Rezensionen

Rex Mundi 3 – Die verlorenen Könige

 Rex Mundi ist historischer Unsinn von der ersten bis zur letzten Seite. Allein die Idee, bestimmte historische Ereignisse hätten einfach nicht stattgefunden, ist vollkommen absurd. Als Beispiele seien nur die Reformation und die Französische Revolution genannt. Beide haben in dem Mystery-Comic von Arvid Nelson und Eric J keinen Platz. Dabei gibt es genug Untersuchungen, die zeigen, dass beide Ereignisse strukturelle Ursachen hatten, also keine Zufälle waren, sondern zwangsläufig geschehen mussten, so oder so. Es sind Weichenstellungen in der europäischen Geschichte, die nicht so einfach gestrichen werden können, ohne heftigen Unglauben zu hervorzurufen.

Im Fahrwasser ihrer fundamentalen Eingriffe entfalten Autor und Zeichner ein Europa des Jahres 1933, das es nie gab: Die katholische Kirche ist noch immer mächtig, das Heilige Römische Reich existiert noch immer und die Iberische Halbinsel wird noch immer von Moslems beherrscht. Das Ganze mischt sich dann mit historischem Bruchwerk anderer Epochen: Ein Vielvölkerstaat auf dem Balkan sorgt für Unruhe, die Nationalstaaten (hier mit Fokus auf Frankreich) formulieren selbstbewusst-rüpelhaft ihre Weltmachtansprüche und mittendrin betritt Winston Churchill plötzlich die Spielfläche der internationalen Politik. Das Ganze liest sich wie die Collage eines Kindes, das seine liebsten Versatzstücke der europäischen Politikgeschichte genommen und neu arrangiert hat, ohne Rücksicht auf Verluste.

 In dieser Welt lebt Doktor Julien Saunière, Arzt, Wahrheitssuchender und Hauptfigur von Rex Mundi. Seit sein Freund Pater Marin ermordet wurde, hat sich Saunière immer tiefer in einem Ränke- und Intrigenspiel verlaufen, das bis in die höchsten Häuser Frankreichs hinaufreicht. Aber er gibt nicht auf. Er will die Wahrheit herausfinden. Er will wissen, wer seinen Freund getötet hat und was der Grund dafür war. Die Wurzeln der Ereignisse reichen bis weit zurück in die Vergangenheit, als die Merowinger von den Karolingern vom Thron gestoßen wurden, vielleicht sogar noch weiter, bis zur Kreuzigung Christi. Hat die Kirche Dreck am Stecken? Ist Louis XXII. der rechtmäßige König von Frankreich? Ist der Heilige Gral ein Gefäß oder etwas anderes? Fragen über Fragen, die im zweiten Band von Rex Mundi für reichlich Verwirrung sorgten. Im dritten Band werden einige davon beantwortet, insbesondere was es mit dem Wahlspruch der Familie Lorraine, „Et in arcadia ego“ auf sich hat.

Es muss leider einmal gesagt werden: Die Zeichnungen von Rex Mundi könnten besser sein. Eric Js Leistung bei der Entwicklung der Serie in allen Ehren, aber seine Figuren wirken hölzern, anatomisch nie ganz korrekt und immer dann um einige Jahre zu alt, wenn der Schattenwurf im Gesicht mal wieder nicht richtig funktioniert hat. Die Ausstattung seiner Bilder kommt ebenfalls etwas sperrig daher. Viele gerade Linien wirken wie mit dem Lineal gezogen. Zum Glück tut sich in dieser Hinsicht etwas. Rex Mundi – zuerst bei Image, dann bei Dark Horse – wechselte im Laufe der Jahre nicht nur den Verlag, sondern auch den Zeichner. Insgesamt haben drei davon an dem aktuellen Band mitgearbeitet: Eric J (Kapitel 1 und 2), Jim di Bartolo (Kapitel 3 und 4) und Juan Perreyra (Kapitel 5 und 6). Ob der Wechsel von Eric J zu Bartolo wirklich eine Verbesserung war, sei einmal dahingestellt. Viel tut sich da nicht. Immerhin sitzt gegen Ende bei Perreyra die Anatomie der Figuren, wenngleich er mit seinem glatten Strich den Superhelden gefährlich nahe kommt. Wäre Rex Mundi ein deutscher Comic, ich hätte mir Reinhard Kleist, Piwi oder Isabel Kreitz als Zeichner gewünscht.

 Aber das Artwork ist ja nicht alles. Der grafische Teil von Rex Mundi funktioniert, trotz der hier genannten Schwächen, ist aber kein Höhenflug. Inhaltlich sieht es dagegen schon anders aus. Wie bereits angedeutet, müsste eigentlich jeder Leser die Geschichte nach wenigen Seiten aus der Hand legen. Historischer Unsinn von der ersten bis zur letzten Seite. Aber unglaubwürdig? Arvid Nelson entwirft in Rex Mundi eine alternative Realität, die so detailliert und weit gedacht ist, dass der Leser sie glaubt. Er hat nicht einfach nur Ereignisse aus der Geschichte ausgeschnitten, sondern er hat sie ersetzt, modifiziert und umgewandelt, um die entstandenen Lücken zu schließen. Man hat den Eindruck, dass es bei Rex Mundi ein vollständig entwickeltes politisches System gibt, sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik Frankreichs betreffend. Geschichte, Religion und das politische Tagesgeschehen gehen fließend ineinander über, ohne konstruiert zu wirken. Nelson hat bei seiner Collage aus historischen Versatzstücken ordentliche Arbeit geleistet. Vermutlich wollte er seinen Lesern mehr bieten, als einen eilig dahingeschriebenen Abklatsch von Dan Browns Da Vinci Code.

Wer Rex Mundi in Ruhe genießt und nicht schnell durchblättert wie einen Superhelden-Comic, wird schnell in eine fabelhaft ausgedachte Welt eintauchen, die unserer ganz ähnlich ist. Und dort bekommt er die Gelegenheit, etwas zu begreifen: Dass nämlich trotz aller strukturellen Vorbedingungen der Mensch immer noch der Herr seines eigenen Handels ist. Nichts muss zwangsläufig geschehen, es gibt nur bestimmte Wahrscheinlichkeiten. Reformation, Französische Revolution… Eine Menge von dem, was heute Vergangenheit ist, stand nicht von vornherein fest, sondern war das Resultat von Entscheidungen. Und hier kommt Rex Mundi plötzlich in der Gegenwart an. Denn über die Zukunft entscheiden wir — jetzt.

Rex Mundi 3 – Die verlorenen Könige
Ehapa Comic Collection ,November 2007
Text: Arvid Nelson
Zeichnungen: Eric J, Jim di Bartolo, Juan Perreyra
Originalausgabe: Rex Mundi #12-17 (Image, Sept 2004 – März 2006)
176 Seiten; Hardcover; vierfarbig; 20 Euro
ISBN 9783770431724

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