Die Prämisse von Secret Invasion hat wirklich etwas: Heimlich, still und leise unterwanderten außerirdische Gestaltwandler aus dem Volk der Skrulls über einen längeren Zeitraum die irdische Heldengemeinschaft und den Geheimdienst SHIELD, um den Weg zu bereiten für die endgültige Unterjochung des blauen Planeten mit seinen ewig renitenten Bewohnern. Es wurde erfolgreich manipuliert und Zwietracht gesät, und nachdem der Superheldenregistrierungsakt und der darauf folgende Civil War einen tiefen Keil zwischen die Helden getrieben hatten, schien der richtige Zeitpunkt gekommen, um die eigentliche Invasion zu beginnen.
Ein weiterer, viel versprechender Aspekt von Secret Invasion bestand darin, dass es nicht wie so viele andere Comic-Großereignisse völlig abrupt aus dem Ideenhut gezogen, sondern auch in der realen Welt von langer Hand vorbereitet wurde. Über drei Jahre platzierte der notorische Vielschreiber Brian Michael Bendis Hinweise und Verdachtsmomente in den zahlreichen von ihm betreuten Serien, schrieb regelmäßig auftretende Figuren mit dem Wissen, dass es sich bei ihnen bereits um Skrullagenten handelt und bahnte somit der Invasion auch erzähltechnisch den Weg.
Auf dieser Grundlage wurde dann, begleitet von der großen „Who do you trust?“-Kampagne, fleißig Paranoia im Marveluniversum verbreitet und die Spannung gekonnt aufgebaut. Jeder konnte ein außerirdischer Schläferagent sein − von Wolverine bis Tante May. Ebenfalls ein interessanter Ansatz war die Wandlung der Skrulls von den typischen machthungrigen Alieneroberern zu religiösen Fanatikern, die nach Vernichtung ihrer Thronwelt Zuflucht im Glauben suchen und die Erde als in ihren Prophezeiungen verheißene Welt besiedeln wollen.
Der vorliegende Sammelband enthält mit der achtteiligen Miniserie Secret Invasion die komplette Haupthandlung, die man zwar für sich allein lesen kann, jedoch in Sachen Klarheit dazu gewinnt, wenn man auch die eng verknüpften Begleitgeschichten in Die Ruhmreichen Rächer sowie Spider-Man & Die Neuen Rächer kennt.
Der Beginn der Invasion wird dem aufgebauten Spannungsbogen auch noch ziemlich gerecht: Skrullagenten in wichtigen Schlüsselpositionen werden aktiv, die Orbitstation der Alienabwehr-Organisation S.W.O.R.D. wird zerstört, alle Technologie aus dem Hause Stark per Virus lahm gelegt − inklusive Raketenabwehrbasen des Superschurkengefängnisses The Raft, SHIELDs fliegendem Hauptquartier und natürlich Iron Mans Rüstung −, und die Fantastischen Vier werden ebenso effizient aus dem Verkehr gezogen wie Norman Osborns regierungstreue Thunderbolts. Und die Rächer (sowohl das offizielle Team als auch Luke Cages gesetzlose „Neue Rächer“) haben im Wilden Land alle Hände voll mit sich selbst und einer Raumschiffladung von Superheldenkollegen zu tun, die sowohl aus der Skrullgefangenschaft entkommene Originale als auch Kopien sein könnten. Die Invasoren setzen derweil nicht wie gewohnt auf die Auslöschung der Menschheit, sondern präsentieren sich der Erdbevölkerung als höher entwickelte Kolonialmacht, welche die zahlreichen Probleme der Erde lösen und sie als Teil des Skrullimperiums in eine goldene Zukunft führen will.
Ja, der Auftakt ist recht vielversprechend und macht neugierig auf den weiteren Verlauf der Geschichte. Denn eine derart perfide Invasion können die von gegenseitigem Misstrauen gelähmten Helden mal nicht einfach mittels einer großen Massenklopperei in New York stoppen.
Reingefallen! Natürlich können sie.
Allen ausgeklügelten Strategien zum Trotz läuft letztendlich alles darauf hinaus, dass die beeindruckende Superskrull-Armee der Möchtegerninvasoren von den vereinten Helden, zweckverbündeten Schurken und Howard the Duck(!) ordentlich vermöbelt wird. Im New Yorker Central Park. Und als Zugabe wird dann auch noch die Invasionsflotte von den flugfähigen Helden sozusagen per Hand aus dem Erdorbit geprügelt − kein Witz! Um ganz fair zu sein: Die Auflösung beinhaltet neben dem Gewalteinsatz der Metawesenallianz auch noch eine Erfindung, die Mr. Deus-ex-Machina, äh, Mr. Fantastic auf der holprigen Flucht aus seiner Folterhaft im All mal flugs zusammenbastelt. Aber das macht es nun nicht wirklich besser.
Sich als Leser von Superheldencomics generell über Derartiges zu beschweren, wäre natürlich etwas albern. Doch im Fall von Secret Invasion klaffen die als unglaublich clever verkaufte Storyprämisse und die platte Auflösung so weit auseinander, dass man sich zu Recht etwas verarscht fühlen darf.
Zum holprigen Holzhammer-Finale passt auch der völlig uninspiriert erscheinende „überraschende“ Heldentod während der Endschlacht, der offenbar einzig und allein dem Zweck dient, dem Ganzen die bisher fehlende tragische Note zu verleihen. Das funktioniert natürlich glänzend, wenn die betroffene Figur in der gesamten Geschichte vorher so gut wie keine Rolle spielte … Statt von ihrem Ableben in irgendeiner Weise berührt zu werden, kratzt man sich da als Leser nur am Kopf und wundert sich, warum eine bewährte Marvelheldin für einen so billigen Gimmick-Tod geopfert wird. Als Ausgleich kehrt dafür eine andere Figur von den Toten zurück bzw. war offensichtlich nie tot, was in Superheldencomics ja nichts Neues ist. Aber in diesem Fall widerspricht die Rückkehr so eklatant mehreren bereits erzählten Geschichten, dass Kurt Busiek wahrscheinlich schon an einer Miniserie sitzt, die das Paradoxon aufklärt.
Wie in manchem anderen Fall hätten die Zeichnungen hier wahrscheinlich einiges herausreißen können. Wenn die Bilder begeistern, verzeiht man ja schon mal eine eher maue Geschichte. Was Leinil Francis Yu hier abliefert, ist mit Sicherheit nicht übel, jedoch nicht genug, um Secret Invasion zu retten. Trotz des gelungenen Panellayouts und einiger schöner Einzelbilder will Yus Arbeit nicht so wirklich überzeugen. Große Heldenversammlungen scheinen einfach nicht seine Stärke zu sein, zu oft geraten die Gesichter zu holzschnittartig und maskenhaft, sind seine Figuren von einer merkwürdig leblosen Qualität und scheinen gar nicht wirklich aufeinander zu reagieren, wenn sie dasselbe Panel bevölkern. Und die ganz- oder doppelseitigen Schlachtenpanels wirken eher uninspiriert überfüllt denn beeindruckend. Man kann hier nur fantasieren, was ein auf derlei Comicszenarien abonnierter Zeichner wie George Perez oder Alan Davis wohl alles aus dem Material herausgeholt hätte. Immerhin hat man Yu mit Mark Morales einen sehr fähigen Inker zur Seite gestellt, dessen klare Linien einiges gutmachen. Auch Laura Martins gedeckte, stimmige Farben sind bis auf ein paar winzige Kolorierungsfehler ein Plus.
Was für den Zeichner von Secret Invasion gilt, gilt auch für den Autor: Es gibt, wie von Bendis gewohnt, ein paar wirklich gelungene Momente und toll geschriebene Szenen für einzelne Figuren. Aber das reicht nicht für eine Geschichte dieser Größenordnung, die so viel mehr Potenzial hat, als genutzt wird. Seine Qualitäten hat Brian Michael Bendis unzählige Male bewiesen, doch es waren immer seine kleinen, charakterisierungsstarken Geschichten, die begeisterten. Hätten er und Yu statt Secret Invasion ihre kreativen Energien für einen schmutzigen Großstadtkrimi oder eine einfühlsame Coming-of-Age-Story genutzt, ich hätte sie wahrscheinlich über den grünen Klee hinaus gelobt. Hier jedoch überwiegt die Enttäuschung.
Secret Invasion
Panini Comics, Januar 2010
Text: Brian Michael Bendis, Zeichnungen: Leinil Francis Yu
Softcover, farbig, 244 Seiten; 19,95 Euro
ISBN: 978-3866079878
Verdammt viel Lärm um fast nichts
Abbildungen aus der US-Version © Marvel Comics