Rezensionen

Geschichten aus der verbotenen Stadt

Cover von Geschichten aus der verlorenen StadtWenn ein dem Poetry Slam verhafteter Illustrator einen Comic macht, gehen die meisten Leser wohl erst mal von einem wortgewaltigen Werk aus. Doch Pustekuchen: Diese Erwartungen lässt Patrick Schmitz (unter anderem Organisator des Braunschweiger Poetry Slams) eiskalt ins Leere laufen. Denn sein Erstlingswerk ist erstaunlich still, sogar mucksmäuschenstill: Kein Wort wird gesprochen, kein Text führt durch die Geschichte. Umso genauer muss man betrachten, umso länger verweilt das Auge auf den einzelnen Panels. Das ist ein geschickter Schachzug – zu entdecken gibt es jede Menge. Und wie man später merkt, überlässt der Künstler kaum ein Detail dem Zufall.

Klar, worum es da eigentlich geht, ist es lange nicht. Erst später dämmert es, was es mit dem skelettartigen Protagonisten, der durch Hannover schleicht und in seiner Wohnung herumlungert, und den Ereignissen, die sich immer wieder vor seinem geistigen Auge aufbauen, auf sich hat. Als zweiter Handlungsort kommt dort Braunschweig zum Tragen; beide Städte sind realistisch in die Story eingebaut. Das ist aber nur als Gimmick für Ortskundige anzusehen – dies ist keiner der Comics, deren stärkster (und manchmal einziger) Pluspunkt ihr Lokalkolorit ist.

Seite aus Geschichten aus der verlorenen StadtPatrick Schmitz benutzt eine sehr klare Formensprache, die Graukolorierung wechselt sich mit einer hübschen, kalten Blaukolorierung ab. Dies ist einerseits vom Design her sehr ansprechend und unterstützt die Unterscheidung verschiedener Erzählebenen hervorragend, lässt aber andererseits die Figuren und ihr Handeln steif und unnahbar wirken. Die im Grunde tragische – wenn auch stark vereinfachte – Geschichte kommt nicht an den Leser heran und wirkt dadurch beliebig. Hier macht sich das Fehlen des emotionalen Effekts, den Worte haben können, durchaus negativ bemerkbar.

Seite aus Geschichten aus der verlorenen StadtNeben der reduzierten Kolorierung fällt besonders das ungewöhnliche Format positiv ins Auge. Im kleinen Querformat und mit strenger Zwei-Panel-Aufteilung tanzt der Comic schön aus der Reihe, zudem wirkt er haptisch ansprechend. Gefällt. Ebenso wie die vielen kleinen Extras und Details, die der Künstler in die Geschichte eingebaut hat wie das regelmäßig auftauchende HB-Männchen oder wiederkehrende Motive und Posen, die man zum Teil tatsächlich erst beim zweiten Durchlesen entdeckt. Denn wie es Patrick Schmitz formuliert: „Durch den vollständigen Verzicht auf Worte ist die Handlung komplett frei interpretierbar. Bei jedem erneuten Lesen erschließen sich neue Zusammenhänge, neue Handlungsstränge tauchen auf, Szenen erscheinen in einem anderen Licht.“ Die Idee, eine Art Zeitschleifengeschichte zu erzählen, ist ihm technisch und künstlerisch tatsächlich hervorragend gelungen.


Wertung
: Bewertung: 7 von 10 Punkten

Ein außergewöhnlicher Comic zum Mitdenken, der technisch und künstlerisch auf ganzer Linie überzeugt, erzählerisch aber einen kalten Eindruck hinterlässt


Geschichten aus der verbotenen Stadt
Verlag: Blaulicht Verlag, Juli 2012
Skript und Zeichnungen: Patrick Schmitz (Pottzblitz)
104 Seiten, Grau-/Blaukolorierung, Softcover
Preis: 9,90 Euro
ISBN: 978-3-941552-17-3
Leseprobe auf der Website des Künstlers

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Abbildungen © Patrick Schmitz