Rezensionen

Jessica Blandy 4

Cover Jessica Blandy 4Die Werkausgabe des modernen Klassikers Jessica Blandy geht in die nächste Runde. Kaum vorstellbar, dass beim ersten Anlauf nur ein einziger Band der frankobelgischen Serie als Einzelabenteuer in Deutschland erschienen ist, und zwar „Enola Gay“ 1992 im Ehapa Verlag. Wie schön, dass sich Schreiber & Leser mit seinem Label Alles Gute einen langen Atem bewahrt hat. Diesmal sind drei Abenteuer enthalten, bei denen jedes für sich gelesen werden kann.

Jessica Blandy ist eine sehr realistische Heldin, die mehr in die Fälle hineingezogen wird, als dass sie diese bewusst sucht. Auch ihr Beruf als Schriftstellerin trägt ja, obwohl sie Krimis schreibt, nicht unbedingt dazu bei, aktiv Ermittlungen anzustellen, wie es etwa einer Detektivin anstehen würde. Jedenfalls ist sie bei der Aufklärung nicht immer sonderlich erfolgreich. In den drei vorliegenden Geschichten, „Trouble in Paradise“, „Kimberley Lattua“ und „Brief an Jessica“, ist sie zwar recht tatkräftig, trägt aber dennoch kaum etwas zur Lösung der Fälle bei. Vielmehr kreist alles um sie als eine Form von personifiziertem Fixpunkt, die in die Handlung verwickelt wird, wenn sie eigentlich nur helfen will.

Die Krimifälle sind dabei keine klassischen „Whodunits“, bei dem ein Mord deduktiv aufgeklärt wird, sondern harte schwül-erotische Thriller über die Masken von Menschen. Das gilt besonders hier, wo sich manche Protagonisten bewusst verstecken: Sei es nun der geheimnisvolle Killer, der alle tötet, die sein Gesicht gesehen haben („Brief an Jessica“) oder der Serienmörder, der sich hinter der Maske des Biedermannes versteckt („Kimberley Lattua“). Auch die scheinbare Respektabilität der Reichen ist eine Maske, die nur zu bestätigen scheint, dass sich hinter jedem großen Vermögen ein großes Verbrechen verbirgt („Trouble in Paradise“). Unsere Heldin Blandy musste schon viel durchmachen und hat manche Abenteuer nun wahrlich schwer verkraften können. So ist sie auch hier manchmal wieder nah an einer Depression, schafft es aber, nicht dem Alkohol zu verfallen (etwa in „Kimberley Lattua“). Wieder muss sie einiges erleiden, diesmal auf die psychische Art und nicht auf die physische, denn es es sind einige herbe Verluste in ihrem Umfeld zu verzeichnen.

Seite aus Jessica Blandy 4Die erste hier enthaltene Story, „Trouble in Paradise“, ist eher ein Neo-Western denn ein Thriller, handelt es sich hier doch um ein klassisches Westernsujet, wobei das Motiv des Schurken noch versteckter ist. Gerade die kleineren Handlanger sind hier aber besonders hassenswert in ihrem Eifer und ihrer Boshaftigkeit. Auffällig ist ein wehmütiger Tonfall, der durch die geschickte Farbgebung noch verstärkt wird. Blandy reist in ihren Heimatort, um ihren Vater zu besuchen, der im Verbund mit Gleichgesinnten versucht, einen Grundstücksverkauf zu verhindern. 

Das zweite Abenteuer bemüht etwas zu sehr den Zufall, wobei dieser immerhin konsequent erarbeitet ist und von langer Hand vorbereitet wurde. Eine enge Freundin von Jessica wird Opfer eines Serienmörders und gemeinsam mit dem Freund der Ermordeten will sie den Mörder entlarven. Der stark konstruierte Zufall grenzt dann am Ende an eine Schicksalhaftigkeit der Ereignisse. Damit sind alle Ermittlungen sinnlos, sie führen auf die falsche Fährte und somit in die Leere. Gerade hier wird deutlich, dass Blandy durch das in anderen Episoden erfahrene Leid an Stärke gewonnen hat.

Im der dritten Geschichte ist sie dann zwar durchaus am Rande einer Depression, wegen des Verlustes einer engen Freundin, verfällt ihr aber nicht. Dennoch ist sie dadurch angreifbar und löst fast eine Katastrophe aus. Mit dem Privatdetektiv Gus Bomby ist sie eigentlich zerstritten, willigt aber nach einem Brief an sie darin ein, ihm zu helfen. Denn Gus wurde Zeuge eines Mordes und gerät nun zwischen die Fronten eines Bandenkrieges. In diesem spannenden und actionreichen Abenteuer steht Blandy eher auf einer Warteposition. Nicht nur ist es ein starker Pluspunkt, dass Blandy keine Ermittlerin ist, sondern gerade hier wird gezeigt, dass auch unsympathische Zeitgenossen durchaus recht haben können. Kurzum: Wieder ein gelungener Band der Werkausgabe.

 

Wertung: 10 von 10 Punkten

Auch der vierte Band der Werkausgabe überzeugt, wobei die charakterliche Entwicklung der Heldin angesichts von Verlusten an Schärfe gewinnt.

 

Jessica Blandy 4: Trouble in Paradise/Kimberley Lattua/Brief an Jessica
Schreiber & Leser, Februar 2012
Text: Jean Dufaux
Zeichnungen: Renaud
Übersetzung: Resel Rebiersch
160 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 24,80 Euro
ISBN: 978-3-941239-82-1
Leseprobe

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Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Schreiber & Leser