Endlich legt Benoit Sokal den nächsten Teil von Kraa vor. Ursprünglich auf zwei Bände angelegt, ist der Stoff mittlerweile zu einer Trilogie herangewachsen. Aber auf den ersten Blick hat das der Serie nicht sonderlich gut getan. Denn dem grandiosen Einstieg in die Trilogie von Kraa kann der zweite Band nicht ganz das Wasser reichen. Das liegt vorrangig daran, dass hier inhaltlich kaum eine Entwicklung stattfindet, sondern nur der Status Quo, der am Ende des ersten Bandes vorlag, genauer dargestellt wird.
Die selben Schurken hantieren immer noch und versuchen Reichtum und Macht auf Kosten der Natur und der Menschen zu erreichen. Rücksichtlos, voller Verachtung, streben sie einzig nach Profit. Da soll ein Staudamm gebaut werden, welcher das heilige Tal der Indianer bedroht. Während die Arbeiter sich im unwirtlichen Wetter abmühen, eine Straße in der Wildnis anzulegen, inklusive schwerer Unfälle, leben der Indianerjunge Yuma und sein Adler in einer starken Symbiose, die nicht ganz ungefährlich ist. Hier setzt Sokal eines seiner zentralen Schaffensmotive, das Anthropomorphisieren von Tieren, fort. Aber diese Symbiose zwischen Mensch und Tier birgt auch Gefahren, und zwar nicht nur die Eifersucht des Adlers auf Yuma. Denn es entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte. Und die Stadt, die aufgrund des Raubtierkapitalismus errichtet wird, steht auf tönernen Füßen.
Sokal schildert also nur, was unmittelbar auf die Geschehnisse des ersten Teils folgt. Die Unzufriedenheit der Arbeiter aufgrund ihrer Ausnutzung und Rechtlosigkeit, Korruption, Rassismus, Gewalt, et cetera. All das war schon im Auftaktband vorhanden, und so enttäuscht der zweite in einem gewissen Sinne. Aber er ist immer noch stark. Der Raubtierkapitalismus auf Kosten der Natur wird hier noch deutlicher herausgestellt. Der Mensch ist dabei, sich die Natur Untertan zu machen. Allerdings ohne Respekt und im starken, vielleicht irrigen Glauben, dass die Technik alles beherrschen kann. Auch Leben und Sicherheit haben im Angesicht des Kapitals keine Chance, es zählen nur Profit und Macht.
Doch im Grunde sind sich der freie Kapitalismus und die Natur sogar ähnlich, schließlich zählt immer nur das Gesetz des Stärkeren. Der Schwächere wird gefressen. Indem Sokal diese beiden Ebenen deutlich macht, verhindert er eine Glorifizierung der Natur, ohne sie mit dem Kapitalismus gleichzeitig zu verdammen. Er vermeidet eine klare Gut-und-Böse-Sichtweise, sondern sieht immer auch die Schattenseiten. Der Held Yuma und sein Adler sind ebenso brutal wie die Schurken, wenngleich deren Motive (Rache und das Beschützen der Natur) edler wirken. Aber diese Symbiose ist gefährlich, da der eine eben ein Mensch und der andere ein Tier ist. Die Instinkte drohen die Oberhand zu gewinnen. Stellenweise erinnert das an das Dschungelbuch von Kipling, wo Mowgli zwischen Tieren und Menschen hin und her gerissen ist und in diesem Zwiespalt alle in die Katastrophe führen könnte. Die Natur schlägt hier zurück und zeigt den Menschen die Grenzen der Machbarkeit auf. Merkwürdigerweise sind die beiden Hauptpersonen, Yuma und Kraa, kaum zu sehen und ein Großteil der Handlung beschränkt sich auf die Arzthelferin und die Entwicklungen in der Stadt.
Die Helden werden ziemlich an den Rand gedrängt. Im Gegensatz zum ersten Band arbeitet Sokal weniger mit gedeckten Farben. Die Panels auf der Baustelle und in der Stadt versinken zwar quasi mit ihrem Braun-und-Schwarz-Tönen im Dreck, aber die Naturschilderungen sind sehr klar gezeichnet und weisen manchmal ironische Elemente auf (zwei sich jagende, paarungswillige Biber, während über den Frühling geredet wird). Die wunderschönen, sehr stimmungsvollen Zeichnungen haben zwar manchmal leichte Perspektivfehler, die man aber aufgrund der überwältigenden Gemälde gerne ab und zu in Kauf nimmt.
Wertung:
Immer noch stark, doch leider kommt die Handlung nicht recht voran.
Kraa 2 – Der Schatten des Adlers
Splitter Verlag, Juni 2012
Text und Zeichnungen: Benoit Sokal
Übersetzung: Resel Rebirsch
64 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3-86869-261-7
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Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag