Zwei Rezensionen vorhanden.
Christophers Besprechung weiter unten.
Frauke:
Mit dem „Heartland“ im Titel ist das American Heartland gemeint, ein schwerer, urtümlicher Landstrich, in den USA abseits der pulsierenden Großstädte. Hier wächst der Junge Trevor auf einer kleinen Farm auf. Sein Leben wird bestimmt von seinem despotischen Vater, der auch seine Mutter mundtot gemacht hat. Die Familie hat allerdings ein Geheimnis: Trevor hat einen jüngeren Bruder, Will, der merkwürdig entstellt ist und über besondere Kräfte verfügt. Seine Mutter hat ihren Sohn seit seiner Geburt vor sechs Jahren nicht mehr angesehen, und er wird wie ein Hund an der Kette im Schuppen nebenan gehalten.
Trevors Aufgabe ist es, seinen kleinen Bruder mit Essen(sabfällen) zu versorgen. Darüberhinaus versucht er, versteckt vor den Eltern, Wills Leben erträglicher zu machen. So nimmt er ihn zum Beispiel eines Abends von der Kette, um mit ihm einen Ausflug zu machen.
Die Situation eskaliert, als ihr Vater beschließt, das zu tun, was er von Anfang an vorhatte – der Sache ein Ende zu machen. Und so marschiert er mit einem Gewehr in den Schuppen. Um Trevor, der sich vor seinen Bruder gestellt hat, zu schützen, greift Will den Vater an. In dem Streit entpuppen sich weitere Talente des entstellten Junges, der Vater stirbt infolge Wills Beschützerinstinkt. Die beiden Brüder, unsicher und verwirrt, fliehen von der Farm, nachdem sie noch kurz ihrer Mutter Lebewohl gesagt haben. Im Laufe der Reise enthüllen sich dann weitere Besonderheiten und Umstände rund um Wills merkwürdiges Erscheinungsbild …
… aber ohne einen genauen Hintergrund oder gar eine Erklärung dafür zu liefern. Wer Steve Niles als Autor von Comics wie 30 Days of Night kennt und Ähnliches erwartet, der wird von Freaks of the Heartland enttäuscht werden. Das hier ist keine Horrorgeschichte oder gar eine Splatterorgie, sondern eine moderne Interpretation des Literaturklassikers Of Mice and Men (Von Mäusen und Menschen), wie auch schon der Klappentext treffend beschreibt. Will hat nichts falsch gemacht, trotzdem wird er allein aufgrund seines Aussehens von der Gesellschaft und zwischenmenschlichen Kontakten ausgeschlossen, ohne etwas dagegen tun zu können. Freaks of the Heartland ist ein Appell an die Menschlichkeit, an die Liebe und gegen die Engstirnigkeit und den Hass, der aus Angst entstehen kann. Ein ganz klassisches Thema also, von Zeichner Greg Ruth (u.a. Conan) mit zum Teil groben Strichen und dem Einsatz von viel Schwarz der schweren Thematik wunderbar angepasst. Die monochromatische Farbgebung variiert je nach Stimmung und fügt damit dem Geschehen eine wortlose Interpretationsebene hinzu.
Einzig das Hinsteuern auf das recht abrupte Ende bedauert man als Leser, gerade weil am Anfang die Einführung der Figuren und der Lebensumstände bedächtig vorgenommen wird und die Geschichte generell sehr ruhig erzählt wird. Am Ende hätten ein paar Seiten mehr der Erzählung gut getan, sie runder gemacht.
Etliche Seiten füllt auch der bei Cross Cult übliche redaktionelle Teil mit Interviews sowohl mit Autor als auch Zeichner sowie Skizzen mit interessanten Hintergrundinfos zur Gestaltung der Figuren und Gedanken von Greg Ruth. Neu ist mir allerdings eine Dankesseite, wie man sie von CD-Booklets kennt (à la „Steve dankt … Greg dankt …“), das kommt jetzt vielleicht in Mode.
Freaks of the Heartland bietet keine Hauruck-Action, keinen wirklichen Horror, sondern eine poetische Charakterstudie inmitten eines weiten Landes, die denjenigen gefallen wird, die auch mit ruhigeren Tönen etwas anfangen können. Dann erwartet sie eine dichte, zärtliche Geschichte um einen Außenseiter und seinen Bruder, der mit kindlichen Augen hinter die Fassade blickt. Die Beteiligten sind zwar sehr deutlich eingeteilt in Gut und Böse, manche Klischees auf die Spitze getrieben, aber so ist das nun mal in Märchen.
Steve Niles und Greg Ruth haben einen Comic über Doppelmoral und den mittleren Westen geschrieben. Freaks of the Heartland ist außerdem eine Geschichte von zwei ungleichen Brüder, die es irgendwie schaffen, in einer harten, rauen Welt zusammenzuhalten und sich zu unterstützen.
So weit das Auge reicht, sieht man Farmland. Ab und zu mischen sich ein paar einsame Bäume, Holzzäune und windschiefe Häuser ins Bild. Ein Schuss fällt, vielleicht auch nur die Fehlzündung eines Traktors, und ein Schwarm Krähen fliegt auf, davon in den schmierig-grauen Himmel. Ödnis pur. Wir schreiben die „gute, alte Zeit“, wann auch immer die gewesen sein mag. Vielleicht regiert gerade Präsident Truman, vielleicht auch schon Eisenhower. So genau interessiert das hier niemanden, ist auch nicht wichtig an einem Ort, an dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Ein Stück Ende der Welt, ohne Handys, Faxgeräte oder Farbfernseher. Freaks of the Heartland portraitiert den mittleren Westen der USA in den düstersten Farben.
Die Geschichte ist nicht nur das düstere Portrait eines Landstrichs, sondern auch einer Familie. Autor Steve Niles (30 Days of Night) bewegt sich bei der Skizzierung der Figuren hart an der Grenze zu Klischees und Stereotypen: Daddy ist ein Trinker, Mommy wird geschlagen, und Sohnemann Trevor zieht den Kopf ein, so gut es geht. Und in der Scheune, versteckt vor dem Licht der Welt, lebt Will. Er ist von Geburt an anders, unnatürlich groß und kräftig, mit einem Wasserkopf – ein Freak. Die Farmer der Gegend, insbesondere sein eigener Vater, halten ihn für ein Monster, eine Ausgeburt der Hölle, und wollen ihn töten. Brüderchen Trevor hat jedoch etwas dagegen.
Freaks of the Heartland handelt von der Doppelmoral einfacher Leute. Wer am lautesten „Monster!“ schreit, ist häufig selber eines. Die Geschichte wurde schon oft erzählt, und ist spätestens seit Frankenstein ein klassisches Horrorthema. Handlung gibt es bei Freaks of the Heartland so wenig, dass man den Plot fast als statisch bezeichnen könnte. Das macht aber nichts, weil dieses Weniger an Handlung einem Mehr an Atmosphäre zugute kommt. Die wird in erster Linie durch die fabelhaften Bilder von Greg Ruth erzeugt: Dunkle Farben, viel Schatten und ein außerordentlich realistischer, leicht verwischter Strich. Die Qualität der Handlung ist nicht überragend, die der Bilder hingegen schon. Weil es wenig Text gibt, liest sich Freaks of the Heartland recht schnell. Seine Wirkung entfaltet der Band dennoch. Es ist wahrhaftig eine Bilder-Geschichte, unterhaltsam und unheimlich, mit nicht mehr Text,als unbedingt nötig. Atmosphärischer und gradliniger Horror, von dem man sich mehr wünscht.
Freaks of the Heartland
Cross Cult, August 2008
Text: Steve Niles
Zeichnungen: Greg Ruth
Übersetzung: Frank Neubauer
167 Seiten, Hardcover, farbig; 19,80 Euro
ISBN: 978-3936480894
Leseprobe
Freaks of the Heartland © Steve Niles, Abbildungen © Greg Ruth, der dt. Ausgabe Cross Cult