor neun Jahren verlor. Sie war mit vielen anderen auf einem riesigen Kriegsluftschiff, einem so genannten „Brüter“, stationiert und hatte die Aufgabe, durch gezielte Angriffe feindliche Luftschiffe zu zerstören. Ihr Mann Markus Antares kämpfte als Kapitän der Infanterie am Boden gegen die aufständischen Nistaani-Krieger, die „Kar Dathras Tor“ als ihre Heiligste Stätte empfanden und so mit einem verzweifelten Mut das gigantische Herr der VRRS (Vereinigte Republiken des Roten Sterns) in der Wüste von Al'Istaan bekämpften. Dieses sieht sich von Anfang an als Sieger der Schlacht – bis Kar Dathra selbst erscheint. Ein mächtiger Zauberer, der das Volk der Nistaani beschützt und vom Zentralkommando der VRRS als „religöser Aberglaube“ abgetan wurde. Maya kommentiert dies so: „Wir hatten alles in die Waagschale geworfen. Wir waren nur Augenblicke vom Sieg entfernt, doch als Kar Dathra selbst vor uns erschien, wurde uns klar, dass es diesen Moment nie geben würde.“
Das folgende Inferno tötet die meisten der Soldaten. Maya überlebt, aber nur, weil sie von einer Kameradin bewusstlos geschlagen wurde, bevor sie sich in das Menschengetümmel stürzen kann, um Markus zu suchen – mit der verzweifelten Bereitschaft, dafür auch zu sterben.
Ab dieser Stelle verabschiedet man sich von Mayas Erzählung, um zu erfahren, was mit ihrem Mann in der Schlacht tatsächlich passiert ist …
The Red Star ist schwer einzuordnen. Grafisch ein absoluter Hochgenuss – direkt auf dem Bleistift kolorierte Figuren werden per Photoshop in Seiten eingefügt, die mittels 3D-Programm entstanden sind und unter anderem futuristische Kriegsgerätschaften und Landschaften zeigen. Die Farben sind umwerfend und vermitteln an manchen Stellen einen beeindruckend realistischen Touch. Und irgendwann ist einem die Geschichte gar nicht mehr so wichtig, so präsent. Man liest zwar mit, blättert aber insgeheim einfach nur die Seiten um, um zu sehen, was den Augen als nächstes geboten wird. Ist dann die Achterbahnfahrt zu Ende, überlegt man sich vielleicht doch mal, um was es ging. Und ob es einem gefallen hat. Mit etwas Abstand kann ich nun sagen, dass ich die Geschichte dieses Krieges als recht abstrus und die Erzählweise mitunter zu verworren empfand. Auch gefällt mir die transportierte Botschaft nicht. Maya ist zwar durchaus kritisch in ihren Gedanken. So sagt sie zu Beginn ihrer Erzählung „Keiner von uns wagte auszusprechen, wie sinnlos unsere Aufgabe war.“ Mittendrin meint sie: „Alle Führer dieser Welt … sie sind Lügner, allesamt! Unbedeutende Herren mit unbedeutenden Plänen.“ Trotz allem entscheidet sie sich, als sie am Ende dieses Bandes von der Unabhängigkeitserklärung der Gebirgsprovinz Nokgorka hört, nach einem langem Monolog – in der ihre innere Zerrissenheit dargestellt wird – für den überzeugten Einsatz im nächsten Krieg. „Findet eine Armee keine Wahrheit, oder zumindest Hoffnung, in der Propaganda ihres Landes … so wird sie vernichtet werden. Diese Wahrnehmung muss erzwungen werden. […] Mich wird keine Schwäche verzehren. Mich wird keine Angst lähmen. Wenn ich in Nokgorka sterben soll, so soll es sein.“
Der Pathos wird also groß geschrieben, das Konsequenzen ziehen aus den kritischen Gedanken nicht. Was mit denen passiert, die es doch wagen (oder aber auch gar nichts Unrechtes getan haben), sieht man im Epilog. Dort erzählt einer der Insassen des Sonderarbeitslagers SNK5184, einer Eishölle, dass man ihn als politischen Verbrecher gegen den Staat vor acht Jahren festgenommen habe und er bis heute nicht wüsste, was er Verbotenes getan haben soll.
Im Interview meint Christian Gossett zu „unserer“ Sicht: „Wir hier im Westen neigen zur Bemerkung, 'diese armen Russen hatten unter den despotischen Kommunisten zu leiden', doch wir begreifen nicht, dass diese selbstgerechten Mitleidsbekundungen uns nur dazu bringen, unsere eigenen patriotischen Fußfesseln nicht zu bemerken. Mayas Loyalität, die sie ihre Individualität kostet – für dieses Prinzip sind wir Menschen allesamt anfällig. Nach dem Fall der Sowjetunion ist es nunmehr unsere eigene hurrapatriotische Verblendung, die wir bemitleiden sollten. Wir hoffen, dass wir die Leser durch das Ergründen dieser Themen so aufscheuchen, dass die historische Lektion profund wird.“
So sehr sich Gossett mit der Historie auseinandergesetzt und sich seine eigenen Gedanken dazu gemacht hat, so wenig mag mich bis jetzt The Red Star in den Ansprüchen, die er in dieser Hinsicht an seinen Stoff hat, überzeugen. Unreflektiert wird einfach nur erzählt; sich auf die Seite der Soldaten gestellt, ohne ihnen wirklich nahe zu kommen. Trotz allem kann ich diesen Comic aber nur empfehlen. Zu wuchtig die Aufmachung, zu beeindruckend die Bilder, zu bedacht die Übersetzung und zu liebevoll die Zusammenstellung des Bandes mit sehr vielen Extraseiten wie Glossar, Skizzen, Entwürfen, Vorwort von Brian Michael Bendis, Interviews und Literatur, als dass man beim Kauf irgendwas falsch machen könnte. Einzig negativ aufgefallen ist ein doppelseitiger Zeitungsauschnitt, da ein kleiner Teil des Textes nicht lesbar ist durch die Bindung. Der zweite Band ist für August 2007 angekündigt, vielleicht wird mir dann die Richtung klarer, in die der Autor uns führen will.
Christopher:
Wie man weiß, ist der Kalte Krieg vorbei. Mit dem Ende der UdSSR zerfiel ein Großreich, das über ein halbes Jahrhundert lang die Geschicke der Welt mitbestimmte. Solch ein Zusammenbruch kann nicht ohne Folgen bleiben. Auf künstlerischer Ebene darf man The Red Star als eine dieser Folgen betrachten, als ästhetische Auseinandersetzung mit der UdSSR und ihrem Untergang. Ein historischer Comic ist The Red Star jedoch nicht. Vielmehr spielen die Autoren mit Historie und Fantasie. Es bleibt dem Leser überlassen, wie er die Einzelteile deutet und zusammensetzt.
Statt der UdSSR begegnet man in The Red Star den VRRS, den Vereinigten Republiken des Roten Sterns. Das Großreich liegt in seinen letzten Zügen. Die Provinz Al'Istaan hat die Gunst der Stunde genutzt und sich für unabhängig erklärt. Doch noch hat die VRRS genug Kraft, um zurückzuschlagen. Der Ausreißer soll zurück ins Glied geprügelt werden. So macht sich eine gigantische Armada von futuristischen Luftschiffen (so genannten „Wolkenbrütern“) auf, um dem aufsässigen Bergvolk klar zu machen, wer in der Republik das Sagen hat. In einem engen Tal kommt es schließlich zur entscheidenden Schlacht.
Beschrieben wird das Kriegsspektakel von der Magierin Maya Antares. Sie sitzt in einer Schwebebahn und unterhält sich mit dem Veteranen Vanya über die Schlacht vor Kar Dathras Tor, die inzwischen neun Jahre zurückliegt. In einem Rückblick erfährt der Leser von dem Angriff des Flagschiffs RSS Konstantinov, zu dessen Besatzung Maya damals gehörte. Die Isolatoren-Kammern feuerten Energiestrahlen, danach schoss aus den Kielbrütern ein Inferno auf den Feind. Zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als wären die Separatisten besiegt und als hätten die Vereinigten Republiken noch einmal ihren Herrschaftsanspruch durchgesetzt. Doch es sollte anders kommen. Der Hohepriester Kar Dathra der Ewige erhob sich und holte zu einem vernichtenden Gegenschlag aus.
Während Maya in einem Wolkenbrüter das Spektakel erlebte, kämpfte ihr Ehemann Markus als Kapitän einer Infanterie-Einheit am Boden. Er gilt seitdem als tot, gefallen in der Schlacht. Seine Leiche wurde jedoch niemals gefunden. Möglich, dass ihm etwas anderes widerfahren ist, etwas Übernatürliches. Mit der Schwebebahn fährt Maya am Jahrestag der Schlacht zu einem Soldatenfriedhof, um ihrem Ehemann zu gedenken.
Die Geschichte, die Christian Gossett und sein Team dem Leser erzählen, präsentiert sich in einer fabelhaften Mischung aus 2D-Zeichnungen und 3D-Computerkunst. Nicht nur die bildgewaltigen Wolkenbrüter, auch Panzer, Flammen und das Innere der Schwebebahn fügen sich wunderbar mit den Zeichnungen zusammen, ohne dass ein Bruch entsteht. Mit ein Grund dafür ist sicherlich die Ausgewogenheit der beiden Techniken und die gelungene Gesamtkolorierung. Cross Cult veröffentlicht den ersten Teil von The Red Star in einem dicken Band, im Format irgendwo zwischen amerikanischem Heft und franko-belgischem Album angesiedelt. Zu den ersten vier Kapiteln der Geschichte gesellt sich der One-Shot „A Worker's Tale“ sowie eine Menge Zusatzmaterial (Lexikon, Skizzengalerie, Interviews).
Pompös in der Form, pompös im Inhalt. The Red Star ist als Saga geplant, als opulente Geschichte, die Größe will und Größe sucht. In den Bildern, in der Sprache und in der Thematik schlägt sich dieses Vorhaben nieder. Im Prinzip lässt sich der Inhalt von The Red Star reduzieren auf das schwierige Verhältnis zwischen Mensch und System. Maya Antares steht als einzelne Person einem Staats- und Gesellschaftssystem gegenüber, dem sie nur noch bedingt loyal gesonnen ist. Sie ist tief im Inneren zerrissen. Auf der einen Seite ist sie von Herzen Patriotin, auf der anderen Seite hat das System ihrem Mann den Tod gebracht. Hätte man Al'Istaan nicht auch einfach friedlich aus dem Staatenbund entlassen können? Ihr Ehemann würde dann sicherlich noch leben.
Noch ist The Red Star nicht abgeschlossen. Mayas Entscheidung steht noch aus, ebenso das Schicksal der Vereinigten Republiken. Im August 2007 kommt der zweite Band „Nokgorka“ heraus. Dann erst lässt sich wirklich sagen, worauf die Geschichte mit ihren großen Gesten abhebt. Soviel ist jedoch jetzt schon klar: Die Autoren haben neben künstlerischen Ambitionen ein politisches Sendebewusstsein, mit dem sie westliches Lesepublikum erreichen wollen. Insofern ist The Red Star nicht nur eine Auseinandersetzung mit der untergegangenen UdSSR, sondern auch mit der danach allein zurückgebliebenen USA. Und ein Kommentar zur Weltordnung nach dem Kalten Krieg. Christian Gossett formuliert seine These so: „Die größte Ironie des 20. Jahrhunderts ist, dass sich die USA durch das Überdauern der Sowjetunion nicht etwa von irgendeinem Kampf befreit hätten, sondern nur ihre eigene tyrannische Natur offenbart haben.“ Es scheint fast so, als hätte da ein amerikanischer Comiczeichner starke Gefühle für die untergegangene Sowjetunion entwickelt, was ihn dazu bringt, Kritik am eigenen Land zu üben. Diese politische Intention ist momentan natürlich in bestimmten Kreisen schwer angesagt. Aber nicht vergessen: Abseits dieser großen, ausufernden Themen kann The Red Star auch einfach nur als Action-Comic gelesen werden.
The Red Star 1 – Die Schlacht vor Kar Dathras Tor
Cross Cult, Januar 2007
Text: Christian Gossett, Bradley Kayl
Zeichnungen: Christian Gossett, A.D. Coulter
Farben: Snakebite
168 Seiten, Hardcover, farbig; 26,- Euro
ISBN: 3936480494
Leseprobe auf Cross Cult
Special auf Splashcomics (Interviews, weitere Bilder, Gewinnspiel)
Bildquellen: Cover ComicCombo.de, Seiten aus der Leseprobe bei cross-cult.de