Die Kindheit war wunderschön … So verklären wir diese frühen Jahre im Nachhinein später zumindest gerne. Aber war damals wirklich alles so perfekt? Kinder können grausam zueinander sein; erst recht, wenn man das Gefühl hat oder den Eindruck vermittelt bekommt: Du bist nicht wie wir, du gehörst nicht zu uns.
Die 1980 in West-Berlin geborene Comiczeichnerin, Autorin und Illustratorin Daniela Schreiter schildert in ihrem autobiographischen Comicdebüt Schattenspringer ihre Kindheit, Schulzeit und den Beginn ihres Studiums. Daniela ist Asperger-Autistin; was hinter diesem Begriff steht, wird im Vor- und Nachwort des Comics erläutert: Es handelt sich um eine Behinderung, um eine Entwicklungsstörung. Dass damit nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile verbunden sind, war kürzlich erst wieder in den Medien, etwa in der WDR-Sendung Quarks & Co., zu sehen. Autisten haben oft Schwierigkeiten, Menschen in die Augen zu sehen, dafür erkennen einige von ihnen Details, die anderen Menschen entgehen – ein riesiger Vorteil beim Entdecken von Fehlern in Zahlenreihen, etwa beim Programmieren. Aber nicht jeder Autist ist ein Supergenie, wie er im Film Rain Man oder in der TV-Serie The Big Bang Theory zu sehen ist. Jeder Autist ist ein Individuum, und die Formulierung „unter Asperger leiden“ ist dabei diskriminierend – das ist ein wichtiges Anliegen von Daniela Schreiter.
Das Cover und auch der Inhalt von Schattenspringer sind von einer Lieblingsgeschichte Schreiters beeinflusst: von Der kleine Prinz (1943) von Antoine de Saint-Exupéry, dem berühmten illustrierten Buch für Kinder und Erwachsene, in dem der Protagonist den Planeten Erde aus Sicht eines Kindes betrachtet, das sich wie ein Außerirdischer fühlt, fremd und teils verwirrt von den seltsamen Gebräuchen der Einheimischen.
„Ihr seid mir zu kindisch“, sagt die kleine Daniela in einer Szene und merkt dann, dass sie doch selbst ein Kind ist. Vieles, was ihr passierte, könnte auch anderen passieren, etwa Menschen mit Depressionen, Rollstuhlfahrern, Migranten, Kindern, deren Eltern beim Kauf der neuen Turnschuhe und Smartphones nicht mithalten können oder wollen und so weiter – es gibt so viele Wege, von der Norm abzuweichen, und darum geht es in diesem Comic ja vor allem, wie der Untertitel bereits ankündigt: „Wie es ist, anders zu sein“.
Zeichnerisch erinnert einiges an Schloggers Panini-Debüt danach und an Flix. Die Zeichnungen sind meist niedlich und drollig. Wenn die Figuren laut aufschreien, gemahnt das an Szenen aus den Peanuts. An einigen Stellen zeichnet sich Daniela mit Antennen auf dem Kopf, um zu signalisieren, dass sie sich wie eine Außerirdische fühlt, so wie wir es von einigen meist humoresken Darstellungen von Marsmännchen kennen.
Die Stimmung schwankt zwischen heiter, amüsiert, betrübt und sachlicher Beobachtung des Verhaltens ihrer Mitschüler. Schreiter verdeutlicht sehr gut, wie immens die Reizüberflutung für sie ist, denn ihr Gehirn kann nicht zwischen wichtig und unwichtig filtern, somit ist für sie vieles schwieriger als für andere, aber manches eben auch leichter: So ist sie eine Einser-Schülerin, findet es aber unerträglich, wenn Stoff zu nah an ihrer Haut liegt. Ein Mädchen, dem Berührungen weh tun – Superhelden-Leser denken spontan an Rogue von den X-Men, und tatsächlich hält Daniela den Lesern ein Heft mit Marvels Helden entgegen.
Das Cover und die Inhaltsangabe ließen mich einen schweren, vielleicht auch süßlichen Stoff erwarten, doch dieser Eindruck wurde bereits nach den ersten Seiten korrigiert. Der Comic ist nicht belehrend, nicht deprimierend, sondern wunderbar leicht und stellenweise ausgesprochen lustig erzählt. Wenn Daniela Wortspiele wörtlich nimmt und ihr die Schwalbe, die angeblich einen Sommer machen soll, dafür „einen Vogel zeigt“, kann man laut auflachen!
Wohl jeder Leser, Autist oder nicht, wird in diesem Comic Elemente aus der eigenen Schulzeit wiederentdecken. Außerdem erweitert Daniela den Horizont der Leser, denn viele ihre Ansichten sind originell und erfrischend – wie bei manchen psychologischen Bildern, bei denen unsere Erwartungshaltung bestimmt, was wir darauf erkennen.
Statt abstrakter Zeitungsartikel und TV-Berichte über Inklusion Schattenspringer lesen – und man ist dem Verständnis dieses Themas einen riesigen Schritt näher gekommen. Ein ebenso pädagogisch wertvoller, zutiefst humanistischer als auch extrem kurzweiliger Comic. Eine Fortsetzung des Comics, dessen Erstauflage bereits ausverkauft ist, ist für 2015 geplant.
Wertung:
Tröstlich, berührend und lustig
Schattenspringer – Wie es ist, anders zu sein
Panini Comics, März 2014
Text und Zeichnungen: Daniela Schreiter
Extras: Einleitung und Erläuterung des Asperger-Autismus von Benjamin Falk, Vorwort von Daniela Schreiter
160 Seiten, schwarz-weiß mit 9 Farbseiten, Hardcover
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3-86201-950-2
Leseprobe
Abbildungen: © Daniela Schreiter/Panini Comics
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