Es ist schon eine seltsame Welt, in der eine subversive Fernsehserie wie The Simpsons den Mainstream derart infiltrieren kann, dass die Subversion vom Mainstream nicht mehr zu unterscheiden ist. Eben noch als Attacke auf gesellschaftliche Absurditäten gedacht, war die Reihe auch schon von der Gesellschaft aufgesaugt und zum Milliarden-Dollar-Franchise aufgepumpt. Über 20 Fernsehstaffeln, ein riesiger Mitarbeiterstab, Millionengagen, Werbeverträge, Comics, verschwenderische Massen an sinnlosem Merchandising sowie Unmengen an wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen Büchern darüber sind das bisherige Resultat. Was richtet das eigentlich in den Köpfen der Verantwortlichen an? Und was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn das defätistische Denken der Simpson-Familie auf eine derart große Resonanz stößt und die Identifikation mit Antihelden wie Homer und Bart von Kindern schon mit der Muttermilch aufgesogen wird?
Matt Groening scheint dieser Zustand selbst nie ganz geheuer gewesen zu sein. Das erklärt auch, weshalb er die Arbeit an seiner Comicstrip-Reihe Life in Hell nie aufgegeben hat – erst 2012 erschien die vorerst letzte Folge. Diese Stripreihe lief bereits seit den späten 70ern und war ursprünglich nur zum privaten Vergnügen für Groening und seine Freunde gedacht, ehe sich ein größerer Erfolg einstellte. Im Laufe der 80er Jahre hat sich die Anzahl der Zeitungen, die den Strip veröffentlichten, allerdings schnell vervielfacht. Love is Hell war der erste Sammelband, den Groening in den USA veröffentlichte, und nun startet auch Reprodukt mit der Veröffentlichung von Groenings frühen Arbeiten. Es werden hoffentlich auch die Fortsetzungen mit Titeln wie School is Hell, Work is Hell oder Childhood is Hell bald folgen, denn die Übersetzung der vorliegenden Ausgabe ist durchgehend inspiriert und witzig.
Die Lektüre versetzt einen zurück in eine Welt, in der die Verhältnisse noch klar voneinander getrennt sind. Matt Groenings Underground-Humor blickt von sehr weit außen auf die Gesellschaft und ist noch völlig unbefleckt von der schrillen Massenkultur. Liebe ist die Hölle bietet einen ebenso bösen wie entlarvenden Blick auf zwischenmenschliche Mechanismen und den Kitt, der uns zusammenhält. Kernstück des Bandes ist ein Ratgeber zu Beziehungsfragen, der dem Leser in Form von Fragebögen, Tortendiagrammen, Ratgebern, Wimmelbildern, fingierten Werbeflyern oder auch ganz klassischen Cartoons stets aufs Neue sehr treffend den Spiegel vorhält. Man erfährt unter anderem, wie viele Sorten von Liebe sich tummeln, in welche Typologien man Freunde und Freundinnen unterscheiden kann, welche Arten von Beziehungen es gibt und was die 22 Stadien eines gebrochenen Herzens sind. Durch die Fallbeispiele wird man dabei von einem neurotischen Hasenpärchen geführt, das schon deutliche Züge und Charaktereigenschaften der Simpsons trägt.
In manchen Strips erschlägt Groening einen förmlich mit Text, dann wieder sprechen allein die Bilder. Geprägt vom Underground-Comic hat Groening einen minimalistischen Stil entwickelt, der oft mehr nach Schülerzeitung als nach Hollywood aussieht, gerade deswegen aber bestens geeignet ist, seinen fiesen Humor zu transportieren. Man kann sich gut vorstellen, dass Cartoonisten wie Scott Adams (Dilbert) oder Randall Munroe (xkcd) von diesen Arbeiten beeinflusst worden sind.
Wertung:
Matt Groenings Humor wirkt in seiner ursprünglichen Form wie aus einem Paralleluniversum, in dem es keine Simpsons gibt. Entwaffnend genial.
Liebe ist die Hölle
Reprodukt, Dezember 2013
Text und Zeichnungen: Matt Groening
Übersetzung: Matthias Wieland
48 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 12,00 Euro
ISBN: 978-3-943143-47-8
Leseprobe
Abbildungen: © Matt Groening, der dt. Ausgabe: Reprodukt