Zwei sehr unterschiedliche Comics übers Kochen: Das erste ist eher unterhaltsam und nahbar, das zweite etwas distanzierter und ganz dem Sujet Sterneküche verpflichtet. Trotzdem sind beide ein Genuss. (Entschuldigung, der musste raus.)
Guillaume Long schreibt seit 2009 für Le Monde das Blog À boire et à manger, und das Buch mit dem fiesen deutschen Titel Kann denn Kochen Sünde sein? ist eine gut zusammengestellte Sammlung dieser Blogeinträge. Warum der Titel fies ist? Weil das Buch zwei Seiten lang Long dabei zuschaut, wie er sich abmüht, einen anständigen Titel für das Buch zu finden. Von „Die Küche und ich“ über „Nur für Gourmets“ bis zu „Die kulinarischen Memoiren eines jungen Mannes von heute“ (wobei Long da selbstkritisch per Sprechblase anmerkt: „Vielleicht ’n bisschen dick aufgetragen“) mäandert er hin und her, bis er sich fragt, worum es in seinem Buch denn eigentlich gehen soll. Also schreibt er hin: Trinken. Essen. Sagt sich dann nölig: „Ich denk mir den Titel ein andermal aus.“ Und auf diese Seite folgt dann die Titelseite, auf der im französischen Original wunderschön pointiert steht: À boire et à manger – und im Deutschen eben die beknackte Frage nach der Sünde, die mit dem Rest des Buchs nichts zu tun hat. Ich ahne, dass da die Marketingabteilung einen Treffer landen wollte. Nur doof, dass damit der erste Witz des Buchs schon mal verhunzt wurde.
Ansonsten gibt’s aber nichts zu meckern an der Übersetzung von Hans Kantereit, der bei einem Löwenzahnsalat entspannt „Leck mich am Arsch, ist das bitter!“ raushaut und auch sonst den eher umgangssprachlichen Kumpelton Longs wunderbar trifft. Die Geschichten selber bieten wie ein gutes Menü eine schöne Abwechslung: Mal zeichnet Long Rezepte der Saison (das Buch ist grob in die vier Jahreszeiten unterteilt), dann führt er uns durch seine liebsten Futterstellen in Budapest und Venedig, er erzählt uns, wie man richtig guten Kaffee macht, und außerdem trifft er Florian, einen Koch, mit dem er eigentlich schwimmen gehen wollte, dem er aber lieber Löcher in den Bauch fragt. Die Storys mit Florian waren meine liebsten im Buch, weil hier so schön der blubberige Gourmetfanboy Long und die „Was willst du von mir, das ist doch nur ein Job“-Wortkargheit vom Koch aufeinandertreffen:
„Hast du einen Trick beim Einkaufen von Fisch?“
„Frisch.“
„Ah, TOLL! Und wie macht man perfekte Nudeln al dente?“
„Du probierst.“
„UUU. Und für einen Schokokuchen?“
„Schwarze, keine weiße.“
„UUAAA … dich schickt der Himmel.“
In der Küche mit Alain Passard von Christophe Blain liest sich ganz anders. Kein Wunder, denn Passard ist Sternekoch, und der FAZ-Genusspapst Jürgen Dollase stand Verlag und Übersetzer Ulrich Pröfrock laut Widmung hilfreich zur Seite. Deswegen geht es hier auch weitaus weniger launig zu, sondern präzise und professionell. Blain schaut dem Koch, seinen Angestellten und in einem Kapitel auch seinem Gemüsebauer über die Schulter und schreibt schlicht auf, was er sieht, riecht, lernt.
Die Rezepte haben ein deutlich anderes Kaliber als die schnelle Tagesküche bei Long, sind aber trotzdem nachkochbar. Noch ein Unterschied: Sie erscheinen meist doppelt in Text- und Comicform, während man sich bei Long beim Nachkochen durch seine Sprechblasen wühlen muss. Schon von der Optik her möchte Blains Werk also mehr als Longs: Es will nicht nur unterhalten, sondern auch als kleines Kochbuch dienen. Trotzdem bleibt es natürlich ein Comic, und die Beweglichkeit der Bilder, die mich persönlich schon bei Blains Quai d’Orsay begeistert hat, funktioniert auch hier. Man erfährt außerdem Spannendes über die Kunst des Kochens; meine Faszination für Gemüse ist jedenfalls nach dem Buch deutlich größer als vorher, und der Respekt vor den ausgezeichneten Zutaten schwingt in jedem Bild mit.
Beide Bücher schaffen es, ihrem eigenen Anspruch zu genügen, aber eine Sache hat mich bei beiden irgendwann doch genervt: Man bekommt das Essen nicht zu sehen. Ja, wir haben Zeichnungen und Farbe, aber gerade ein so außergewöhnliches und wahrscheinlich grandios aussehendes Gericht wie Passards „Rote Bete mit Purpur-Basilikum und zerdrückten Brombeeren“ würde ich gerne auf einem Foto bewundern. Der Vorteil an einem Comic ist natürlich, dass man – im Gegensatz zum Blättern in Kochbüchern oder dem Rumsurfen in Foodblogs – nicht ganz so hungrig nach dem Lesen ist, aber trotzdem ganz dringend in die Küche will.
Anke Gröner, 44, Bloggerin, Texterin, Autorin und seit kurzem Studentin der Kunstgeschichte, kocht und isst gerne und liest bei Comics am liebsten welche von Katharina Greve und Mike Mignola
Kann denn Kochen Sünde sein?
Carlsen Comics, September 2013
Text und Zeichnungen: Guillaume Long
Übersetzung: Hans Kantereit
144 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 24,90 Euro
ISBN: 978-3-551-78580-0
Leseprobe
In der Küche mit Alain Passard
Reprodukt, Oktober 2013
Text und Zeichnungen: Christophe Blain
Übersetzung: Ulrich Pröfrock
96 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 17 Euro
ISBN: 978-3-943143-74-4
Leseprobe
Abbildungen: Guillaume Long, Christophe Blain © der dt. Ausgaben: Carlsen, Reprodukt