Rezensionen

The Last of Us – American Dreams

Cover von The Last of Us – American DreamsKult zieht Kult nach sich. Nach der Uncharted-Reihe hat das Entwicklerstudio Naughty Dogs mit The Last Of Us einen neuen Spiele-Blockbuster vorgelegt, der von Kritikern schon jetzt als Klassiker gehandelt wird. Der zugehörige Comic schickt sich derweil an zu zeigen, was aus dem simplen Konzept eines Begleitcomics alles herausgeholt werden kann, wenn man einmal einen Schritt zurücktritt und sich wirklich um die Möglichkeiten verschiedener Medien und Erzählkonzepte Gedanken macht.

Allein der Name Hicks auf dem Cover sollte aufhorchen lassen: Faith Erin Hicks hat sich über die letzten Jahre als Independentzeichnerin einen großen Namen gemacht und neben Webcomics wie Ice und Superhero Girl auch ein halbes Dutzend Comics veröffentlicht (dem Nicht-Kenner sei zum Einstieg besonders Friends With Boys ans Herz gelegt). Die Kanadierin ist nicht nur für die grafische Umsetzung verantwortlich, sondern hat auch zusammen mit Neil Druckmann, dem Creative Director von Naughty Dogs, die Story geschrieben. Herausgekommen ist eine vierteilige Comicreihe, die hierzulande bei Cross Cult als Softcover-Sammelband erscheint und deren Handlung zeitlich vor der eigentlichen Erzählung des Spiels angesiedelt ist. Ein Genuss des Comics auch als Nicht-Spieler ist damit ohne weiteres möglich. Aber wie viel Selbstständigkeit darf man erwarten?

Hintergrund: Vor fast 20 Jahren hat eine parasitäre Pilzinfektion um sich gegriffen und verwandelt nach und nach die Bevölkerung Amerikas in gefährliche Bestien, man hört sie hier und da schon das Z-Wort stöhnen. Die junge Ellie ist in dieser Welt aufgewachsen, und während sie im Spiel nur als vom Protagonisten zu beschützende Begleiterin erscheint, dreht sich der Comic um ihre Vorgeschichte. Genretypisch erlebt der Leser Ellies Suche nach ihrem Platz in einem postapokalyptischen Amerika. Zu Beginn des Comics wird sie in ein neues Schullager gebracht, welches von Soldaten vor den Infizierten und einer ominösen Widerstandsgruppe namens Fireflies beschützt wird.

Seite aus The Last of Us – American DreamsSchon auf diesen ersten Seiten erfahren wir mehr durch die großen staunend-entsetzten Augen Ellies als über die dargestellte Umgebung selbst. Der Schrecken zeichnet sich in ihrem Gesicht so deutlich ab, dass die Abgestumpftheit ihrer Mitmenschen umso drastischer wirkt. Im Hintergrund lungert die bange Frage, was man in dieser Welt noch für ein Leben leben will und ob es nicht doch womöglich eine Heilung gegen die Infektion gibt, wie es die Propaganda der Fireflies immer wieder behauptet. Damit wären auch alle Bauteile klassischer Endzeitgeschichten beisammen, und wer solche Lektüre nicht aus Prinzip dutzendfach verzehrt, wird sich nun fragen, was der Comic aus diesen Standardzutaten macht.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten tut sich Ellie mit der resoluten Riley zusammen, mit der sie kurze Zeit später aus dem Schullager flieht und die umliegende zerstörte Stadt erkundet, den verblassten Wundern einer untergegangenen Zivilisation nachhängt und sowohl mit Infizierten als auch den Rebellen in Konflikt gerät. Während der vier Kaptiel greifen grundsätzlich bewährte Erzählmuster, die aber im Detail zurückhaltender und frischer ausgestaltet sind als sonst oft üblich. Mehr dazu später.

Der Spielvorlage wird gerne der Vorwurf gemacht, mehr (semi-)interaktiver Film denn wirklich ein Spiel zu sein. Die Pfade sind fest vorgegeben, und man kann nur hier und da einen von mehreren Wegen wählen, um an den Gegnern vorbeizukommen oder sie doch zu töten. Diese Tendenz zur reduzierten Wahlfreiheit hat sich in den letzten Jahren in Videospielen verstärkt gezeigt. Statt im Ausleben eigener Projektionen gewinnen diese Spiele ihren Reiz durch die Reflektion des Spielers, das stete In-Frage-Stellen von eigenen Gewohnheiten und Vorlieben, und nähern sich damit merklich anderen Medien wie Büchern und Filmen an. Oft ist dabei der Weg selbst schon das Ziel, ähnlich wie es schon beim deutschen Videospiel Spec Ops – The Line oder Cormac McCarthys Buch und späterer Verfilmung Die Straße sowie bei Andrei Tarkowskis Stalker der Fall war.

Für den Comic ist diese Erzählweise weitaus weniger neu und nicht erst die The Walking Dead-Reihe hat sich in jüngerer Vergangenheit gewaltig darin ausgetobt. Vor diesem Hintergrund überrascht Faiths Endzeitgeschichte mit einer ungewohnt geschlossenen Handlung. Anstelle einer endlosen Reise gibt es hier doch ein, wenn auch für die Protagonisten unerwartetes, Ziel ihrer Reise.

Seite aus The Last of Us – American DreamsHicks zeichnet in ihrem gewohnten kantig-entspanntem Stil und schafft es mit einem bemerkenswerten Minimalismus, selbst im kleinsten Gesicht im Hintergrund noch greifbare Emotionen darzustellen, was zusätzliche Panels mit Nahansichten nur an wirklich wichtigen Punkten nötig macht. Die Action mag dafür dem ein oder anderen zu schlicht oder wenig packend erscheinen. Die Dynamik liegt in den Gesichtern und den Posen der Figuren, welche die Kanadierin oft mit einer einzigen Linie definieren kann.

Von der Unsicherheit über die Wut, die Faszination und Begeisterung bis hin zu dem letzten Zweifel und der Ungewissheit vor der Zukunft ziehen Hicks Bilder den Leser mit. Es wäre interessant zu wissen, wie der Prozess des Schreibens zwischen Hicks und Druckmann abgelaufen ist, denn immer wieder merkt man, wie sie eine Szene nah an bekannte Versatzstücke des Genres führen, nur um kurz davor dann doch etwas anderes zu zeigen. Anstatt die Annäherung zwischen Ellie und Riley mit verschiedenen Versatzstücken zu füllen, bleibt diese Geschichte auf das nötigste reduziert, und der gewonnene Platz wird genutzt, um weitere Aspekte des Überlebenskampfes in jener zerstörten Welt zu zeigen. In die gleiche Schiene fällt ein kurzer, aber wichtiger Handlungsstrang um ein Pferd, der auch später im Spiel aufgegriffen wird. Wenige Panels reichen hier aus, um das zu vermitteln, was sonst oft auf einige Seiten verteilt wird. Der Comic verzichtet darauf, alles bis auf den letzten Punkt auszuformulieren und arbeitet bodenständiger als viele andere Genrevertreter. Durch diese Reduktion schafft er es, dass die eigentliche Gewalt für den Leser noch greifbarer wird.

The Last of Us – American Dreams ist weniger ein Endzeit- als ein Coming-of-Age-Comic und gibt dem Szenario damit die menschliche Note zurück, die oft genug vergessen wurde, so dass Zombies und Endzeit meist nur noch für billige Unterhaltung herhalten durften.

Damit haben wir hier in der Tat alles andere als einen lustlosen Lizenzcomic, sondern den Versuch, auf beschränktem Platz die narrativen Standards neu abzuschmecken. Der Weg ist oft das Ziel, und was ist, wenn das echte Ziel unerwartet kommt? Auch dies kann funktionieren und liefert damit nebenbei einen Comic, der auch ohne Kenntnis des Computerspiels ausgesprochen lesenswert ist. Neben dem Ausbau der Figur Ellies spinnen Hicks und Druckmann eine kleine, feine Handlung um wichtige Fragen des Erwachsenwerdens, mit oder ohne Infizierte. The Last of Us – American Dreams wird vermutlich zu sehr im Schatten der Spielvorlage stehen, kann sich aber dennoch als Perle des Genres gegenüber der Konkurrenz sehen lassen.


Wertung
: 8 von 10 Punkten

Mainstream-Marke und Independentstar machen zusammen eine Genreperle mit Vorbildcharakter

 

The Last of Us – American Dreams
Cross Cult, Juli 2013
Text: Neil Druckmann, Faith Erin Hicks
Zeichnungen: Faith Erin Hicks
Übersetzung: Christian Heiss
112 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3864252037
Leseprobe

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Abbildungen © Faith Erin Hicks, der dt. Ausgabe: Cross Cult