56 Seiten brutto. So viel Platz haben Corinne Maier und Anne Simon für ihre Comicversion des Lebens und Schaffens einer der wichtigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts benötigt. Ehrlich gesagt war ich skeptisch, ob sie Sigmund Freud damit gerecht werden können. Zumal das Buch mit dem schlichten Titel „Freud“ anders als zum Beispiel Manu Larcenets Die wundersamen Abenteuer von Sigmund Freud (Reprodukt) nicht eine einzige (noch dazu fiktive) Anekdote aus dem Leben des Begründers der Psychoanalyse erzählt, sondern die historische Figur in ihrer Gesamtheit abzubilden versucht.
Interessanterweise liegen Maier und Simon stilistisch dennoch nicht allzu weit von Larcenets Comic-Annäherung entfernt. Während jener Freud mit schwarzem Humor karikiert, spielen die beiden Künstlerinnen bei ihrer Biografie mit Symbolen und Metaeben, wodurch sie ihrerseits ein unverkrampft-humoristisches Lehrbuch abliefern.
Was man der Autorin von Freud, Corinne Maier, am Ende in jedem Fall bescheinigen muss, ist, dass sie erstens alle wichtigen privaten und beruflichen Aspekte aus Freuds Leben ohne Probleme auf den 56 Seiten unterbringt und zweitens als Psychologin, Historikerin und Soziologin sicherlich eine gewisse Expertise in die Entstehung des Comics einbringen konnte.
Freud selbst tritt als Erzähler auf, springt als Miniatur durch die Seiten (analog zu den Büchern von Scott McCloud) und berichtet über sich selbst, angefangen bei seiner Geburt in eine jüdische Familie, dem frühen Umzug nach Wien bis hin zur Flucht vor den Nationalsozialisten und seinem Tod in London. Dazwischen sind Freuds Theorien (Ödipuskomplex, Instanzenmodell, Psychopathologie usw.) oder berühmte Fallbeispiele (zum Beispiel Anna O.) chronologisch und oftmals auch grafisch abgegrenzt eingepflegt. An den komplexeren Modellen und Ideen Freuds wird dann auch der Kritikpunkt an diesem Comic sichtbar: Zu vieles ist nur angedeutet oder absichtlich überbordend dargestellt, eine angemessene Behandlung der zentralen Konstrukte bleibt damit aus. Im Ergebnis dürften sich Leser mit geringem Vorwissen bezüglich der Arbeit Sigmund Freuds überfordert fühlen; wer einen gewissen Kenntnisstand mitbringt, wird sich ärgern ob einer gewissen Oberflächlichkeit. Trotz gegliedertem Aufbau und guter thematischer Aufteilung über weite Strecken bleiben viele Kernpunkte im Gesamtgefüge konfus.
Mit dieser Kritik möchte ich den Machern Maier und Simon aber nicht ihr Engagement in Abrede stellen. Im Gegenteil: Der Ansatz ist clever gewählt. Mit überdimensionalen Gehirnen oder Phallussymbolen wird das Denken Freuds, seine Beweggründe und Ideen auf möglichst nachvollziehbare Weise veranschaulicht, ja vielleicht sogar auf die kleinste zeichnerische Ebene gebracht; mit viel Witz und überschäumenden Bildkompositionen.
Allerdings ist das Album einfach nicht lustig genug und in der Nachbetrachtung sind 56 Seiten wahrscheinlich doch nicht genug, um an Freuds Arbeit nicht nur oberflächlich zu kratzen.
Wertung:
Biografie, Cartoon, Satire? Ein bisschen von allem. Ein vielversprechendes Grundkonzept mit wenig Durchschlagskraft
Freud
Knesebeck, Mai 2012
Text: Corinne Maier
Zeichnungen: Anne Simon
Übersetzung: Anja Kootz
56 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 19,95 Euro
ISBN: 978-3-86873-510-9
Abbildungen © Anne Simon/Dargaud, der dt. Ausgabe Knesebeck