Handlungstechnisch ist der erste Band der Siegfried-Comictrilogie nah an den ersten Aufzug der gleichnamigen dritten Oper aus Richard Wagners Ring der Nibelungen angelehnt, doch so wie schon der Komponist mit verschiedenen Motiven aus der Edda und dem Nibelungenlied jonglierte und teils sehr frei interpretierte, variierte auch Alice Elemente, fügte eigene Ideen hinzu und machte sich den Stoff somit zu eigen. Im Mittelpunkt steht das Heranwachsen des Waisenjungen Siegfried unter der Ägide des grantigen Nibelungen-Schmieds Mime, der in Alices Version aussieht, als sei er geradewegs aus Jim Hensons Kult-Puppenfilm „Der Schwarze Kristall“ entsprungen. Mime hofft, den Jungen zum Drachentöter heranziehen zu können, der den Lindwurm Fafnir erschlägt, aber Siegfried erweist sich, wie zukünftige Helden das so tun, als recht eigenwillig. Weitere dramatis personae sind der auf Ehrfurcht gebietende Art gezeichnete Göttervater Odin, eine Horde Walküren und ein paar mehr oder weniger freundliche Wölfe.
Die Epik des Stoffes kommt dabei am stärksten in der Rahmenhandlung zur Geltung, in der eine der Walküren (ich vermute Brünhilde, die in der Sage noch eine wichtige Rolle spielt), die Norne Völva aufsucht, um mehr über Siegfried zu erfahren. Diesen Rahmen nutzt Alice, um dem Leser eine Kurzfassung der bisherigen Geschichte des legendären Rings aus Rheingold, der die absolute Macht verspricht, zu geben – unter anderem mit einem wunderschönen doppelseitigen Panorama, in dem das Schicksal des Golddiebs Fafnir beschrieben wird. Aber gerade bei derartigen Szenen wird schmerzlich klar, wie viel vom ursprünglichen Stoff Alice für seine Version eindampfte – beziehungsweise eindampfen musste. Angesichts der Tatsache, dass die Geschichte parallel zu den Siegfried-Comics auch in einer aufwändigen Zeichentrickfassung umgesetzt wird, war das wohl unumgänglich. Denn für einen Mainstreamfilm, der seine Produktionskosten wieder einspielt, braucht es eine geradlinige, für jeden nachvollziehbare Handlung, daher wohl auch die Konzentration auf den Helden Siegfried. Schade nur, dass dabei viel faszinierendes Sagengeflecht auf der Strecke bleibt. Hätte man dies nicht im Hinterkopf, würde einen dieser für sich allein stehend äußerst gelungene Comicband noch viel mehr begeistern. Aber das ist wohl die Kehrseite, wenn sich ein Zeichner eines derart bekannten epischen Stoffes annimmt.
Positiv gesehen könnte man aber auch sagen, dass Alex Alice es geschafft hat, einen leichten, für jeden verständlichen Einstieg in die Nibelungen-Sage zu schaffen, die zwar an manchen Stellen ein wenig an der Disney-Grenze schrammt (Siegfried und die Wölfe…), aber letztendlich auf Spur und im Großen und Ganzen den ursprünglichen Motiven treu bleibt. Und eigentlich regiert die Form hier sowieso über den Inhalt: Alice ist ein hervorragender visueller Erzähler, der an den richtigen Stellen zu Recht auf Text verzichtet und auf die Kraft seiner Bilder vertraut. Und die haben es in sich, sind mit ihren archetypischen Motiven und durch gekonntes Spiel mit Licht und Schatten und den Motiven Feuer und Eis oft kleine, urwüchsig-atmosphärische Kunstwerke für sich. Gleichzeitig bleiben sie aber durch Alices gefälligen Zeichenstil immer zugänglich und massenkompatibel. Auch wenn der erste Siegfried-Band ein wenig wie 'Nibelungen-Light' daherkommt, machen die Schauwerte und tolle Atmosphäre einiges wett und schaffen Lust auf die Fortsetzung „Die Walküre“.
So gut wie garantiert ist, dass man in dieses Comicalbum wegen seiner optischen Reize mehr als einmal reinschauen wird – vorzugsweise an einem stürmischen Schlechtwettertag, begleitet von dröhnenden Wagner-Klängen aus der Musikanlage.
Neben der 72-seitigen Normalausgabe ist für 39,80 Euro auch eine Special Edition mit 80 Seiten Bonusmaterial, darunter Entwürfen für den Siegfried-Film, und einer DVD mit dem Filmtrailer erhältlich.
Siegfried 1
Splitter, Mai 2008
Text und Zeichnungen: Alex Alice
72 Seiten, farbig, 32 x 23 cm, Hardcover
ISBN: 978-3940864185
15,80 Euro
Leseprobe
Bildquelle: splitter-verlag.de