Altmeister Jodorowsky hat wieder zugeschlagen. Man fragt sich glatt, ob der Mann noch etwas anderes tut, als zu schreiben. Gerade in letzter Zeit hat er einen so hohen Output (Der schreckliche Papst, Borgia), dass man befürchten könnte, ihm würden bald die Ideen ausgehen.
Auf den ersten Blick scheint der erste Band der neuen Serie Sang Royal auch nicht allzu viel herzugeben: der König eines fiktiven Landes wird in einer Schlacht verwundet. Damit seine Männer nicht entmutigt werden, trägt er seinem Cousin, der ihm sehr ähnlich sieht, auf, an seiner Statt in die Schlacht zurückzukehren. Doch der Cousin lässt den König sterbend zurück und ergreift die Macht. Der König überlebt, verliert aber sein Gedächtnis und verbringt die nächsten Jahre bei einer entstellten Schäferin. Als er sein Gedächtnis wieder erlangt, macht er sich auf den Weg, seinen Thron zurück zu fordern.
So weit, so alt, so bekannt aus tausenden Mythen, Legenden, Märchen, Filmen, Büchern, etc. Bereits die ersten Innenblätter geben noch vor den ersten Bildern an, wohin es geht: rot wie Blut und schwarz wie die Seelen der Figuren. Und so ist auch der Band: blutig und düster, voller expliziter Brutalität, Liebe, Verrat, Inzest, Vergewaltigung, Nekrophilie, Folter und Hass. Allein schon die ersten Panels stimmen den Leser ein, wenn ein Krieger durch ein Schwert halbiert wird. Taucht auf den ersten Seiten der Verdacht auf, dass hier ein uraltes Thema durch Sex und Brutalität „aufgepeppt“ werden soll, so zeigt sich aber bald, dass Jodorowsky etwas gänzlich anderes beabsichtigt hat und dieses hervorragend umsetzt.
Ohne jetzt allzu viel zu verraten, wird alles, was der Leser anhand des Stoffes erwartet, schon in der ersten Hälfte erfüllt, also nicht Thema der Serie sein. Vielmehr geht es Jodorowsky um das Königtum, beziehungsweise den Adel an sich. Der Titel Sang Royal, also königliches Blut, spricht dem Inhalt Hohn, denn hier geschieht eher eine Demystifizierung des Adels. Königlich ist gar nichts an diesem Blut, es ist vielmehr schwarz wie die Hölle. Alle Fantasy-, History- oder Königsklischees werden von Jodorowsky zerstört. Edel ist hier nichts. Alles was zählt, sind Macht und die Symbole, Charaktere und Personen sind unwichtig. An einer Stelle sagt die Königin, die mit dem Thronräuber lebt und jetzt ihren richtigen Mann erkennt: „Alfred [der Cousin] wurde Alvar [der rechtmäßige König], wie es jeder Mann geworden wäre, der als Monarch gewandet und vom Volk geheiligt zu mir gekommen wäre. Groß oder klein, hager oder fett, blond oder braun, er hätte mich zur seinen gehabt. Ich bin keine Frau. Ich bin eine Königin!“ Dieser kurze Monolog fasst das zusammen, worum es Jodorowsky hier geht: das ganze Leben als Symbol. Um den daraus entstehenden Druck ventilieren zu können, unterdrücken die Adligen das Volk. Wahrlich „königliches Blut“.
Die Bilder sind ebenso faszinierend wie die inhaltliche Ebene. Ost trifft West. Der Zeichenstil von Dongzi Liu ist eindeutig vom Manga beeinflusst, was besonders deutlich bei den Actionszenen und bei den Figuren ist. Dennoch zeigen sich ebenso viele frankobelgische Einflüsse im Aufbau der Zeichnungen und der Panels. Manchmal gibt es aber gerade in den Actionszenen leichte perspektivische Fehler und Ungenauigkeiten. Die Farben sind aber hervorragend und unterstützen in ihrer naturalistischen Tönung die düstere Stimmung des Bandes. So wird der Leser in das Setting gezogen und die Verbindung zwischen Manga und westlicher Tradition ist sehr gelungen.
Was manche Leser, abgesehen von der Brutalität und der expliziten Erotik, noch abschrecken mag, ist, dass keine der Figuren sympathisch rüberkommt. Normalerweise würde der Leser seine Sympathien dem entmachteten König schenken, aber auch der ist ein Schurke. Hier gibt es keinen Kampf Gut gegen Böse, sondern nur den Konflikt zwischen Schwarzschattierungen. Und damit ist der Band eher an die klassische antike Tragödie angelehnt als an Klischees der Populärkultur.
Wertung:
Auf den ersten Blick eine uralte Story, aufgepeppt mit viel Blut und Sex, die sich als vielschichtiger und verstörender Comic entpuppt. Ein kleines Meisterwerk eines großen Autors.
Sang Royal 1 – Gottlose Hochzeit
Ehapa Comic Collection, Februar 2011
Text: Alexandro Jodorowsky
Zeichnungen: Dongzi Liu
55 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 13,95 Euro
ISBN: 978-3-7704-3418-3
Abbildungen © Dongzi Liu/Glénat, der dt. Ausgabe: Ehapa Comic Collection