Man stelle sich einmal vor: Statt eines Supermans, der schneller als eine Pistolenkugel fliegt, Meteoriten mit der bloßen Hand stoppt und Stahl per Hitzeblick schmelzen lässt, gäbe es 100 von der Sorte. Oder 1.000. Oder gar 100.000! Und genau Letzteres ist die Ausgangssituation des New Krypton-Crossovers, das sich durch die US-Serien Action Comics, Superman und Supergirl zog und inklusive dem dazugehörigen Special in den beiden vorliegenden Bänden gesammelt wurde.
Nachdem Superman die geschrumpfte kryptonische Hauptstadt Kandor aus den Klauen des Schurken Brainiac gerettet hat und sie am Nordpol platzierte, wo sie und ihre überlebenden Bewohner auf ihre ursprüngliche Größe wuchsen, hat die Erde auf einmal 100.000 Supermen und -women mehr. Doch mit den durch die gelbe Sonnenstrahlung erlangten Superkräften haben die heimatlosen Kryptonier keineswegs auch die liebevolle Beziehung ihres berühmten Artgenossen zu seiner adoptieren Heimatwelt übernommen. Stattdessen schwankt ihr Verhalten zwischen Naivität und Arroganz gegenüber ihrer neuen Umgebung und den als primitiv empfundenen Erdenbewohnern; die politische Führung, vor allem verkörpert durch Supermans Tante Alura, hat nur das Wohlergehen des eigenen Volkes, nicht jedoch das der neuen Nachbarn im Auge.
Es ist mit Sicherheit nicht einfach, mit einer Heldenikone wie Superman noch packende Geschichten zu erzählen. Eine derart mächtige, moralisch integre und charakterlich gefestigte Figur bietet kaum Schwachstellen, an denen man die Drama-Daumenschrauben ansetzen kann. Dem Autorentriumvirat Geoff Johns (Action Comics), James Robinson (Superman) und Sterling Gates (Supergirl) gelingt es hier dennoch, den Leser in den Bann ihrer Geschichte zu schlagen − vor allem, weil es neben übergroßer Action und verrückten SF-Elementen ganz gehörig menschelt. Durch den überraschenden Tod seines geliebten Ziehvaters Jonathan Kent ist der Mann aus Stahl nämlich nicht nur tief erschüttert, sondern auch einer seiner wichtigsten Anker in der Erdenkultur beraubt und nun hin- und hergerissen zwischen dem Verantwortungsgefühl für sein gebürtiges und sein Adoptiv-Volk. Überfordert von der Vermittlerrolle zwischen den Kulturen wird der ehemals ‚letzte Sohn Kryptons‘ immer mehr zum machtlosen Zuschauer des sich entfaltenden Dramas: Die selbstherrliche Vorgehensweise, mit der die kryptonischen Gäste ihre neue Heimat ’sicher machen‘ wollen, stößt nicht zuletzt auf entschiedenen Widerstand von Supermans Heldenkollegen von JLA und JSA; im Geheimen läuft währenddessen eine perfide Militäroperation gegen die Kryptonier an, geleitet von einem unerwarteten Überraschungsschurken. Hinzu kommen Supermans Erzgegner Lex Luthor und Brainiac in unerwarteten Rollen, eine mysteriöse ‚Superwoman‘ und arge Probleme für Supermans zwangsweise in der Phantomzone weilenden Freund Mon-El. Nicht zu vergessen die Leiden von Clarks – oder besser: Kal-Els – Cousine Kara alias Supergirl, die der Zwiespalt zwischen ihrer irdischen Adoptivheimat und ihrem kryptonischen Erbe noch härter trifft als ihren Vetter, befinden sich unter den überlebenden Kryptoniern doch ihre tot geglaubten Eltern.
Die Zusammenarbeit der drei Autoren funktioniert gut, die einzelnen Episoden lesen sich trotz vieler Handlungsstränge beinahe wie aus einem Guss, wobei James Robinson ein besonderes Händchen für die Nebenfiguren zeigt und selbst den eher obskuren C-Helden Guardian cooler und interessanter als je zuvor macht. In der vertretenen Zeichnerschar fallen vor allem Newcomer Renato Guedes mit seinem klar und frisch wirkenden Stil sowie Supergirl-Künstler Jamal Igle mit einer makellosen, im besten Sinne Old-School-Superheldenoptik positiv auf. Pete Woods‘ selbst getuschte Beiträge hingegen schreien nach einem besseren Inker, werden aber durch die Farben von Brad Anderson gehörig aufgewertet. Auch dessen Kollege David Curiel zeigt eindrucksvoll, wie viel die Arbeit eines guten Koloristen wert ist, wenn er Kandor mit hellen, blassen Farben in einem futuristischen Glanz erstrahlen lässt. Anstatt eine völlig neue Vision kryptonischen Lebens zu entwerfen, wurden hier übrigens Elemente aus den verschiedenen über die Jahre entstandenen Versionen Kryptons gemischt, was erstaunlich gut funktioniert.
Was an New Krypton inhaltlich vor allem Freude macht, ist der Umstand, dass die Autoren nicht auf eine einfache Auflösung setzen und am Ende der Geschichte mittels eines gewaltsamen Erzählkniffs (à la „Kandor war nur eine Illusion, die überlebenden Kryptonier sterben allesamt an einem mysteriösen Virus“ etc.) den bewährten Status Quo wiederherstellen. Nein, in diesem Fall wird Supermans bekannte Welt wirklich in krasser Weise auf den Kopf gestellt und verbleibt in diesem Zustand. Das macht den altgedienten Helden und sein Umfeld so interessant wie schon lange nicht mehr. Super!
Superman Sonderband 35 und 36: New Krypton 1+2
Panini Comics Januar/März 2010
Text: Geoff Johns, James Robinson, Sterling Gates
Zeichnungen: Pete Woods, Renato Guedes, Jamal Igle u.a.
Softcover, je 164 Seiten, je 16,95 Euro
Geglückter Start in eine neue Superman-Ära
Band 1 und 2 bei Comic Combo bestellen:
Abbildungen © Panini Comics