Rezensionen

Hinter den sieben Burgen

„Kleine feine illustrierte Machwerke“ verspricht uns der Jaja Verlag aus Berlin, der mit selbstproduzierten Comics sowie illustrierter Poesie und Prosa auf sich aufmerksam macht. Hinter Jaja steht die Grafikerin und Illustratorin Annette Köhn, die jungen, unbekannten Künstlern eine Plattform zur Veröffentlichung bieten möchte. Es ist das selbsterklärte Ziel des Verlags, allen Veröffentlichungen einen handverlesenen, selbstgemachten Charakter zu verleihen und sie über das Zusammenspiel von Inhalt, Format, Gestaltung und Haptik als kleine Gesamtkunstwerke wirken zu lassen.

Und tatsächlich: Die Produkte können sich sehen lassen. Da gibt es quadratische, dünne Heftchen im Umschlag aus Packpapier, die per Hand im Siebdruckverfahren hergestellt wurden, illustrierte Kartensets in der Kartonkiste und philosophische Bilderbücher für Kinder und Erwachsene – Produkte, denen man die Begeisterung und Hingabe ansieht, mit denen sie produziert worden sind. Die längeren Comicerzählungen dürften vor allem Leser ansprechen, die auch die Bücher des avant-Verlags oder Reprodukt mögen, und sie halten einem Vergleich mit deren Veröffentlichungen durchaus stand. 

Die beiden neueren Erscheinungen, die im Folgenden besprochen werden, sind gar für den Leipziger Comicgartenzwerg 2013 nominiert worden.

 

1.) Hinter den sieben Burgen

Cover von Hinter den sieben Burgen
Alexander von Knorres Hinter den Sieben Burgen gehört zum Subgenre der gezeichneten Reiseberichte. Darin beschreibt der Künstler in kleinen Episoden seine Eindrücke aus seiner Zeit als Zivildienstleistender in einem rumänischen Kinderheim. Es müssen nachhaltige Eindrücke gewesen sein in dieser Einöde mitten in Siebenbürgen, in der die alten Strukturen wegbrechen, ohne dass dafür etwas Neues entsteht. Das Leben bietet dort wenig Abwechslung, die Menschen leben in einem eintönigen Trott. Wer die Möglichkeit hat, zieht weg, die übrigen Menschen arrangieren sich mit den Verhältnissen. Außerdem ist der Ort auch ein Magnet für engagierte Helfer, Aussteiger und Zivilisationsverweigerer.

Seite aus Hinter den sieben BurgenVon Knorre skizziert mit lockerer Hand, seine Figuren wirken sympathisch. Dennoch wird deutlich, dass das Leben im Kinderheim vor allem von Unzulänglichkeiten geprägt ist: Das Personal ist unqualifiziert und überfordert, die Kinder sind schwierig und die Mittel knapp. Hier stößt man schnell an die Grenzen des Machbaren und unser Protagonist muss lernen, mit dem wenigen auszukommen, das ihm noch zur Verfügung steht.

Beispielseite aus Hinter den sieben BurgenIm Werbematerial des Verlags heißt es, Hinter den Sieben Burgen sei eine Graphic Novel über einen Landstrich, den es so nicht mehr gibt. Man mag das zunächst kaum bedauern, denn die Armut und Perspektivlosigkeit der Menschen ist sehr präsent, aber Alexander von Knorre lässt uns eben auch miterleben, wie er gerade in dieser Kargheit zu sich selbst findet und den Wert kleiner Gesten schätzen lernt. Entsprechend schwingt ein leichtes Bedauern mit, wenn er im Nachwort von der Währungsreform in Rumänien berichtet, von dem inzwischen in Kraft getretenen Verbot von Pferdekutschen auf Überlandstraßen und vom stark zunehmenden Verkehr, der das Trampen immer schwieriger werden lässt.

Beispielseite aus Hinter den sieben BurgenIch war mir zunächst nicht sicher, wie ich Hinter den sieben Burgen einschätzen soll. Alexander von Knorre verweilt stark im Alltagsgeschehen, kommentiert nicht und berichtet viel von Belanglosigkeiten wie dem Ansehen von Telenovelas, von Weihnachtsfeiern oder Spaziergängen. Aber es sind diese kleinen Details, die das Geschilderte plastisch und nachvollziehbar werden lassen. Deutlich wird das beispielsweise, wenn Alexander auf dem Plumpsklo sitzt und durch eine Lücke in der Tür den Mond beobachtet. Der Leser spürt an dieser Stelle förmlich, wie die Last des Tages von Alex‘ Schultern abfällt. Eine schönere Inszenierung von Beiläufigem muss man lange suchen.

Ein großer Vorteil ist auch, dass Alexander von Knorre auch Illustrator von Kinderbüchern ist. Er weiß, dass Bilder Raum zum Atmen haben müssen und gestaltet seine Panels und seine großflächigen Bilder großzügig. Das geht zwar einerseits auf Kosten der Erzählung, hilft aber, das Lebensgefühl der dort verlebten Zeit nachzuempfinden. Nach dem ersten Lesen des Buchs war ich etwas enttäuscht wegen der kaum vorhandenen Erzählung, aber die Lockerheit der Bilder, die mit skizzenhaftem Strich viel Atmosphäre vermitteln, ließ mich das Buch immer wieder zur Hand nehmen, und langsam wuchsen mir Alexander, seine Heimkinder und die schrulligen Dorfbewohner mit ihren Anekdoten ans Herz. Es wird spannend sein, zu verfolgen, wovon Alexander von Knorre in seinem nächsten Buch erzählen wird.

Wertung: 8 von 10 Punkten

Ein autobiografischer Bericht, der in seiner skizzenhaften und episodischen Darstellung erstaunlich viel Charme entwickelt. Ein beachtliches Comic-Debut.

Hinter den Sieben Burgen
Jaja Verlag, März 2013
Text und Zeichnungen: Alexander von Knorre
166 Seiten, zweifarbig, Softcover
Preis: 20,00 Euro
ISBN 978-3-943417-23-4
Leseprobe auf Splashcomics

Jetzt bei amazon.de anschauen und bestellen!

 

2.) Earth Unplugged

Cover von Earth UnpluggedJennifer Daniels Earth Unplugged spielt in einer Welt, in der sich die Zivilisation nach dem Zusammenbruch sämtlicher elektrischer Stromversorgung neu orientieren muss. Das ist zwar ein sehr unwahrscheinliches Szenario, aber manche Leute fragen sich, ob starke Sonnenwinde oder eine anstehende Umpolung des Erdmagnetfelds, der sogenannte Polsprung (in naher Zukunft, so in 2000 bis 4000 Jahren), eine derartige Auswirkung haben könnten.

Earth Unplugged ist ein kartoniertes Heft mit 48 Seiten, das in gemalt wirkenden Bildern (tatsächlich sind die Zeichnungen am Computer entstanden) von einer jungen Frau erzählt, die sich in eben dieser Welt ohne Strom neu orientieren muss. Die ehemalige Consulting Managerin, deren Namen wir nicht erfahren, möchte sich von ihrer Nachbarin eine Kerze gegen die Dunkelheit leihen, und die Nachbarin, von Beruf Hausfrau und Mutter, bittet sie auf eine Tasse Tee in ihre Wohnung hinein. Die beiden Frauen kommen ins Gespräch und die junge Frau erzählt der älteren von einer Geschichte, an der sie gerade schreibt: Eine Science-Fiction-Story, in der die Heldin aus einer völlig durchtechnisierten Welt zurückgeworfen wird auf eine sehr ursprüngliche Lebensweise.

Beispielseite aus Earth UnpluggedDie Heldin dieser Story strandet mit ihrem Raumschiff auf einem erdähnlichen Planeten. Dort tastet sie sich vorsichtig an eine Lebensweise heran, die nicht durch technische Hilfsmittel aufbereitet oder vereinfacht wird. Das simple Leben der Tiere und den natürlichen Kreislauf des Lebens nimmt sie mit kindlicher Unbefangenheit wahr und sie wird selbst ein Teil ihrer Umgebung. Dennoch wird deutlich, dass die Natur für den, der unvorbereitet ist, tödlich ist. Die letzten Seiten deuten den Zusammenhang zwischen Tod und Wiedergeburt an, gleichzeitig schließt sich der Erzählbogen und die Heldin der SF-Geschichte findet sich in der realen Welt des ursprünglichen Erzählstrangs wieder. Erzählte und tatsächliche Geschichte werden zur Einheit.

Jennifer Daniels präsentiert uns einen recht naiven Wunschtraum vom guten, einfachen Leben. Für sie scheinen sämtliche technologischen Errungenschaften das Leben zwar komfortabler gemacht zu haben, gleichzeitig haben sie das Leben aber ausgehöhlt und seines ursprünglichen Sinns beraubt. Diese Ansicht mag man teilen oder nicht, Tatsache ist, dass Jennifer Daniels äußerst stimmungsvoll erzählen kann. Die Zeichnerin versteht es, auch komplexe Gefühle ohne viele Worte darzustellen. Über ihre virtuose Arbeit mit kleinen und großen Panels lenkt sie gekonnt den Blick des Lesers und geht dabei recht bewusst auch mit der Wahrnehmung von Zeit im Comic um. Dabei springt die Zeichnerin zwischen Abstraktion und konkreter Darstellung hin und her und ordnet ihre Panels kreativ, aber stets schlüssig an, so dass sowohl der stimmigen Seitenkomposition als auch der Erzählung gedient ist.

Seite aus Earth UnpluggedEarth Unplugged hat keinen ausufernden Plot. Es ist eine kleine Graphic Short Novel (wie es die Künstlerin in einem Interview bei Comicreview.de selbst nannte), in der Jennifer Daniel über die Abhängigkeit des Menschen von einer künstlich geschaffenen Umwelt meditiert. Nicht alles erschließt sich sofort und manches bleibt auch bewusst in der Schwebe; dennoch bleibt ein überzeugender Leseeindruck, der vor allem Jennifer Daniels geschickter Konstruktion der Geschichte zu verdanken ist. Auch hier sollte man auf jeden Fall einen Blick riskieren, wofür auch die lobende Erwähnung von Earth Unplugged beim ICOM Independent-Comic-Preis 2013 steht.

Wertung: Bewertung: 8/10 Punkten

Earth Unplugged ist das stilsichere Debut einer Künstlerin, von der man gerne mehr sehen möchte.

Earth Unplugged
Jaja Verlag, September 2012
Text und Zeichnungen: Jennifer Daniel
48 Seiten, vierfarbig, geheftet
Preis: 10,00 Euro
ISBN 978-3-943417-16-6
Leseprobe

Jetzt bei amazon.de anschauen und bestellen!

Abbildungen © Alexander von Knorre (Hinter den sieben Burgen) und Jennifer Daniel (Earth Unplugged)